Tagebau: Ein Dorf zieht um
"Eine Umsiedlung ist kein Spaziergang"
Stand: 30.11.2013, 06:00 Uhr
Claudia, Marco und Leon können aufatmen: Sie haben ihren Umzug hinter sich. Familie Jakobs gehört zu den 1.600 Bewohnern von Manheim bei Kerpen, die bis 2022 dem Tagebau von RWE-Power weichen müssen. Glück und Wehmut liegen nah beieinander, erzählen sie im Interview.
Familie Jakobs ist angekommen in Manheim-neu. In dem modernen hübschen Neubau wohnen Claudia (42) und Marco Jakobs (45) mit dem zwölfjährigen Leon Schmitz, dem Sohn von Claudia Jakobs aus erster Ehe. Zwei Kaninchen, Katze Mau und die Fische sind auch mit umgezogen.
WDR.de: Wann haben Sie erfahren, dass sie umsiedeln müssen?
Claudia Jakobs: Ich bin im Oktober 1999 nach Manheim gezogen und habe da schon mitbekommen, dass das Dorf umsiedeln wird. Aber das war nebensächlich. Es war noch so viel Zeit bis dahin und unser Leben ging weiter. Unruhige Zeiten brachen an, ich hatte mich von meinem Ex-Mann getrennt und das Thema Umsiedlung ausgeblendet. 2007 trat Marco in mein Leben und dann kam alles zeitgleich.
Marco Jakobs: 2008 gab es die ersten Termine mit RWE und für uns war klar: Das ist die Chance einen Cut zu machen und gemeinsam neu anzufangen.
WDR.de: Frau Jakobs, Sie kommen aus Köln, wohnten vor dem Umzug nach Manheim in Pulheim und Umgebung. Herr Jakobs, Sie sind in Leverkusen geboren. Spielt es eine Rolle, dass Ihnen der Abschied recht leicht fällt, weil sie nicht gebürtige Manheimer sind?
Claudia Jakobs: Das macht auf jeden Fall einen großen Unterschied, da es für die Manheimer, die dort geboren und groß geworden sind, sicherlich viel schwerer ist. Außerdem kommt der Großteil der Manheimer mit nach Manheim-Neu, so dass es zwar ein Abschied vom alten Ort, nicht aber von den Menschen ist.
Marco Jakobs: Was mich betrifft, ich habe mich nirgends so zu Hause gefühlt wie hier. Die Manheimer sind sehr offen. Man wird sofort integriert, nicht wie in manchen Eifeldörfern, wo man nach 25 Jahren immer noch ausgegrenzt ist.
WDR.de: Wie würden Sie die Manheimer noch beschreiben?
Marco Jakobs: Manheim hat eine unheimlich starke Gemeinschaft. Selbst wenn intern mal Differenzen sind, es ist ja auch hier nicht immer alles harmonisch, nach außen hin sind wir wie die Gallier, die den Römern trotzen. Wie man so hört, hat sich da auch RWE schon die Zähne dran ausgebissen. Wir haben einen starken Bürgerbeirat, der einiges durchgeboxt hat.
Claudia Jakobs: Ich glaube RWE ist froh, wenn das hier abgeschlossen ist.
WDR.de: Warum?
Marco Jakobs: Die Manheimer sind mit ihrer Umsiedlung wahnsinnig schnell, schneller, als RWE es gewohnt ist. RWE kalkuliert seine Budgets mit den Erfahrungswerten anderen Umsiedlungen. Die haben sich oft in die Länge gezogen, weil einige nicht weg wollten. Hier geht es nach dem Motto: Das muss jetzt getan werden, es lässt sich nicht ändern, wir gehen das jetzt an. Und es geht irre schnell. Wenn man bedenkt, Umsiedlungsbeginn war der 1. April 2012. Das ist gerade mal eineinhalb Jahre her und in Manheim-neu wohnen schon 60 Familien.
WDR.de: Hier stehen bereits viele neue Häuser. Reden die Dorfbewohner darüber, wie viel sie für ihr altes Haus von RWE bekommen haben?
Claudia Jakobs: Wir persönlich haben es so gehalten, dass wir nicht darüber gesprochen haben. Aber es wird viel gemunkelt und dazu gedichtet.
Marco Jakobs: Das einzige, was wir zum Preis sagen können: Wir haben die Abfindung als fair empfunden. Das alte Haus war Baujahr 1988. Es ist klar, dass wenn ich ein neues Haus mit modernen Standards haben möchte, ich noch einiges drauf zahlen muss.
WDR.de: Das heißt, Sie mussten einen Kredit aufnehmen?
Marco Jakobs: Ja, wir mussten ordentlich noch was aufnehmen und haben viel in Eigenleistung gestemmt. Manche Leute denken, das wird hier alles von RWE bezahlt und organisiert. So einfach ist das nicht.
Claudia Jakobs: Viele sehen nicht, wie viel Schweiß und Blut hier drin steckt. Eine Umsiedlung ist kein Spaziergang. Ich war mal im Baumarkt in Arbeitsklamotten, um etwas für den Bau abzuholen. Da fragt mich ein Mitarbeiter, wieso ich das denn selber mache, RWE stellt uns doch die Häuser neu dahin. Von wegen.
WDR.de: Seit 2008 schreiben Sie gemeinsam an einer Internetseite mit Fotos, Terminen, Plänen, aber auch sehr persönlichen Erlebnissen. Wie kam es zu der Idee?
Marco Jakobs: Ich war auf der Suche nach Erfahrungen von Menschen, die die Umsiedlung bereits hinter sich haben. Aber außer nüchternen Fakten und ein paar kleinen Zeitungsartikeln habe ich nichts gefunden. So kam ich auf die Idee, diese Seite einzurichten – als zeitgeschichtliches Dokument für Interessierte, aber auch für uns als Tagebuch.
Claudia Jakobs: Ich hatte anfangs Zweifel, ob wir unsere persönlichen Eindrücke veröffentlichen sollen. Wir geben doch sehr viel Preis von uns. Aber dann dachte ich: entweder ganz oder gar nicht. Und ich habe es nicht bereut.
WDR.de: Wie sind die Reaktionen auf ihre Internetseite?
Claudia Jakobs: Durchweg positiv. Wir hatten viele nette Rückmeldungen im Gästebuch, aber auch in persönlichen E-Mails. Das hat mich sehr gerührt.
Marco Jakobs: Uns haben auch Menschen von außerhalb und Ex-Manheimer geschrieben, die es spannend finden mitzubekommen, was hier passiert.
WDR.de: Wie kam es, dass Sie bei der dreiteiligen Doku-Serie Reportage "Unser Dorf zieht um" mitgemacht haben?
Marco Jakobs: Eigentlich wollten wir über den WDR berichten auf unserer Internetseite. Bei der ersten Planveröffentlichung hatten wir unsere dicken Spiegelreflexkameras dabei und wurden vom WDR-Team zunächst für Presse-Kollegen gehalten. Der WDR war auf der Suche nach Betroffenen und eine Bekannte erzählte ihnen von uns und unserer Internetseite. Schon am gleichen Tag kam ein Kamerateam zu uns nach Hause.
WDR.de: Und wie war das für Sie?
Das "Hier und Heute" begleitete die Manheimer zwei Jahre lang
Claudia Jakobs: Ich habe immer gedacht, so was passiert nur anderen. Als wir zum ersten Mal gedreht wurden, war ich völlig nervös. Das kam mir alles so unwirklich vor. Wenig später war es so, als wenn Freunde zu Besuch kommen. Wir sind mit dem Team zusammengewachsen und haben völlig ausgeblendet, dass wir verkabelt sind und von Kameras gefilmt werden.
Marco Jakobs: Ich erinnere mich gerne an einen Drehtag, als es in Strömen geschüttet hat. Wir standen auf dem Acker und waren alle bis auf die Knochen klatschnass geregnet. Der arme Tonassistent hatte nagelneue Turnschuhe an.
Das Gespräch führte Susanne Schnabel.