Der erste Schritt zum NS-Führerstaat ist ein Geschenk an Adolf Hitler: Am 30. Januar 1933 wird er von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Hitler steht nun an der Spitze eines Kabinetts, dem neben Mitgliedern der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und parteilosen konservativen Ministern auch zwei NSDAP-Vertreter angehören.
Doch das reicht ihm nicht, er will die uneingeschränkte Macht: Die parlamentarische Demokratie soll zerstört werden - allerdings unter Wahrung eines legalen Anscheins. Hitler setzt deshalb für den 5. März 1933 eine Neuwahl zum Reichstag an. Die Rechnung geht jedoch nicht auf: Die NSDAP wird zwar mit 44 Prozent der Stimmen stärkste Partei, aber sie verpasst die absolute Mehrheit. Im Reichstag sind die Nazis auf die Stimmen des Koalitionspartners DNVP angewiesen.
Einschüchterung durch SA und SS
Zwei Tage nach der Parlamentseröffnung geht Hitler zum Angriff über - als der neue Reichstag am 23. März 1933 in der Kroll-Oper tagt. Das Reichstagsgebäude nebenan ist im Monat zuvor abgebrannt. Die Atmosphäre ist einschüchternd: Vor und in der Kroll-Oper sind SA- und SS-Männer postiert. Der SPD-Abgeordnete Julius Leber wird - trotz seiner Immunität - vor dem Eingang verhaftet. Im provisorischen Plenarsaal hängt hinter dem Rednerpult eine riesige Hakenkreuzfahne. Nach der Einführung betritt Hitler das Podium und spricht rund 50 Minuten lang. Er verlangt die Annahme des "Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Staat". Mit diesem "Ermächtigungsgesetz" soll die Regierung für vier Jahre die Erlaubnis erhalten, Gesetze ohne Zustimmung des Parlaments zu erlassen - eine Selbstentmachtung des Reichstags.
Zur Durchsetzung seines Willens braucht Hitler eine Zweidrittel-Mehrheit. Da die 81 Abgeordneten der Kommunisten längst im KZ oder untergetaucht sind, werden ihre Sitze kurzerhand nicht mitgezählt. Dennoch braucht Hitler noch die Stimmen des katholischen Zentrums, das er mit vagen Versprechungen umwirbt: "Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums." Ihre Rechte würden nicht angetastet. Am Ende kooperieren die katholischen Abgeordneten mit den Nazis: "Die Deutsche Zentrumspartei setzt sich in dieser Stunde", sagt Parteichef Prälat Ludwig Kaas, "aus nationalem Verantwortungsgefühl über alle parteipolitischen und sonstigen Bedenken hinweg." Auch die Liberalen knicken ein: Die fünf Abgeordneten der Deutschen Staatspartei stimmen ebenfalls zu - unter ihnen der spätere Bundespräsident Theodor Heuss.
Nur die SPD stimmt dagegen
Nur die 94 SPD-Abgeordneten halten dem Druck Stand. Parteichef Otto Wels sagt zum Schluss seiner Rede: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." Hitler ist außer sich vor Wut. Er stürmt zum Mikrofon, um Wels niederzubrüllen: "Den Mut, uns auch anders mit Ihnen auseinanderzusetzen, den hätten wir weiß Gott gehabt." Er wolle auch gar nicht, dass die Sozialdemokraten dafür stimmen. "Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie!"
Hitler bekommt seine Mehrheit auch ohne die SPD und regiert fortan im Alleingang. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs fasst der Reichstag - als reines Zustimmungsorgan - nur noch sieben Beschlüsse. Zwei davon dienen jeweils der Verlängerung des Ermächtigungsgesetztes. Für die letzte Verlängerung während des Krieges befragt Hitler das Parlament nicht mehr: Er verlängert das "Ermächtigungsgesetz" im Mai 1943 durch einen "Führererlass" auf unbegrenzte Zeit.
Stand: 23.03.2013
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