Am Dienstag haben ohne Beteiligung der Ukraine und ihrer europäischen Unterstützer in Saudi-Arabien Gespräche über eine mögliche Beendigung des Ukraine-Kriegs stattgefunden. US-Außenminister Rubio und der russische Außenminister Lawrow sprachen auch über ein baldiges Treffen ihrer Präsidenten Trump und Putin. Was wollen die beiden Supermächte wirklich? Und was bedeutet das für Europa?
Jahrzehntelang hatten viele keinen Zweifel daran, dass die USA und Europa Freunde sind. Dass man sich aufeinander verlassen kann. Dass sie die selben Werte teilen, an einem Strang ziehen. Ein fester Beistandspakt, besiegelt durch die NATO. Spätestens seit der Sicherheitskonferenz in München steht fest: Da ist etwas gehörig ins Wanken geraten.
Stehen die USA den Europäern noch bei? Und wenn nicht: Wie geht es für Europa weiter? Ein Überblick zu den wichtigsten Fragen.
Was ist bei der Sicherheitskonferenz in München passiert?
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz zerstörte der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance in seiner Rede das Bild der Freundschaft und gemeinsamer Werte zwischen Amerika und Europa der vergangenen Jahrzehnte: Europa sei Gegner der USA. Vance prangerte in den EU-Demokratien einen Verlust von Demokratie und Meinungsfreiheit an - die Europäer trauten ihren Ohren nicht. US-Präsident Donald Trump bezeichnete danach die Rede seines Vize als "brillant".
Vance' Rede mischte sich auch in den deutschen Wahlkampf. Schon Elon Musk, Berater der neuen US-Regierung, hatte für die AfD Wahlkampfwerbung gemacht. Und Vance riet deutschen Politikern dazu, mit allen Parteien zu kooperieren. Subtil warb er für die Interessen der Tech-Milliardäre, die bei Trumps Amtseinführung in der ersten Reihe standen. Darunter auch Musk, Besitzer der Social-Media-Plattform X mit einem Status als "besonderer Regierungsangestellter", dem es nicht gefällt, dass die EU X stärker kontrollieren will.
Wirtschaft und militärische Unterstützung: Wo kriselt es zwischen den USA und Europa?
Die Beziehungen zwischen den USA und Europa sind derzeit sehr angespannt. Der US-Präsident hatte gleich nach dem Amtsantritt Sonderzölle auf alle Stahl- und Aluminium-Einfuhren erlassen.
Zudem hat Trump ohne Absprache mit den Verbündeten - was völlig unüblich ist - zum Hörer gegriffen, um mit Russlands Präsidenten Putin über ein mögliches Ende des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zu sprechen. Dabei stellte er klar, dass die USA einen möglichen Frieden in der Ukraine nicht mit eigenen Truppen schützen wollen. Er gestand Russland zu, dass die Ukraine bei den Gesprächen nicht direkt dabei sein solle, und erklärte, dass er die EU in keiner zentralen Verhandlungsrolle sehe.
Claudia Major, Expertin für Sicherheitspolitik bei der Stiftung "Sicherheit und Politik", dazu: "Das heißt, wir werden wahrscheinlich mit dem Ergebnis leben müssen, was die USA und Russland über unsere Köpfe hinweg verhandeln."
"Das ist eine sehr bittere Perspektive." Claudia Major, Expertin für Sicherheitspolitik
Was steht bei den Verhandlungen für Europa auf dem Spiel?
Die Sorge ist berechtigt, dass Putin zu Ungunsten von Europa und der Ukraine verhandelt. Claudia Major sagt, Russland habe seine Ziele mehrfach klar deutlich gemacht. "Russland hat gesagt, es zweifelt an, dass die Ukraine überhaupt ein unabhängiger Staat ist. Das heißt, es möchte die Eigenständigkeit der Ukraine aufheben und sie als eine Art Vasallenstaat Russland anschließen."
Russland habe außerdem gesagt, dass es die Sicherheitsregeln - also, wie wir Sicherheit in Europa organisieren - verändern wolle. "Es möchte beispielsweise eine Pufferzone schaffen zwischen Russland und der alten NATO. Die neuen Mitgliedstaaten, wie die baltischen Staaten und Polen zum Beispiel, sollen keinen NATO-Schutz mehr haben."
"Es geht also nicht nur um die Ukraine, es geht auch um Europa." Claudia Major, Expertin für Sicherheitspolitik
Was wollen die USA im Gespräch mit Russland erreichen?
Nach dem aktuellen Stand der Verhandlungsbemühungen, so Major, würden die USA die wichtigsten russischen Forderungen erfüllen, "bevor die Verhandlungen überhaupt anfangen. Die US-Regierung hat gesagt, es gibt keinen NATO-Beitritt für die Ukraine, die besetzten Gebiete werden so bleiben." Das wurde heute in Riad von Seiten Russlands erneut bekräftigt.
Das führe letztlich dazu, dass ein nächster Krieg in Europa wahrscheinlicher werde, sagt Major. "Wenn Russland die Fähigkeiten hat - vom Panzer bis zum Soldaten - seine Ziele zu erreichen, wird es das immer wieder versuchen."
Während für Europa die Sicherheit auf dem Spiel steht, gehe es aus US-Sicht darum, einen Deal zu machen, sagt Sicherheitsexpertin Major. "Einen Erfolg für Donald Trump zu haben, vergleichbar mit dem Gaza-Deal." Spiegel Online erinnert in einem Kommentar an einen weiteren Deal von Trump. Der hatte in seiner ersten Amtszeit in Katar mit den Taliban einen Vertrag über Wege zu einem Frieden in Afghanistan unterzeichnet. Daraufhin zog sich das US-Militär überstürzt aus Afghanistan zurück - Chaos brach aus, für das ein Bericht Trump verantwortlich macht. Auch dreieinhalb Jahre nach dem chaotischen Abzug der Truppen ist die Lage dort prekär.
In der ARD-Doku "Was bewegt Deutschland?" erinnert sich der ehemalige außenpolitische Berater von Angela Merkel, Christoph Heusgen, an ein Treffen mit Jared Kushner, dem Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump. Dabei habe er die transatlantischen Beziehungen gelobt. Kushners Antwort damals habe ihn geschockt, ihm aber die US-Politik unter Trump sehr gut erklärt:
"Pass auf, Christoph, wir sind Geschäftsleute. Wir werden auch wieder Geschäftsleute sein. Im Geschäft sind wir so: einen Tag sind wir Freund, und am nächsten Tag sind wir Gegner." Christoph Heusgen, ehemaliger außenpolitischer Berater von Angela Merkel
Welche Konsequenz ziehen die Europäer?
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich am Montag kurzfristig in Paris getroffen, um über die Sicherheit in Europa zu sprechen - und gingen ohne Ergebnis auseinander. Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte, dass über die Köpfe der Ukrainer hinweg über mögliche Ergebnisse von Friedensgesprächen gesprochen werde, die noch gar nicht stattgefunden hätten.
Damit stellt sich Scholz unter anderem gegen den britischen Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Starmer war vorgeprescht: Er sei "bereit und willens", notfalls Soldaten in das von Russland angegriffene Land zu entsenden. Auch Frankreich soll vor längerem die Bereitschaft zu Truppenentsendungen bekundet haben. Außenminister Jean-Noël Barrot sprach von "drei großen Armeen" - aus Frankreich, Großbritannien und Polen - die einen "dauerhaften Frieden" in der Ukraine gewährleisten sollen, sagte er dem Sender LCI.
Was macht den Deutschen Sorgen?
In Deutschland machen sich die Menschen währenddessen Sorgen um die Zukunft Europas. WDR 2 hat Bürgerinnen und Bürger in Essen befragt, wie sie die aktuelle Entwicklung einschätzen. "Ich habe immer gesagt: der Krieg ist zu Ende, wenn die Amerikaner es wünschen. Jetzt tun sie es auf eine Art und Weise, die die Europäer ausschließen soll und alle sind vollkommen überrumpelt“, sagt Katharina aus Essen. Und Iris Wernecke aus Essen empfindet den unberechenbaren Trump als Risiko.
Auch eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht beschäftigt die Gemüter. Die Forderungen nach EU-Truppen in der Ukraine zur Kontrolle des Waffenstillstandes nach dem Vorbild von UN-Blauhelmen ergibt für Jan Wentzel aus Witten Sinn - obwohl er selbst "dabei ein komisches Gefühl" hat.
Es kursiert der Vorschlag, dass Russland bislang besetzte Gebiete in der Ost-Ukraine behalten soll und EU-Truppen den Frieden vor Ort sichern sollen. Eine Abtretung der Gebiete hält Victor Hahn, gebürtiger Russe, wohnhaft in Essen, nicht für gut: "Aber es wird wohl nicht anders gehen, weil Russland stark ist. Und die Europäer sind nicht in der Lage, die Ukraine zu verteidigen."
Christian Mölling von der Bertelsmann-Stiftung diagnostiziert aktuell eine große Angst-Debatte in Deutschland. Hinzu käme, dass gerade im Wahlkampf niemand mit Aussagen über Engagements eine Flanke bieten will. Nach der Wahl werde das anders laufen müssen:
"Die Deutschen müssen sagen, was sie bereit sind, aufzugeben." Christian Mölling, Direktor von "Europas Zukunft" bei der Bertelsmann-Stiftung
Scholz hatte sich in Paris für eine Lockerung der Ausgabenregelungen auf deutscher und europäischer Ebene ausgesprochen. "Es ist ganz klar, dass unsere fortgesetzte und weiter notwendige Unterstützung für die Ukraine nur möglich ist, wenn wir uns entschließen können, das gesondert zu finanzieren", sagt Scholz. Eine Finanzierung durch Kürzungen an anderer Stelle im Bundeshaushalt würde scheitern und keine Unterstützung in der Bevölkerung finden.
Unsere Quellen:
- WDR 5 Interview mit Claudia Major am 17.02.2024
- WDR 2 Interview mit Christian Mölling, Bertelsmann-Stiftung
- Telefonat mit Olaf Kramer, Rhetorikprofesor Uni Tübingen, am 17.02.2025
- Nachrichtenagentur dpa
- Berichte von tagesschau.de
- X-Post von Taylor Budowich
- Spiegel-Kommentar "Es war einmal eine transatlantische Freundschaft"