Unternehmen in NRW suchen händeringend Azubis. Ende Juli waren bei den Agenturen für Arbeit noch mehr als 44.900 unbesetzte Ausbildungsstellen gemeldet, wie die NRW-Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit heute in Düsseldorf mitteilte. Zugleich suchten mehr als 34.700 Jugendliche noch eine passende Stelle. Davon hatten rund 9.900 eine Alternative, falls es mit der Lehrstelle nicht klappt. Die Zahl der nicht besetzten Ausbildungsstellen stieg nach Angaben der Regionaldirektion damit um 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Aber nicht nur Azubis fehlen. In fast allen Branchen sind Unternehmen und Betriebe auch dauerhaft auf der Suche nach ausgebildeten Mitarbeitenden. Gerade bei jungen Bewerberinnen und Bewerbern beobachteten Arbeitgeber aber veränderte Vorstellungen und Erwartungen, sagt Hans Jörg Hennecke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer NRW.
Die vieldiskutierte Work-Life-Balance rückt gerade in der sogenannten Generation Z, die jetzt am Anfang ihres Arbeitslebens steht, immer mehr in den Vordergrund. Der Aspekt der Selbstentfaltung habe mittlerweile viel mehr Gewicht bekommen, sagt Hennecke, "Sinnerfüllung" bedeute heute für viele nicht mehr alleine der Beruf: "Der Arbeitsmarkt hat sich völlig gedreht." Die Azubis von heute könnten sich mehr oder weniger aussuchen, wo sie arbeiten wollen - und zu welchen Bedingungen.
Mehr Zeit für Familie und Freunde
So habe die ideale Arbeitswoche für viele junge Menschen etwa nur vier Tage - oder biete auch die Möglichkeit, teils im Homeoffice zu arbeiten. Einerseits, um mehr Zeit für sich zu haben, für eigene Kinder, um Kinderbetreuung besser organisieren zu können - was im Übrigen auch für Männer immer wichtiger werde. Aber auch, um so neben dem Beruf beispielsweise ein Ehrenamt übernehmen zu können.
Arbeitgeber müssten sich zunehmend auf solche Vorstellungen einstellen, sagt Hennecke. Das könne für viele Branchen auch positive Auswirkungen haben: Durch die Möglichkeit, flexibler zu arbeiten, kehrten vielleicht mehr Menschen zurück auf den Arbeitsmarkt, die das bislang aus verschiedenen Gründen mit ihrem Leben nicht vereinbaren konnten.
Auf vier Tage reduziert
Nicht jeder Arbeitgeber aber kann ohne Weiteres eine Vier-Tage-Woche anbieten. Mit Blick auf die Auftragslage würde er seine Mitarbeiter am liebsten mehr als weniger Tage beschäftigen, sagt Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer NRW. Dennoch hatte der Schornsteinfegermeister schon zwei Mitarbeitende, die auf eigene Initiative zu einer Vier-Tage-Woche wechselten: eine junge Frau, die die Zeit von fünf Arbeitstagen auf vier verdichten wollte, weil ihr Anfahrtsweg sehr lang war. Und ein junger Mann, der für entsprechend weniger Gehalt auf vier Tage reduzierte, um mehr Zeit mit seiner Lebensgefährtin verbringen zu können.
In beiden Fällen habe er "nur positive Erfahrung gemacht", sagt Ehlert. Eine individuelle Anpassung der Arbeitszeiten sei vernünftig, denn: "Der Bewerber, dem ich heutzutage keine Vier-Tage-Woche anbiete, wird nicht bei mir anfangen." Wenn eine junge Mutter in seinem Betrieb beispielsweise die Möglichkeit habe, auch mal am späten Nachmittag oder frühen Abend zu arbeiten, komme das auch vielen Kunden entgegen. Arbeitgeber müssten lernen, flexibel zu sein: "Der Lernprozess ging bei mir recht schnell."
Als Ausbilder attraktiver werden
In anderen Berufszweigen liegt diese neue Flexibilität der Arbeitgeber bislang wiederum eher in anderen Bereichen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Düsseldorf zum Beispiel stelle fest, dass ihre Mitglieder noch eher darauf setzen, als Ausbildungsbetriebe attraktiver zu werden, sagt Clemens Urbanek, Geschäftsführer Berufsbildung und Prüfungen. "Tendenziell sind sich die Betriebe bewusst, dass sie etwas tun müssen."
Dazu gehöre, Azubis von Anfang an mehr wie Team-Mitglieder zu behandeln: Ein Laptop auch für den privaten Gebrauch, einen Mentor, der sich persönlich kümmert "und guckt, wo können wir dich fördern?", eine Mitgliedschaft im Sportverein. Bewerbungen können per Whatsapp eingereicht werden und sollten schnell beantwortet werden, zählt Urbanek die Möglichkeiten weiter auf. "Es muss der Eindruck entstehen 'die sind cool, die kümmern sich um mich'". IHK-Umfragen zufolge mache mittlerweile jedes dritte Unternehmen solche Angebote, "und das ist sicher nicht zu ihrem Schaden".
Bessere Feedback-Kultur gefragt
Flache Hierarchien und eine "Duz-Kultur" im Unternehmen seien Jugendlichen sehr wichtig, weiß auch Judith Strücker, von "Einstieg", einer Kölner Agentur für Berufswahl. Ein ganz wichtiges Thema sei auch das Feedback. "Junge Menschen sind mit Sozialen Medien groß geworden. Da kann man alles sofort teilen, liken und kommentieren. Dieses unmittelbare Feedback in der Kommunikation sind sie gewöhnt", so Strücker gegenüber dem WDR. "Wenn die jetzt einen älteren Ausbilder haben, der sich sagt: 'nicht geschimpft ist gelobt genug' - dann wird es schwierig."
360 Ausbildungsberufe in NRW
Doch es gibt auch ein anderes Dilemma, warum die Suchenden auf beiden Seiten oft nicht zusammenkommen. Die Ausbildungsstellen die frei sind, werden nicht unbedingt von jungen Leuten gesucht. Warum nicht? Die Antwort ist simpel. Viele Berufe seien schlicht unbekannt, sagt Judith Strücker, die in der Agentur für das Thema Recruiting zuständing ist. "Es gibt in NRW rund 360 Ausbildungsberufe. Doch in der Regel sind die wenigsten davon den Bewerberinnen und Bewerbern bekannt," sagt auch der Vorsitzende der Geschäftsführung der NRW-Regionaldirektion, Roland Schüßler. "Auf der anderen Seite bewerben sich viele Jugendliche nur auf sehr wenige bekannte Berufsbilder."