Amokläufe an Schulen sind in Deutschland sehr selten - wenn sie vorkommen, fordern sie aber viele Opfer. In den USA kommen sie regelmäßig vor, das liegt auch an den lockeren Waffengesetzen dort. In Offenburg tötete ein Jugendlicher einen Mitschüler im November 2023 mit einer Schusswaffe. In Hamburg gab es im selben Monat Amok-Alarm, weil mehrere Schüler mit vermeintlichen Waffen gesichtet worden waren. Nach der Amoktat in Wuppertal mit insgesamt acht Verletzten hat die Staatsanwaltschaft am Freitag Haftbefehl wegen versuchten Mordes gegen einen verdächtigen Schüler beantragt.
Wie sind die Schulen und die Polizei auf solche Lagen vorbereitet? Wir klären die wichtigsten Fragen.
Gibt es Konzepte für Amok-Lagen?
Ja, jede Schule in NRW hat einen sogenannten Notfallordner, der aber geheim gehalten wird und auf den nur die Schulleitungen Zugriff haben. Darin sind verschiedene Gefahrenlagen nach drei Gefährdungslagen aufgeführt. Amok-Lagen gehören beispielsweise zur dritten und damit höchsten Gefährdungsstufe. In dem Ordner stehen klare Anweisungen, wie sich Schulleiter, Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zu verhalten haben. Unter anderem sollen sie sich in den Klassenräumen einschließen und Anweisungen der polizeilichen Einsatzkräfte Folge leisten. Nur die Polizei kann auch offiziell Entwarnung geben, die an vielen Schulen über Lautsprecher mit einem Codewort verkündet wird. Das Wort kennen in der Regel nur die Lehrkräfte.
Im Notfallordner gibt es zum Beispiel auch Vorlagen für Elternbriefe für die Informationsverteilung nach der akuten Lage. Es ist auch erklärt, welche Schritte am ersten, zweiten und dritten Tag danach zu machen sind. Der Ordner wird immer wieder aktualisiert und die Schulleitungen von der Bezirksregierung fortgebildet.
Wie sieht es bei der Polizei aus?
Die Polizei NRW hat wie alle Polizeibehörden seit dem Amoklauf von Erfurt 2002 ein Konzept für Amok-Lagen an Schulen erarbeitet. Damals hatten auch der chaotische Einsatz und mangelnde Kommunikation dazu beigetragen, dass der Täter viel Zeit zum Töten hatte.
Das Stichwort "Amok" oder "bewaffnete Person" löst heute ein definiertes Einsatzszenario aus. Dazu gehört auch, dass Streifenwagenbesatzungen nicht auf Spezialkräfte warten, sondern selbst in Gebäude vordringen, sie nach Tätern durchsuchen und diese ausschalten. Unter anderem deshalb werden seit Jahren in jedem Streifenwagen schwere Schutzwesten, kugelsichere Helme und Maschinenpistolen mitgeführt. Die Streifenpolizisten werden für solche Lagen ausgebildet. Das Kommando in einer Amoklage hat immer ausschließlich die Polizei, sie gibt den Schulangehörigen klare Anweisungen, wie sie sich verhalten sollen.
Wer kümmert sich um die Betroffenen?
Bei Großlagen werden immer auch Kriseninterventionsteams alarmiert, die psychologisch geschult sind. Sie hören zu und vermitteln in der stressigen Situation wichtige Informationen. Sie können auch zwischen der Polizei und den Eltern von Schülern vermitteln, damit Informationen nicht verloren gehen.
Auch bei den Bezirksregierungen und dem Schulministerium gibt es aber Strukturen für Notfälle, damit zum Beispiel der schulpsychologische Dienst eingeschaltet werden kann. Das Schulministerium hat aber auch eine über 300 Seiten lange Broschüre zu Krisenprävention an die Schulen geschickt. Darin stehen zum Beispiel Tipps für die Lehrkräfte, weil sie gerade in abgeschlossenen Klassenzimmern die ersten und zunächst einzigen Vertrauenspersonen für die Schüler sind. Dazu gehört unter anderem, dass sie den Betroffen zeigen, dass sie nicht alleine sind und dass auch zum Beispiel Weinen eine normale Reaktion und okay ist. Gleichzeitig sollen Floskeln wie "alles wird gut" vermieden werden.
Können Amoklagen verhindert werden?
In der Präventionsbroschüre stehen auch Handlungsempfehlungen zur Früherkennung von Gefahrenpotentialen bei Schülerinnen und Schülern. Die Polizei NRW hat seit 2022 ein Konzept zur Verhinderung Amoktaten. Anlass war unter anderem die Tat eines Mannes in Münster, der mit einem Transporter in ein Café in Münster gerast war. So werden zum Beispiel Personen erfasst, die Bücher zum Thema "Amok" ausleihen oder im Internet Taten androhen. Grundlage ist die Annahme, dass Täter meistens im Vorfeld Andeutungen über ihr Vorhaben machen, mündlich oder schriftlich. Bei der Analyse kommt auch die umstrittene Software "Palantir" zum Einsatz, die die Polizei seit 2022 nutzt. Sie verknüpft Informationen aus verschiedenen Datenbanken und hat so nach Angaben des Innenminsteriums zur Ergreifung eines Mannes geführt, der der Stadtverwaltung Siegen per Mail mit einem Amoklauf gedroht hatte.
Gibt es viele Amok-Lagen in NRW?
Amok-Taten sind statistisch gesehen sehr selten. Allerdings gab es vor allem in den vergangenen Wochen häufig Alarmmeldungen an Schulen wegen vermeintlich bewaffneter Personen. Manchmal findet die Polizei niemanden, im Fall von Hamburg waren Schüler mit Spielzeugwaffen unterwegs. Das Szenario, das das Stichwort auslöst, ist immer identisch. In NRW gab es zuletzt auch zahlreiche Bombendrohungen an Schulen. Gefunden wurde nie etwas, wer dahinter steckte, ist unklar.
Die Sicherheit an Schulen sei gewährleistet, aber jeder Fall sei einer zu viel, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nach der Messer-Amoktat im Februar 2024 an dem Gymnasium in Wuppertal. Verabredet mit den Schulen sei, dass die Polizei in solchen Fällen schnell und unmittelbar eingreife und die Schüler sich in Sicherheitsbereiche zurückziehen. Die Einführung von Metalldetektoren an Schulen lehnte Reul ab.