"Die Mörder sind unter uns" heißt der erste deutsche Nachkriegsfilm, der 1946 Premiere hat. Regisseur Wolfgang Staudte stellt darin die Frage nach Verantwortung und Mitschuld jedes Einzelnen in der Nazi-Zeit. Sich selbst nimmt er dabei nicht aus. Er habe damals "eine komplett feige Einstellung" gehabt, sagt Staudte rückblickend. "Später hab ich mich auch geniert. Es gab nur ein einziges Prinzip: Überleben."
Der am 9. Oktober 1906 in Saarbrücken geborene Sohn eines Schauspieler-Ehepaares tut fast alles, um im Zweiten Weltkrieg nicht an die Front zu müssen. Zunächst spielt er Nebenrollen in Unterhaltungs- und Propagandafilmen - unter anderem auch in Veit Harlans antisemitischem Werk "Jud Süß" (1940). Mit dem Varieté-Streifen "Akrobat schö-ö-ö-n" (1942/43) dreht Staudt seinen ersten Spielfilm. Doch dann hat der Nachwuchsregisseur in der UFA-Kantine ein prägendes Erlebnis: Ein betrunkener SS-Mann hält ihm eine Pistole an den Kopf und droht, den "feigen Kommunisten" zu erschießen. Staudte, der im linken Milieu aufgewachsen war, beginnt daraufhin heimlich, das Drehbuch zu "Die Mörder sind unter uns" zu schreiben.
"Der Untertan"
Nach Kriegsende bietet Staudte seinen Stoff vergeblich den Westalliierten in Berlin an. Stattdessen gibt ein sowjetischer Kulturoffizier grünes Licht für den ersten DEFA-Film. Darin geht es um den Fabrikanten Brückner, der nach dem Krieg erfolgreich aus Stahlhelmen Kochtöpfe herstellt - nachdem er 1942 in Polen als Hauptmann die Erschießung von Zivilisten befohlen hatte. Nun prahlt er gegenüber seinem ehemaligen Untergebenen Mertens, der damals zaghaft und erfolglos gegen das Verbrechen protestiert hat. Mertens will Brückner mit einer Pistole zur Rechenschaft ziehen. Doch Selbstjustiz lassen die russischen Offiziere als Filmschluss nicht zu. Die Urteile im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess stehen bevor.
Auch seinen nächsten Film dreht Staudte für die ostdeutsche DEFA. In "Rotation" (1948/49) zeigt er, wie sich eine durchschnittliche Arbeiterfamilie vom bescheidenen Wohlstand der 1930er Jahre korrumpieren lässt. Als die jüdischen Nachbarn deportiert werden, schließen sie das Fenster - ein Symbol für das moralische Versagen der Deutschen. Auch bei der Verfilmung von Heinrich Manns Roman "Der Untertan" (1951) geht es um deutsche Geschichte: Staudte zeichnet den Aufstieg eines Opportunisten im Kaiserreich nach. Trotz des international erfolgreichen Films bricht der Regisseur mit der DEFA - nach einem Streit mit Bertolt Brecht um die Verfilmung von "Mutter Courage".
"Rosen für den Staatsanwalt"
In der Bundesrepublik ist die Lage für Staudte nicht einfacher - in den Kinos werden vorwiegend Heimatfilme gezeigt. Erst 1959 erhält er die Chance, sich mit seinem Lebensthema zu befassen: "Rosen für den Staatsanwalt" ist eine Satire über einen Juristen, der in den letzten Kriegstagen einen Gefreiten wegen des Diebstahls von zwei Dosen Fliegerschokolade zum Tod verurteilt. Doch Staudte gelingt es immer seltener, Geldgeber zu finden: "Meine Freunde nennen mich etwas spöttisch einen 'ewigen Weltverbesserer'. Vielleicht ist etwas Wahres dran." Jedenfalls sei es schwer, "die Welt verbessern zu wollen mit Geld von Leuten, die die Welt in Ordnung finden."
Staudte finanziert seine Projekte schließlich selbst und verschuldet sich. Deshalb wechselt er Ende der 1960er Jahre zum Fernsehen - obwohl er zuvor behauptet hat, dort würden nur "Zwergenschicksale" behandelt. Im Rentenalter dreht er nun TV-Klassiker wie die ZDF-Serie "Der Seewolf", die ARD-Serie "MS Franziska" und die WDR-"Tatorte" mit Hans-Jörg Felmy als Kommissar Haferkamp. Am 19. Januar 1984 stirbt Wolfgang Staudte bei Dreharbeiten für die ZDF-Serie "Die andere Straße" im jugoslawischen Zigarski. An seinem Geburtshaus in Saarbrücken hängt heute eine Tafel mit einem Zitat von ihm: "Demokratie lebt vom Anstand und Mut ihrer Bürger. Feigheit macht jede Staatsform zur Diktatur!"
Stand: 19.01.2014
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