Das Attentat von München: Neues zu Täter und Opfern Aktuelle Stunde 14.02.2025 31:50 Min. Verfügbar bis 14.02.2027 WDR Von Carsten Upadek

Täter von München: Hatte sich Farhad N. radikalisiert?

Stand: 15.02.2025, 10:52 Uhr

Nach dem Anschlag von München geht es vor allem um den Hintergrund des Täters. Hatte sich der Afghane radikalisiert? Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen.

Lässig steht der junge Mann mit den kurzen dunklen Haaren neben dem weißen Mini. Einen Arm hat er stolz auf das Dach des Kleinwagens gelegt, lächelt freundlich in die Kamera. Dieses Bild war auf dem mittlerweile offline gestellten Instagram-Account des Mannes zu sehen. Nichts an diesem Bild wirkt bedrohlich. Und doch steuerte ebendieser junge Mann vor den Augen zahlreicher Zeugen am Donnerstag sein Auto in eine Menschenmenge in München und verletzte mindestens 39 Menschen, viele davon schwer.

Seit der Tat versuchen die Behörden vor allem zu klären, welches Motiv Farhad N. hatte. Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen zum mutmaßlichen Anschlag in München übernommen. Dabei steht vor allem eine Frage im Raum: Hatte sich der 24-jährige Asylbewerber Farhad N. radikalisiert? Darauf deuten offenbar die noch laufenden Ermittlungen hin. Nach Aussage der zuständigen Oberstaatsanwältin in München hat N. zugegeben, das Auto bewusst in die Menschenmenge gelenkt zu haben.

"Ich würde mich schon trauen, von einer islamistischen Tatmotivation zu sprechen", so die Oberstaatsanwältin Gabriele Tillmann. Gleichzeit gebe es aber keine Anhaltspunkte für eine "Eingliederung in eine islamistische Organisation".

Laut Behörden war der N. Ende 2016 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Sein Asylantrag wurde demnach 2020 abgelehnt und der junge Mann zur Ausreise aufgefordert. N. bekam jedoch eine Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis, durfte also ganz legal in Deutschland bleiben.

Bodybuilder und Ladendetektiv

Ein Blick in die Sozialen Medien zeigt, dass N. begeisterter Bodybuilder ist. Auf seinen Accounts bei TikTok und Instagram, die mittlerweile gelöscht wurden, postete er immer wieder Bilder von sich beim Training, mit nackten Oberkörper, aber auch im schicken Anzug oder vor einem teuren Auto. Dort folgten ihm tausende Nutzer. Sein Geld verdiente er laut Behörden unter anderem mit einem Job als Ladendetektiv. Seine Tante und sein Onkel, die etwa 120 Kilometer von München entfernt wohnen, erzählen im Gespräch mit dem WDR, dass N. in einem Supermarkt an der Kasse saß.

Dass er sich in der Zeit in Deutschland radikalisiert hat und einen Anschlag plante, ist für sie unvorstellbar. Farhad sei ein netter junger Mann. Das Wichtigste für ihn sei immer der Sport gewesen. Auch seine Schwester, die mit ihrer Mutter in Afghanistan lebt, sieht das so.

Tante glaubt nicht an Geständnis

Lida M. im Gespräch mit dem WDR | Bildquelle: WDR

Laut Aussagen von Farhads Tante, mit der WDR-Journalist Bamdad Esmaili gesprochen hat, mache es ihren Neffen noch lange nicht radikal, dass er gläubiger Muslim sei. Angesprochen auf das Geständnis was Farhad N. gegenüber der Staatswanwaltschaft München abgegeben hat, sagt Lida M.: "Auf keinen Fall glauben wir das. Das wird aus seinen Videos deutlich und den Sprachnachrichten, die er jeden Tag seiner Mutter schickt. Er ist so liebenswürdig. Wir akzeptieren nicht, dass er so ein Geständnis gemacht haben soll und das er so etwas getan haben könnte."

Der Tatverdächtige N. hatte seiner Mutter, die in Kabul in Afghanistan lebt, am Morgen vor der Tat eine Sprachnachricht geschickt. Der WDR konnte die Nachricht, die auf Persisch verfasst ist, hören: "Mutter, ich hoffe, es geht Dir gut. Möge es Dir immer gut gehen, meine liebste Mutter. Ich küsse Dich. Einen guten Morgen meine liebste Mutter, Ich habe dich sehr lieb, du liebste meines Herzens. Ich wünsche, dass Du immer bei mir bist."

Es gibt auch andere Stimmen, die anders über Fahrad N. berichten. So erzählt ein Freund von Farhad dem WDR, dass der 24-Jährige zwar sehr nett gewesen sei, er aber teilweise auch radikale Ansichten hatte. In den Sozialen Medien folgt er nach WDR-Recherchen auch islamistischen Predigern, die im Internet ihre radikalen Ansichten verbreiten.

Zahlreiche Faktoren für Radikalisierung

"Das kann ein Indiz dafür sein, dass sich eine Person radikalisiert", sagt der Extremismusforscher Maurice Döring vom Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC). "Dass jemand dann aber wirklich gewalttätig wird und in der realen Welt Gewalt anwendet, hängt mit mehr Faktoren zusammen." Dem gehe ein komplexer Prozess voran, der unter anderem durch Krisen oder Brüche in der Lebensgeschichte beeinflusst werde könne. "Dazu gehören Fluchterfahrungen, das Verlieren der Heimat, das Wegbrechen des sozialen Umfelds, aber auch der Verlust eines Elternteils", sagt Döring.

Mehrere dieser Faktoren treffen auf N. zu. Nach Informationen seiner Verwandten kam sein Vater bei Kämpfen in Afghanistan ums Leben. Als Teenager kam N. dann allein nach Deutschland. "Es braucht aber eben auch ein politisches Element in einem Radikalisierungsprozess, damit sich eine Person gegen die Gesellschaft wendet", sagt Döring. "Biografische Faktoren allein reichen als Erklärung nicht aus."

Zudem gebe es auch Faktoren, die eine Radikalisierung unwahrscheinlicher machten, wie ein stabiles soziales Umfeld, Anerkennung oder dass die Person in der Gesellschaft gut integriert sei. "Das ist kein linearer Weg, deshalb ist es auch so schwer, zu merken, wenn sich eine Person radikalisiert", sagt Döring. "Oder an welchem Punkt auffälliges Verhalten oder geäußerte Einstellungen als ein Warnsignal zu bewerten sind." Er empfiehlt Familien, Freunden und Bekannten, die eine solche Verhaltensänderung bemerken, sich an Beratungsstellen zu wenden, um die Zeichen besser einschätzen zu können.

Innenminister Reul wünscht sich mehr Austausch zwischen Behörden

NRW-Innenminister Herbert Reul in der Aktuellen Stunde | Bildquelle: WDR

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist schon einen Schritt weiter. Er wünscht sich, dass auch die Behörden schneller Informationen über solche Vorgänge bekommen. Im WDR-Fernsehen sagt er, man müsse auch prüfen, welche Grenzen der Datenschutz habe. Darüber werde schon lange diskutiert, aber zentrale Aufgabe sei, "wie können wir frühzeitig Informationen bekommen, wenn sich so was tut".

Ein Sprecher Reuls erläuterte dem WDR, es sei zum Beispiel sehr schwierig für die Sicherheitsbehörden, Informationen zu erhalten, wenn etwa jemand in psychiatrischer Behandlung sei. Das könne aber entscheidend sein, um potenzielle Täter rechtzeitig zu identifizieren. Damit wolle man nicht den Gesundheitsdatenschutz als solchen aushebeln, ein Informationsaustausch zwischen den Behörden sollte aber ermöglicht werden. 

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagentur dpa
  • Interview mit Maurice Döring vom Netzwerk für Extremismusforschung in Nordrhein-Westfalen
  • NRW-Innenministerium
  • Interview mit NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in der Aktuellen Stunde
  • Gespräche mit Angehörigen des Täters

Über dieses Thema berichtet der WDR am 14. Februar 2025 auch im Fernsehen: Unter anderem in der Aktuellen Stunde, 18:45 Uhr.