Turbogeschwindigkeit statt Schneckentempo - das hat sich die Ampel-Regierung für wichtige Projekte vorgenommen. Klingt erst einmal gut. Doch wie so häufig im Leben steckt der Teufel im Detail. Seit Wochen streitet die Ampel nämlich darüber, für welche Bereiche dieser Turbo gelten soll. Die FDP will, dass auch Autobahnen schneller gebaut oder vergrößert werden. Nicht mit uns - sagen die Grünen. Die Folge: Statt Turbo herrscht erst einmal Stillstand. Am Sonntag könnte es wieder Thema im Kabinett sein.
Diesen Stillstand kennen viele Autofahrer in NRW. Zwar gibt es hier mit mehr als 2.000 Kilometern schon jetzt ein sehr dichtes Netz an Autobahnen. Trotzdem ist der Verkehr oftmals viel zu groß. Die Folge: NRW gilt als Stau-Land Nr. 1. Laut dem ADAC gab es 2022 in NRW die meisten Stau-Kilometer, die meisten Stau-Stunden und überhaupt die meisten Staus.
FDP will schnellen Autobahnausbau
Geht es nach Bundesverkehrsminister Volker Wissing und seiner FDP, soll das auch dadurch verhindert werden, indem besonders belastete Autobahnen schnell ausgebaut oder Lücken im Netz durch Neubau geschlossen werden. Vereinfacht gesagt: Für mehr Verkehr braucht es auch mehr Autobahnen.
Wissing sagt, dass vor allem der Gütertransport in Zukunft noch weiter zunehmen wird. Einen Teil könne zwar die Schiene übernehmen. Doch das reiche nicht. Laut einer Studie seines Ministeriums werde der Güterverkehr auf der Straße bis 2051 um 34 Prozent zunehmen. "Darum kämpfe ich dafür, dass bei Straße und Schiene schneller gebaut werden kann", sagt Wissing. "Stillstand im Infrastrukturbereich" könne nicht die Antwort sein.
Probleme für Unternehmen
Unterstützung kommt von Thomas Puls. Der Wirtschaftswissenschaftler vom Institut der deutschen Wirtschaft verweist ebenfalls auf den zunehmenden Lkw-Verkehr hin und sagte dem WDR: "Darauf muss man sich natürlich vorbereiten. Und das Netz, das irgendwann mal vor zig Jahren geplant wurde, passt nicht mehr unbedingt zu unserem Bedarf." Wenn an den Autobahnen nichts mehr getan werde, schade das der Wirtschaft.
In einer Studie hat Puls vergangenes Jahr herausgefunden, dass schon jetzt 80 Prozent der Unternehmen spüren, dass die Geschäftstätigkeit wegen Mängeln an der Infrastruktur beeinträchtigt ist. Und am weitesten verbreitet seien Probleme mit dem Straßenverkehr.
Zahlreiche Projekte zum Ausbau in NRW
Doch an welcher Stelle können Autobahnprojekte in NRW überhaupt beschleunigt werden? Tatsächlich gibt es mehrere Vorhaben, die bereits beschlossen wurden oder sogar schon gestartet wurden. Neben dem großen Neubauprojekt "Rheinspange", bei dem ein Tunnel unter dem Rhein gebaut werden könnte, gibt es mehrere Projekte, bei denen es um den Ausbau bestehender Autobahnen geht:
Das denken Anwohner vor Ort
Vor Ort stößt ein solcher Ausbau nicht immer auf Zustimmung. Das zeigt sich an der A40 in Mülheim an der Ruhr. Manche erhoffen sich durch das Projekt, einen besseren Lärmschutz. Doch es gibt auch andere Stimmen. "Ich bin absolut gegen den Ausbau. Einen sechsspurigen Ausbau brauchen wir hier gar nicht, weil das gefühlt gar nicht das Nadelöhr ist auf der A40, was tatsächlich Stau verursacht", sagt Anwohnerin Daniela Heilmann. Stattdessen solle das Geld lieber woanders investiert werden - zum Beispiel in das Schienennetz.
Auch in Leverkusen, wo die A3 zusätzliche Spuren bekommen soll, regt sich Widerstand. Zusammen mit der Lokalpolitik wehren sich Anwohner gegen die Verbreiterung und fordern wenigstens einen Tunnel.
Grüne wollen keinen weiteren Ausbau
Geht es nach den Grünen, soll es überhaupt keine zusätzlichen Autobahnspuren geben. Sie wollen stattdessen andere Dinge beschleunigen. "Die Sanierung und der Erhalt unserer Infrastruktur sind entscheidend für die Zukunft unseres Landes. Hier muss der Bund die Prioritäten setzen", sagt NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer und verweist auf Hunderte Brücken allein in NRW, die neu gebaut oder in Stand gesetzt werden müssen. "Knappes Geld und noch knappere Personalkapazitäten werden wir dort einsetzen müssen, wo sie am dringendsten gebraucht werden."
In der "Aktuellen Stunde" im WDR-Fernsehen betonte Krischer am Samstagabend, dass die Landesregierung keinen Einfluss auf den Autobahnausbau habe. "Wenn der Bund eine Autobahn bauen will, dann kann ich das nicht stoppen." Er könne höchstens auf eine andere Priorisierung drängen - speziell in der Frage der Sanierung maroder Autobahnbrücken. "Ich will nicht, dass uns der Bestand wegbröselt."
Unterstützung kommt von Mobilitätsforscher Andreas Knie. Er sagte dem WDR: "Wir haben schon jetzt zu viel an Straßen. Wir versiegeln mit Neubauten noch mehr wichtigen Naturraum. Das heißt, wir müssen tatsächlich lernen, mit dem, was wir an Straßen haben, auszukommen." Mehr Autobahnen bedeuteten auch mehr Verkehr und mehr Staus.
Laut einer Analyse von Greenpeace ist es so, das eine Erweiterung von Autobahnen um zusätzliche Spuren das Staurisiko nicht senkt. In der Umgebung der Autobahnen würden Staus sogar häufiger. Diese Analyse weise erstmals systematisch nach, dass die Beseitigung von Engpässen auf Autobahnen weitere Engpässe schaffe. Breitere Autobahnen sorgten für mehr Verkehr und noch mehr Stau. "Das schadet dem Klima und verschwendet Steuergelder, die wir dringend für den Ausbau der klimafreundlichen Bahn brauchen", sagt Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Gehrs.
Minister-Klausur könnte Lösung bringen
Wie der Konflikt innerhalb der Ampel gelöst werden soll, ist noch offen. Die Fronten scheinen verhärtet zu sein. So wirft die FDP den Grünen vor, einen "ideologischen Kampf" gegen die Straße zu führen. Über die FDP heißt es im Gegenzug, sie sei eine "Beschleunigungsbremse".
Ab Sonntag trifft sich das Kabinett zu einer zweitägigen Klausur. Strittige Themen wie der Autobahnausbau könnten dann angesprochen werden.