Siebzehn Jahre nach Juri Gagarins Pionierflug ins All klingt die Meldung der DDR-Nachrichtenagentur ADN nach Raumfahrt-Routine: "Am Sonnabend, den 26. August 1978, 15.51 MEZ, wurde in der Sowjetunion das Raumschiff Sojus 31 gestartet." Doch dann folgt die Sensation: Neben Kommandant Waleri Bykowski in der Kapsel sitzt "der Forschungskosmonaut, der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, Oberstleutnant Sigmund Jähn".
Bis zur letzten Sekunde hatten die UdSSR und die DDR geheim gehalten, dass mit Jähn der erste Deutsche in den Weltraum geschossen wird. Zu groß war die Angst vor einer Blamage bei einem möglichen Fehlstart. "Mit heißem Herzen sind wir bei ihnen", darf der DDR-Rundfunk jubeln, nachdem Sojus 31 erfolgreich seine Reise zur Raumstation Saljut 6 angetreten hat.
Ein Deutscher für alle
Den Sieg über die Bundesrepublik im All-Wettlauf kostet die DDR genüsslich aus. Mit riesigen roten Lettern vermelden die sonst schwarz-weißen Zeitungen "Begeisterung in der ganzen Republik über unseren Himmelsstürmer". Jähn, der Jagdflieger der Nationalen Volksarmee, wird zum quasi einzigen Deutschen des Arbeiter- und Bauernstaats. Einen "Deutschen" hat es zuvor laut offizieller Sprachregelung der DDR nicht geben dürfen. Nun betitelt selbst das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" sein achtseitiges Extrablatt über den historischen Triumph: "Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR".
Die "Bild-Zeitung" steigt voll in die Propagandaschlacht ein. Chefredakteur Peter Boenisch persönlich degradiert den Ost-Himmelsstürmer zum "Mitesser in einer Russenrakete". Doch der studierte Physiker Jähn ist weit mehr als nur ideologischer Beipack. Zu seinen Aufgaben an Bord der Raumstation Saljut 6 gehören meteorologische Beobachtungen, die Erprobung technischer Prozesse in der Schwerelosigkeit und gesundheitliche Checks. Außerdem testen Bykowski und Jähn eine neue Multispektralkamera von Carl Zeiss Jena zur Erdfernerkundung ("Bild"-Spott: "Made in Kötzschenbroda"), an der unter anderem Frankreich und Großbritannien großes Interesse zeigen.
Knochenharte Landung
Mit seinen 41 Jahren gilt der 1937 im Vogtland geborene Jähn bereits als Kosmonauten-Oldie. Knapp acht Tage dauert sein Weltraumaufenthalt, bei dem er 125 Mal die Erde umkreist. Flug und Rückreise an Bord der Kapsel Sojus 29 verlaufen problemlos – bis zur Landung in der kasachischen Wüste. Nach der Bodenberührung kann Jähn bei starkem Wind den Bremsfallschirm nicht ausklinken. Die Kapsel wird herumgeschleudert und überschlägt sich mehrfach. Dabei erleidet Jähn eine Wirbelsäulenverletzung, die dem inzwischen 76-jährigen "Helden der DDR" bis heute zu schaffen macht.
Fünf Jahre nach Sigmund Jähn startet der nächste Deutsche ins All. Diesmal nicht vom russischen Baikonur, sondern mit der US-Raumfähre Columbia von Cape Canaveral in Florida. Als erster bundesrepublikanischer Raumfahrer befördert Ulf Merbold 1983 zusammen mit fünf NASA-Astronauten das erste Spacelab-Modul in den Orbit. Während DDR-Kosmonaut Jähn nicht mehr in den Weltraum zurückkehrt, nimmt Merbold noch an zwei weiteren Shuttle-Missionen teil. Ironie des innerdeutschen All-Wettlaufs: Wie der Ost-Kollege Jähn stammt auch der Westdeutsche Merbold aus dem Vogtland.
Stand: 26.08.2013
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