"Eigentlich ist es ja gar kein Stuhl", sagt der Hamburger Zahnarzt Jens-Christian Katzschner über den Zahnarztstuhl. "Eigentlich ist es eine Vorrichtung, die einen zuvor sitzenden Patienten in eine liegende Position überführt." Jens-Christian Katzschner behandelt seit mehr als 20 Jahren Patienten - und berät Zahnärzte zur Ergonomie am Arbeitsplatz. Als er am Anfang seines Arbeitslebens die Praxis von einem Vorgänger übernimmt, staunen die Patienten. "80 Prozent von ihnen waren völlig überrascht, dass man sich hinlegen muss. Sie kannten es anders: Sie saßen und der Zahnarzt lag halb verbeugt, halb verdreht."
Auch Zahnärzte leiden Schmerzen
Jahrhundertelang litten nicht nur die Patienten, sondern auch die Zahnärzte: an Fuß-, Kopf- und Rückenschmerzen. Denn erst seit der Patient beim Zahnarzt liegt, kann der bei der Arbeit sitzen. Die Haltung des Arztes ist der wichtigste Aspekt bei der Entwicklung moderner Behandlungsplätze. "Wir legen den Schwerpunkt auf den behandelnden Arzt, weniger auf den Patienten. Wir sagen: Der Zahnarzt sitzt acht Stunden täglich am Stuhl, der Patient vielleicht 20 Minuten", sagt Uwe Greisen, der in Deutschland die Zahnarztstühle eines dänischen Herstellers verkauft.
"Man setze den Patienten auf die Erde"
Noch im 14. Jahrhundert hockten Patient und Zahnarzt auf dem Boden. "Zuallererst setze man den Patienten auf die Erde und lege seinen Kopf zwischen die Knie. Sodann löse man das Zahnfleisch ab, damit hierin keine Behinderung zu erblicken ist und ziehe den Zahn in gerader Richtung", heißt es in einem zeitgenössischen Fachbuch. Mangels Alternativen wurden die kranken Zähne damals komplett herausgerissen – von Hufschmieden, Barbieren oder Scharlatanen. "Im Mittelalter war der Zahnreißer jemand, der zur Volksbelustigung einen wehmütigen Patienten behandelte", sagt Jens-Christian Katzschner. Und die Menschen schauten zu und lachten.
Erst im 18. und 19. Jahrhundert bildeten sich Spezialisten heraus, die die Zahnheilkunde vorantrieben und die nötige Ausstattung entwickelten. Der Amerikaner Waldo Hanchett ließ sich am 15. August 1848 den Zahnarztstuhl patentieren – mit Kopfstütze und einem höhenverstellbaren Sitz. "Das war ein Quantensprung und ist die Basis all unserer Behandlungseinheiten, diesem Zusammenspiel aus Stuhl, Speibecken, Leuchte und Instrumentarium", sagt der Zahnarzt Jens-Christian Katzschner.
Stand: 15.08.2013
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