Die Ampel-Koalition ist Geschichte: Die erste Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene ist am Mittwochabend nach einem heftigen Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik zerbrochen.
Auf die Frage, wie es nun weitergehen soll, gibt es unterschiedliche Antworten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, dem Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, über die das Parlament im Januar abstimmen soll. Ziel sei eine Neuwahl des Bundestages bis Ende März.
CDU-Chef Friedrich Merz
CDU-Chef Friedrich Merz ist mit diesem Zeitplan nicht einverstanden. Er forderte am Donnerstag von Kanzler Scholz, die Vertrauensfrage sofort, spätestens kommende Woche, zu stellen. Eine Neuwahl sei in der zweiten Januar-Hälfte möglich.
Worum geht es bei der Vertrauensfrage?
Die Vertrauensfrage ist ein Mittel, das ein Bundeskanzler einsetzen kann, um zu prüfen, ob die Mehrheit des Bundestages seine Regierung noch unterstützt. Sie kann aber auch - wie jetzt - dazu führen, den Weg zu einer Neuwahl einzuleiten.
Zuletzt hat dies Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2005 gemacht. Es war eine von fünf Vertrauensfragen in der Geschichte der Bundesrepublik.
Ob ein Bundeskanzler diese Frage stellt, liegt in seinem Ermessen. Scholz hätte auch die Möglichkeit, bis zum regulären Wahltermin im September 2025 eine Minderheitsregierung zu führen. Doch er hat sich für Neuwahlen entschieden.
Wie läuft das Stellen einer Vertrauensfrage ab?
Das Verfahren der Vertrauensfrage ist im Grundgesetz geregelt und umfasst verschiedene Schritte:
- Schritt 1: Der Bundeskanzler stellt im Bundestag den Antrag nach Artikel 68 Grundgesetz, ihm das Vertrauen auszusprechen. Scholz will das im neuen Jahr in der ersten Sitzungswoche tun.
- Schritt 2: Nach dem Antrag kann der Bundestag frühestens 48 Stunden später darüber abstimmen. Laut Scholz soll das am 15. Januar 2025 passieren.
- Schritt 3: Nach einer verlorenen Vertrauensfrage kann der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen.
- Schritt 4: Der Bundespräsident kann daraufhin den Bundestag auflösen. Er muss es aber nicht. Für die Beantwortung dieser Frage hat er 21 Tage Zeit. Lehnt er eine Auflösung ab, bleibt es bei einer Minderheitsregierung. Löst er den Bundestag auf, kommt es zu einer Neuwahl.
- Schritt 5: Die Wahl zu einem neuen Bundestag muss innerhalb von 60 Tagen nach der Auflösung des Bundestages stattfinden. Kanzler Scholz würde auf Ersuchen des Bundespräsidenten geschäftsführend im Amt bleiben, bis ein neuer Bundestag einen neuen Kanzler gewählt hat.
Mit welchem Personal arbeitet die Regierung weiter?
Nach Platzen der Ampel-Koalition sind drei FDP-Minister nicht mehr Teil der Bundesregierung: Finanzminister Christian Lindner ist von Kanzler Scholz entlassen worden. Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger haben ihren Rücktritt eingereicht.
Bleibt in Regierung: Verkehrsminister Volker Wissing
Ein FDP-Amtsträger sorgt jedoch für eine Überraschung: Verkehrsminister Volker Wissing will im Kabinett bleiben und aus der FDP austreten. Kanzler Scholz hat ihn zuvor gefragt, ob er im Amt bleiben wolle. Er will der Regierung künftig als Parteiloser angehören. Wissing hatte zu Beginn des Monats in der FAZ einen Gastbeitrag geschrieben mit dem Titel "Ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän".
Nachfolger des entlassenen Finanzministers Lindner ist der bisherige Wirtschaftsberater des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), Jörg Kukies. Der Sozialdemokrat Kukies ist derzeit Staatssekretär im Kanzleramt und gilt als einer der wichtigsten Berater von Kanzler Scholz.
Die Posten von Justizminister Buschmann und Bildungsministerin Stark-Watzinger werden nach DPA-Informationen voraussichtlich von Ministern übernommen, die bereits dem Kabinett angehören.
Ist das Ende der Ampel auch das Ende der Regierung?
Nein, das Ende einer Koalition bedeutet nicht automatisch auch das Aus für die Bundesregierung: Scholz will bis zu den Neuwahlen in einer Minderheitsregierung mit den Grünen weiterregieren. Das hat allerdings Konsequenzen für sein Vorgehen.
Scholz will bis Weihnachten alle Gesetzentwürfe zur Abstimmung stellen, die aus seiner Sicht "keinerlei Aufschub" dulden. Dafür muss er nun bei jedem Gesetzesvorhaben um die Unterstützung einzelner Parteien beziehungsweise Fraktionen werben, damit die nötigen Mehrheiten zustande kommen. Denn ohne die FDP hat er keine Mehrheit mehr im Bundestag.
Was will Scholz bis Jahresende noch erreichen?
Kanzler Scholz hat angekündigt, dass er bis Weihnachten noch einige Gesetzesprojekte im Bundestag zur Abstimmung stellen, die ihm wichtig sind. Er hofft dabei auf die Unterstützung von CDU-Chef Merz. Es geht unter anderem um folgende Projekte:
- Steuerliche Entlastungen: Scholz möchte, dass der Effekt der Inflation bei der Einkommensteuer ausgeglichen wird. Dadurch sollen die Arbeitnehmer "ab dem 1. Januar mehr Netto vom Brutto haben", so der Kanzler.
- Rentenpaket: Der Kanzler möchte die Stabilisierung der gesetzlichen Rente erreichen. Der Bundestag hat sich Ende September in erster Lesung mit dem seit langem vorbereiteten Rentenpaket befasst.
- Asylpolitik: Scholz will die schnelle Umsetzung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Am Mittwochvormittag noch hatte die Koalition dazu zwei Gesetzesänderungen beschlossen.
- Hilfen für die Industrie: Bis Jahresende will Scholz nun die Netzentgelte für Unternehmen deckeln. Zudem sollen Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gesichert werden.
Was ist mit dem Haushalt?
Was aus dem Bundeshaushalt 2025 wird, ist noch unklar. Denn dafür fehlt jetzt eine Mehrheit der Ampel. Dass die Union nun für eine Mehrheit sorgt, gilt als unwahrscheinlich.
Wird kein Haushalt beschlossen, würde ab Januar eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen.
In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien aber bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen DPA, AFP, Reuters
- Artikel zu Scholz-Ankündigung der Vertrauensfrage von tagesschau.de
- Artikel zur Merz-Forderung nach Vertrauensfrage von tagesschau.de
- Artikel zum Weg zur Neuwahl von tagesschau.de
- Artikel zu Wissing von tagesschau.de
- Artikel zu den Folgen des Ampel-Aus von tagesschau.de
- Gastbeitrag von Wissing in der FAZ