Wie geht es den Bauern und Bäuerinnen wirklich?!

Aktuelle Stunde 09.01.2024 02:44 Min. UT Verfügbar bis 09.01.2026 WDR Von Andrea Moos

Bauernproteste: Geht es den Landwirten wirklich so schlecht?

Stand: 09.01.2024, 21:47 Uhr

Die Bauern begründen ihren Protest mit ihrer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Aber ist die wirklich so schlecht?

In der Landwirtschaft verdient man eh schon wenig, und nun verschlimmert die Regierung mit gekürzten Privilegien bei Steuer und Kraftstoff die Lage noch weiter - mit diesem Narrativ rechtfertigen die Landwirtschaftsverbände die aktuellen Proteste. "Es reicht! Wir werden jetzt kämpfen!", rief beispielsweise Joachim Rukwied, Präsident des deutschen Bauernverbandes (DBV), seinem Publikum bei einer Kundgebung im Dezember zu.

Und auch nachdem sich die Bundesregierung kompromissbereit zeigte und vergangene Woche einen Teil der Kürzungen für die Bauern wieder zurücknahm, reichte das den Bauern nicht. "Unsere Position bleibt unverändert: Beide Kürzungsvorschläge müssen vom Tisch", sagte Rukwied. Es gehe "ganz klar" auch um die Zukunftsfähigkeit der Branche.

Wirtschaftslage für Bauern derzeit "erheblich verbessert"

Zumindest was die wirtschaftliche Situation angeht, sieht es derzeit in der Landwirtschaft allerdings ganz gut aus - das sagt sogar der Bauernverband selbst. Im Wirtschaftsjahr 2022/23 hat sich die die Situation laut einem DBV-Bericht von Dezember 2023 "erheblich verbessert". Im Durchschnitt hätten Bauern im Haupterwerb einen Gewinn von 115.400 Euro erzielt. Ein "Allzeithoch", und rund 45 Prozent mehr als im Vorjahr.

NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) relativierte gegenüber dem WDR am Montag diese Zahlen. Das vergangene Wirtschaftsjahr sei das erste "nach vielen Jahren" gewesen, in denen die Betriebe "auskömmlich" hätten wirtschaften können. "Die Bauern brauchen hin und wieder ein Jahr, in dem mehr Geld reinkommt, um die Lücken, die in den Vorjahren entstanden sind, wieder stopfen zu können."

Jeder Bauer erhält durchschnittlich 40.000 Euro Zuschüsse im Jahr

Die Landwirtschaft gehört traditionell zum Wirtschaftszweig, der am meisten Subventionen bekommt. Allein aus EU-Töpfen erhielten die deutschen Landwirte und Fischereibetriebe 2022 laut Angaben des Landwirtschaftsministeriums 7 Milliarden Euro. Bei 315.000 Empfängern macht das durchschnittlich über 22.000 Euro Zuschüsse aus Brüssel. Dazu kommen noch diverse Bundesmittel wie etwa die "Bauernmilliarde", die 2020 beschlossen wurde und für Investitionen genutzt werden soll.

Auch von Corona-Hilfen konnten viele Bauern profitieren. Dazu kommen Bundes- und Landeszuschüsse in die Unfall- und Rentenkasse, aber auch Vergünstigungen und Privilegien wie die jetzt diskutierte Förderung beim Agrardiesel. Insgesamt erhalten die deutschen Bauern im Schnitt über 40.000 Euro Subventionen, Beihilfen, Zuschüsse und Erleichterungen.

Warum überhaupt Subventionen?

Verschiedene Packungen Butter

Nicht nur bei den Milchpreisen gibt es ein großes Auf und Ab

Sinn der Subventionen ist unter anderem, den Bauern "eine angemessene Einkommensbasis zu sichern", wie das Landwirtschaftsministerium schreibt. Angesichts der starken Schwankungen bei den Lebensmittelpreisen ist es schwierig, mit stetigen Einnahmen zu kalkulieren. Nehmen wir zum Beispiel den Rohmilchpreis. Der stieg 2022 laut Angaben der Milcherzeuger auf ein Rekordhoch von 53 Cent pro Liter, was dazu führte, dass beispielsweise ein halbes Pfund Butter im Supermarkt teilweise über drei Euro kostete. Die Verbraucher stöhnten, aber die Bauern profitierten damals. Seitdem ist der Preis wieder gesunken, was die Verbraucher freut, die Bauern jedoch klagen lässt.

Fakt ist aber: In der Landwirtschaft haben die Erzeuger einen geringeren Einfluss auf die Endpreise als in anderen Branchen. Steigende Kosten können nicht umgehend über höhere Preise aufgefangen werden. Ein strukturelles Problem, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag in einem Videostatement auf X (früher "Twitter"): "Bauern können ihre Produktionskosten oft nicht weitergeben, weil die Preise nicht von ihnen gemacht werden." Der Milchpreis etwa bildet sich in einem komplizierten Prozess, in dem der tägliche Wert auf Terminbörsen genauso eine Rolle spielt wie die Verhandlungen zwischen den Molkereien, an die die Bauern ihre Milch verkaufen, und dem Handel.

Keine Alternativen zum Agrardiesel

Die von der Bundesregierung beschlossene Abschaffung der Steuererleichterung für Agrardiesel trifft die Bauern direkt. Denn es gibt keine Alternativen, auf die sie ausweichen können. Der Traktor muss fahren, die Landmaschine laufen - dafür braucht es Diesel. Wie groß die Einbußen durch die beschlossenen Kürzungen sind, ist schwer abzuschätzen und hängt stark von der Betriebsart und -größe ab. Laut Bundesregierung erhielten die deutschen Bauern zuletzt im Schnitt Agrardieselbeihilfe von 2.900 Euro im Jahr pro Unternehmen.

Ob dadurch ein Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen EU-Ländern entsteht, die ihren Bauern weiterhin eine Agrardieselsubvention zahlen, ist schwer abzuschätzen. Denn auch hier gilt: Sowohl die Betriebsstruktur als auch die Höhe der Subventionen ist sehr unterschiedlich. So erhielten 2019 laut EU-Kommission deutsche Höfe im Schnitt 22.845 Euro, polnische aber nur 3.264 Euro. In Dänemark hingegen erhielten die Bauern im Schnitt 28.120 Euro pro Hof.

"Nicht die wirtschaftliche Not treibt die Bauern auf die Straße"

Der Ökonom Klaus Müller vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg sagte dem RBB, jede Kostensteigerung führe dazu, dass sich die Position der deutschen Landwirte im internationalen Wettbewerb verschlechtere. Auch der Agrarexperte Wolfgang Reimer kann die Bauernproteste nachvollziehen, da die geplanten Kürzungen die Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen überproportional träfen. 

Allerdings macht er auch eine Einschränkung: "Nicht die wirtschaftliche Not treibt die Bauern auf die Straße, sondern das Empfinden, dass es ungerecht ist, wenn bei einer Branche richtig zugepackt wird und die anderen wieder verschont werden", sagte er dem Evangelischen Pressedienst.

Michael Uckelmann hat einen Hof in Dülmen. Als Vizepräsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes kennt er aber auch die Stimmungslage bei den Bauern in der ganzen Region. Viele, sagt er, haben echte Existenzangst.

Die finanzielle Situation in den Betrieben ist angespannt. Wir sehen, dass mehr und mehr Betriebe aus der Landwirtschaft aussteigen und ihre Höfe aufgeben. Gerade kleinere Betriebe werfen das Handtuch. Michael Uckelmann, Vizepräsident Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband

Immer weniger Betriebe

Tatsächlich geht die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland seit Jahrzehnten zurück. Waren es 1991 noch mehr als 640.000, wurden bei der letzten Erhebung 2020 nur noch gut 263.000 gezählt. Aufgegeben haben vor allem kleine Betriebe, andere wachsen dafür. Das müssen sie auch, um rentabel zu bleiben, sagt der Agrarökonom Stephan von Cramon.

Denn auch in der Landwirtschaft steigen die Kosten, die Lebensmittelpreise aber kaum. "Im langfristigen Trend sinken die Preise. Dann kriege ich diese Erlöse und Gewinnsteigerungen nur dadurch, dass ich mehr Menge produziere. Dafür brauche ich mehr Fläche."

Der Agrarökonom spricht von Strukturwandel. Den es nicht nur in Deutschland gebe, sondern weltweit. Die Subventionspolitik der EU unterstütze diesen Prozess allerdings noch. Bauern erhalten Flächenprämien. "Wer mehr Hektar hat, erhält auch mehr Zahlungen. Das wird den Strukturwandel aber nicht aufhalten."

Heißt: Vielen Großen geht es durchaus gut - den Kleineren geht's an den Kragen. Zumindest ein Teil dieser Flächenprämien soll jetzt aber gestrichen werden - was bei Landwirten auch für Unmut sorgt. Mit dem Geld will die EU stattdessen ökologische Projekte in der Landwirtschaft fördern.

Über dieses Thema haben wir unter anderem auch am 08. und 09.01.2024 im Fernsehen und im Radio berichtet.