Was sich im Mai 1950 abspielt, ist heute legendär. Jean Monnet, Chef des wirtschaftlichen Planungsbüros der französischen Regierung, hat ein revolutionäres Vorhaben: Er will die europäischen Schlüsselindustrien Kohle und Stahl zusammenlegen – und unter die Aufsicht einer supranationalen Behörde stellen. Zum ersten Mal in der Geschichte würden Deutschland, Frankreich und andere europäische Länder damit einen Teil ihrer Souveränität abgeben – für ein höheres europäisches Ziel. Der damalige französische Außenminister Robert Schuman gibt dem Plan seinen Namen.
Ein Europa, in dem Kriege nicht mehr denkbar sind
Am Vormittag des 9. Mai 1950 lässt Schuman die Presse zusammentrommeln, im Uhrensaal des Quai d'Orsay, dem Sitz des Außenministeriums. Dort verliest er eine eineinhalbseitige Erklärung, die es in sich hat. "Durch die Zusammenlegung der Schlüsselindustrien und die Errichtung einer neuen hohen Behörde, deren Entscheidungen für Frankreich, Deutschland und die zukünftigen Mitgliedsstaaten gültig sind, wird dieser Vorschlag die ersten konkreten Grundlagen einer zur Erhaltung des Friedens notwendigen europäischen Föderation schaffen."
Robert Schuman hat die Vision eines vereinten Europas, in dem Kriege nicht mehr denkbar sind. "Schumans Idee war: Wenn die Europäer Kriege vermeiden wollen, dann geben sie die Kontrolle über kriegswichtige Industrien wie Kohle und Stahl jenseits ihrer eigenen Regierungen und Parlamente zugunsten einer Hohen Behörde ab", erklärt Andreas Maurer, Büroleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Brüssel.
Nach einem knappen Jahr Verhandlungen wird die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951 beschlossen. Die sogenannte Montanunion ist Vorläufer der Europäischen Union mit damals sechs Mitgliedern: Deutschland, Frankreich, Italien sowie den Beneluxländern.
Schuman lernt Französisch erst in der Schule
Robert Schumans Haus ragt auf einem Hügel über Lothringen und vom Garten in Scy-Chazelles aus schauen die Besucher auf das Tal der Mosel. Der Hausherr hat den Ort mit Bedacht gewählt. "Für ihn war es wichtig, diesen Blick auf das andere Tal, den anderen Fluss zu haben. Die Verbindung und Verständigung mit anderen Kulturen, das war seine Vorstellung", sagt Richard Stock, Leiter der Gedenkstätte. Schuman selbst war ein echter Europäer: Luxemburgisch war seine Muttersprache, er studierte in Deutschland und war später Ministerpräsident und Außenminister von Frankreich. Französisch hat er jedoch erst in der Schule gelernt und die Sprache bis zuletzt mit einem moselfränkischen und luxemburgischen Akzent gesprochen. Als Robert Schuman am 4. September 1963 stirbt, gilt er zusammen mit Jean Monnet als Gründervater der Europäischen Union.
Stand: 05.09.2013
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. September 2013 ebenfalls an Robert Schuman. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.