Gesetz für früheren Mutterschutz nach Fehlgeburt geplant | Aktuelle Stunde

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Gesetz für früheren Mutterschutz bei Fehlgeburt beschlossen

Stand: 31.01.2025, 16:08 Uhr

Direkt nach einer Fehlgeburt arbeiten müssen? Das soll sich zukünftig für viele Frauen ändern. Der Bundestag hat einen Gesetzentwurf für mehr Mutterschutz verabschiedet. Angeregt wurde das neue Gesetz von einer Betroffenen.

Von Ingo NeumayerIngo Neumayer

Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, haben künftig in deutlich mehr Fällen als bisher ein Anrecht auf Mutterschutz. Der Bundestag stimmte am Donnerstagabend einstimmig dafür, Frauen bereits bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche Mutterschutz zu gewähren. Bislang ist das in der Regel erst ab der 24. Schwangerschaftswoche der Fall.

Vorgesehen ist nun eine gestaffelte Regelung. Bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche dürfen betroffene Frauen zwei Wochen lang nicht arbeiten, es sei denn, sie möchten dies ausdrücklich. Ab der 17. Schwangerschaftswoche dauert der Mutterschutz sechs Wochen, ab der 20. Schwangerschaftswoche sind es acht Wochen. Das entspricht der standardmäßigen Mutterschutz-Dauer nach der Geburt eines lebenden Kindes. Die neuen Regelungen gelten ab Juni.

Schätzung: Jede dritte Frau hat eine Fehlgeburt

Jede dritte Frau erleidet in ihrem Leben eine Fehlgeburt - das geht aus Schätzungen des Berufsverbandes der Frauenärzte hervor. Eine Situation, die körperlich und psychisch schwer belastet. "Für die meisten Frauen ist eine Fehlgeburt ein totaler Schock und ein geplatzter Lebenstraum", sagt Psychologin Kathryn Eichhorn, die die psychischen Folgen von Fehlgeburten untersucht. Hinzu komme häufig das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.

Mutterschutz nach früher Fehlgeburt geplant

WDR Studios NRW 02.01.2025 00:43 Min. Verfügbar bis 02.01.2027 WDR Online


Eine Betroffene ist Natascha Sagorski aus Unterföhring. Wir haben vor der Verabschiedung des Gesetzes mit ihr gesprochen. Sie erlebte 2019 die Situation, vor der sich wohl jede Schwangere fürchtet. Bei der zweiten Ultraschallkontrolle hieß es auf einmal: Kein Herzschlag mehr zu sehen. "Dann ging alles ganz schnell: Ab in die Klinik, Ausschabung unter Vollnarkose. Ich war sprachlos, ich habe geweint, ich habe geblutet, ich hatte Schmerzen", berichtete sie dem WDR. Die behandelnde Ärztin verzichtete jedoch auf eine Krankschreibung. "Das brauchen Sie nicht, Sie können morgen wieder ins Büro gehen" - so soll sich die Ärztin geäußert haben.

"Du musst funktionieren, stell dich nicht so an"

Natascha Sargoski

Natascha Sagorski: Ihre Petition hatte Erfolg

Sagorski war perplex. "Normalerweise hätte ich geantwortet: 'Sie haben Sie wohl nicht mehr alle, natürlich kann ich nicht ins Büro gehen!' Aber in diesem Moment hatte ich diese Kraft nicht. Ich hatte gerade mein Baby verloren, ich hatte Schmerzen, ich war wund" - so beschreibt sie ihren damaligen Zustand. Du musst funktionieren, stell dich nicht so an - dieses Gefühl habe sie vermittelt bekommen. "Das war hart", erinnert sich Sagorski.

Sagorski ist Autorin, und das Thema ließ sie nicht mehr los. Sie recherchierte über Fehlgeburten und stellte schnell fest, dass das, was sie erlebt hat, kein Einzelfall ist. Die Geschichten ähnelten sich, viele Frauen hätten ihr erzählt, wie schwierig es für sie war, krankgeschrieben zu werden.

Da wurde mir klar: Ich hatte nicht nur Pech und eine unsensible Ärztin, sondern es gibt hier ein strukturelles Problem. Natascha Sagorski

Das bestätigen auch viele Krankenkassen. So berichtete die IKK Südwest im Frühjahr 2024, dass über 60 Prozent der dort versicherten Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten, danach psychisch erkrankten und länger ausfielen.

Mutterschutz bei Fehlgeburt bislang erst ab der 24. Woche

Eine Frau wird von einer Gynäkologin untersucht

Krankschreiben? "Es gibt Gynäkologen, die das nicht machen"

Bislang sah die Regelung vor: Nach einer Fehlgeburt hat eine Frau nur dann Anspruch auf Mutterschutz, wenn sie die 24. Schwangerschaftswoche erreicht hat oder wenn das Kind mindestens 500 Gramm wiegt. "Wiegt mein Baby 490 Gramm, kann es gut sein, dass ich genauso lange schwanger war wie eine Frau, die ein 500 Gramm schweres Baby bekommen hat. Ich kriege aber im Gegensatz zu ihr keinen Tag Mutterschutz" - beklagte Sagorski. Es gebe tolle Gynäkologinnen und Gynäkologen, die einen krankschrieben in einer solchen Situation. "Es gibt aber auch welche, die das nicht machen. Und deswegen müssen wir dringend die Gesetze ändern."

Umgang mit dem "Tabuthema" wird offener

Allerdings sei es anfangs schwer gewesen, auf das Thema aufmerksam zu machen. "Weil Fehlgeburten ein so großes Tabuthema sind, ist das Thema in den vergangenen Jahren nicht so laut geworden", sagte Sagorski. Das hat sich allerdings zuletzt geändert. Hollywood-Superstars wie Jennifer Lawrence, Chrissy Teigen oder Megan Fox sprachen in Interviews offen über ihre Fehlgeburten, zuletzt berichtete die amerikanische Sängerin Jax auf Instagram von ihren Erlebnissen. Auch die Hamburger Hebamme Zohre Ceylan setzt in den Sozialen Medien das Thema und geht offen mit ihren eigenen Fehlgeburten um.

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Petition von Betroffener führt zu Gesetzesentwurf

Natascha Sagorski ging ebenfalls in die Offensive. Sie startete 2022 eine Petition mit dem Titel "Gestaffelter Mutterschutz nach Fehlgeburten". Die erforderlichen 50.000 Unterschriften waren schnell erreicht, seitdem trieb sie das Thema auf politischer Ebene voran. Und zwar mit Erfolg - am Donnerstag wurde der Gesetzentwurf im Bundestag schließlich verabschiedet.

Für die Reform hatten zunächst zwei konkurrierende, aber inhaltlich ähnliche Gesetzentwürfe vorgelegen: einer von den Regierungsfraktionen SPD und Grüne und einer von der Unionsfraktion. Nach längeren Verhandlungen gab es eine Verständigung auf den Entwurf von CDU/CSU, der auch von FDP und AfD unterstützt und nun beschlossen wurde.

Bereits Anfang Januar hatte SPD-Politiker Erik von Malottki im Bundestag auf die Initiatorin des Gesetzes verwiesen: "Ohne Natascha Sagorski gäbe es diesen Tagesordnungspunkt nicht" - so seine einleitenden Worte damals. Weiter appellierte er an die Männer im Bundestag: "Weniger Anspruchsdenken und große Egos, Schluss mit dem Gerede von Frauenpolitik als 'unwichtig', schnell den Weg freimachen für Lösungen. Jetzt ist die Zeit, vielen tausenden Frauen, die in einer unfassbaren Ausnahmesituation sind, endlich mehr Hilfe und Unterstützung zu geben. Ergreifen wir diese Chance!"

Die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Silvia Breher, sagte zur Schutzfrist: "Wir knüpfen damit an das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot an, das nach einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche gilt." Frauen, die ihr Kind stillgeboren haben, bräuchten "einen Schutzraum, um diesen schweren Verlust verarbeiten zu können."

Die meisten Fehlgeburten passieren im ersten Schwangerschaftsdrittel

Eine Schwangere liegt auf einem Untersuchungsstuhl und ein Ultraschallgerät wird über ihren Bauch gefahren

Bange Momente bei der Ultraschalluntersuchung

Allerdings: Studien zufolge passieren rund 80 Prozent der Fehlgeburten im ersten Trimester, also in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft. Darunter fallen zwar auch unbemerkte Aborte in der Frühschwangerschaft, in denen sich Frauen womöglich noch gar nicht bewusst sind, dass sie ein Kind erwarten. Dennoch empfindet jede Frau eine solche Situation anders, und auch in der frühen Phase der Schwangerschaft kann eine Fehlgeburt physisch und psychisch belastend sein.

"Mutterschutz ab 13. Woche wäre großer Meilenstein"

Daher ist auch Natascha Sagorski dafür, dass der Mutterschutz so früh wie möglich beginnt. Allerdings gebe es für einen Beginn vor der 13. Woche derzeit keine politische Mehrheit. Doch selbst ein Mutterschutz ab der 13. Woche ist für sie ein großer Meilenstein. Denn dies werde "vielen Frauen das Leben in Zukunft ein bisschen einfacher machen in einer Situation, die alles andere als leicht ist".

Auch finanziell soll ein erweiterter Mutterschutz nicht schwer ins Gewicht fallen, rechnen die Krankenkassen vor. So geht IKK Südwest-Vorstand Jörg Loth von einer jährlichen Mehrbelastung in Höhe von 21 Millionen Euro aus, wenn 70 Prozent der Frauen den gestaffelten Mutterschutz in Anspruch nehmen würden.

Denn die neue Regelung soll nur ein Angebot sein - ob sie es annimmt, soll jede Frau individuell entscheiden. "Schließlich weiß jede Frau, was für sie am besten ist", glaubt Natascha Sagorski. Die Psychologin Kathryn Eichhorn pflichtet ihr bei: "Es gibt auch Frauen, die Arbeit in so einer Situation als stützend empfinden. Sie lenkt ab und stärkt die Selbstwirksamkeit, die gegen das Ohnmachtsgefühl hilft, das viele haben." Zudem wolle auch nicht jede Frau offenbaren, dass sie schwanger gewesen sei und das Kind verloren habe.

Unsere Quellen:

  • Tagesspiegel
  • Nachrichtenagenturen KNA, epd, dpa
  • Interview mit Natascha Sagorski im "Morgenecho" auf WDR 5
  • Dokumentenservice Deutscher Bundestag
  • Instagram-Accounts von Jax und Zohre Ceylan
  • Pressemitteilung IKK Südwest
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
  • Bundesverband der Frauenärzte

Korrekturhinweis: In einer ersten Version dieses Beitrags hatten wir geschrieben, dass es zwei unterschiedliche Zählweisen gibt, um die Länge einer Schwangerschaft zu berechnen. Laut der einen wird die Schwangerschaft ab der Empfängnis berechnet, laut der anderen ab der letzten Menstruation, die zwei Wochen vorher stattfindet. In Deutschland wird die Länge der Schwangerschaft in der Regel immer nach der zweiten Methode berechnet. Die unterschiedlichen Methoden sind also nicht der Grund für die unterschiedlichen Zeitpunkte, ab denen Union und SPD und Grüne einen gestaffelten Mutterschutz fordern.