Kommunen, Polizei und Justiz in NRW berichten ein Jahr nach der Teillegalisierung von Cannabis von mehr Arbeit und schwierigeren Kontrollen. Die Zahl der Straftaten im Bereich Cannabis ist laut NRW-Innenministerium im Jahr 2024 um 53 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken.
Ein Grund dafür ist, dass ein Großteil der vormaligen, kleineren Konsumdelikte nun nicht mehr unter Strafe steht. Die Justiz kritisiert das Cannabis-Gesetz als "Bürokratiemonster".
Illegaler Handel schwerer nachweisbar
Die Teillegalisierung mache "gezielte, personalintensivere Maßnahmen der Polizei erforderlich", teilt ein Sprecher des NRW-Innenministeriums auf WDR-Anfrage mit. Durch die nun legalen Mengen sei das Risiko für illegale Händler geringer, viele hätten nun sogar mehr bei sich als vor der Legalisierung.
"Im Kontext der geringen Strafen, der erschwerten Nachweisbarkeit, einer gleichbleibend hohen Nachfrage und einer sinkenden Hemmschwelle für den Erstkonsum ist der Tatanreiz zum illegalen Handel nach der Teillegalisierung größer als vorher", so der Sprecher weiter.
Polizei muss sich umstellen
"Wir müssen nun genauer hinschauen, weil nicht mehr alles automatisch strafbar ist", sagt Claudia Suthor, Sprecherin der Polizei im Rhein-Kreis Neuss. "Das war für die Kollegen eine Umstellung."
Michael Mertens, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei NRW, konstatiert: "Die organisierte Kriminalität hat spürbar zugenommen, weil der Schwarzmarkt blüht." Die durch das Gesetz beabsichtigte Eindämmung des Schwarzmarktes hält auch das Innenministerium für "mehr als zweifelhaft."
Justiz beklagt kompliziertes Gesetz
Der im Vorfeld von der NRW-Justiz erwartete Mehraufwand durch die Teillegalisierung hat sich ein Jahr danach aus Sicht der Verantwortlichen bestätigt. Nach Angaben des NRW-Justizministeriums mussten rund 86.000 Verfahren im Zusammenhang mit Cannabis-Delikten teils "händisch überprüft" werden.
Die Zahl der Verfahren sei zwar gesunken, aber die Verfahren an sich seien aufwändiger, sagt Gerd Hamme, Vorsitzender des Richterbundes NRW: "Das Gesetz ist ein Bürokratiemonster und sorgt für mehr Arbeit als vorher." Viele Regelungen seien zu kompliziert und kaum umsetzbar. Außerdem seien viele neue Rechtsfragen aufgetaucht, die erst durch mehrere Gerichtsinstanzen geklärt werden müssten, erklärt Hamme.
Kritik an kaum kontrollierbaren Regeln
Viele Städte wie auch die Polizei kritisieren, dass die gesetzten Abstandsregeln für Cannabis-Konsumenten - mindestens hundert Meter zu Schulen, Kitas oder Spielplätzen - kaum kontrollierbar seien. "Für die Kontrolle aller Regeln könnte man je nach Stadt das halbe Ordnungsamt beschäftigen - das können sie nicht leisten", betont Helmut Dedy vom NRW-Städtetag. Die zugesagte Unterstützung der Landesregierung für den Mehraufwand sei bisher ausgeblieben.
Die meisten der stichprobenartig angefragten Städte in NRW kontrollieren etwa die Abstandsregeln nur im Rahmen ihrer normalen Streifen. In Bonn wurden bisher in 28 Fällen Bußgelder verhängt, in Bielefeld gab es 21 Verstöße, in Siegen 19 und in Mönchengladbach sieben. Viele Kommunen berichten von einem eher unauffälligen Lagebild.
Lange Prüfdauer für Cannabis-Clubs
Landesweit gibt es derzeit 60 genehmigte Anbauvereinigungen für Cannabis. Das hat eine WDR-Abfrage bei den fünf Bezirksregierungen in NRW ergeben. 84 Anträge werden aktuell geprüft.
Eine Prüfung dauert bislang im Durchschnitt mehrere Monate. Weil die Betreiber im Vorfeld eine Vielzahl von Voraussetzungen erfüllen müssen, seien die Verfahren "herausfordernd", "langwierig" und "komplex", heißt es von den Behörden.
Viele der Konsumenten und Club-Mitglieder sind froh, dass sie nun legal konsumieren können und sauberes Cannabis bekommen, das regelmäßig von den Bezirksregierungen kontrolliert wird - etwa beim Club "Joints Venture" in Bielefeld, der als erster Club NRW-weit Ende September 2024 an den Start gegangen ist.
Bürokratische Hürden fördern Schwarzmarkt
Die Bielefelder Club-Betreiber kritisieren allerdings die zahlreichen bürokratischen Hürden für ihren Betrieb: Jede Anbauvereinigung darf maximal 500 Mitglieder haben. Damit der Verein das Cannabis zu konkurrenzfähigen Preisen an die Mitglieder abgeben kann, gibt es deshalb eine monatliche Mindestabnahme von zwölf Gramm. Für Gelegenheitskonsumenten sei das aber zu viel, berichten Mitglieder. Die müssten sich ihr Gras weiter auf dem Schwarzmarkt beschaffen.
Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei NRW ist deshalb ernüchtert: "Die Cannabis-Clubs werden die Zahl der Konsumenten und den Bedarf an Cannabis nicht abdecken können. Viele Konsumenten müssen ihren Stoff deshalb weiter illegal kaufen, auch weil er auf dem Schwarzmarkt günstiger ist."
Laumann fordert Nachbesserungen
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sieht sich in seiner Kritik an der Teillegalisierung bisher bestätigt: "Die Hoffnung, Cannabis aus der Illegalität, aus dem Schwarzmarkt herauszuholen, hat sich bisher in keinster Weise bestätigt."
Laumann hofft, dass die angehende neue Bundesregierung das Cannabis-Gesetz "in vernünftige Bahnen bekommt". Wenn ein Verbot nicht durchsetzbar sei, sei zumindest eine verstärkte Prävention nötig und Maßnahmen, um den Schwarzmarkt für Cannabis einzudämmen. Die Haltungen der potentiellen Koalitionspartner CDU/CSU und SPD dazu könnten jedoch kaum weiter auseinander sein.
Kriminalitätsbilanz - 1 Jahr legales Cannabis in NRW. WDR Studios NRW. 01.04.2025. 03:09 Min.. Verfügbar bis 01.04.2027. WDR Online.
Unsere Quellen:
- WDR-Interview mit Karl-Josef Laumann, NRW-Gesundheitsminister
- WDR-Interview mit Michael Mertens, Gewerkschaft der Polizei NRW
- WDR-Interview mit Claudia Suthor, Polizei Rhein-Kreis Neuss
- WDR-Interview mit Gerd Hamme, Richterbund NRW
- WDR-Interview mit Helmut Dedy, Städtetag NRW
- NRW-Innenministerium
- NRW-Justizministerium
- NRW-Bezirksregierungen
- Cannabis-Club "Joints Venture" Bielefeld
Über das Thema berichten wir am 01.04.2025 auch im Radio, u.a. im WDR 5 Morgenecho sowie im WDR Fernsehen in der Aktuellen Stunde, 18.45 Uhr.