Nachruf Gerhart Baum

Aktuelle Stunde 15.02.2025 33:51 Min. UT Verfügbar bis 15.02.2027 WDR

Linksliberales Gewissen der FDP - Gerhart Baum gestorben

Stand: 15.02.2025, 14:40 Uhr

Der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum ist tot. Das bestätigte seine Frau dem WDR. Baum wurde 92 Jahre alt.

"Er bleibt sich treu" – so sollen ihn seine Freunde eingeschätzt haben. "Er ist unbelehrbar" – das haben möglicherweise viele seiner Gegner über ihn gedacht.

Ein "Kölner aus Dresden"

Gerhart Rudolf Baum wird 1932 in Dresden geboren. Seine Familie – Vater und Großvater sind Anwälte – steht in kritischer Distanz zum NS-Regime. Baums Vater stirbt im Krieg.

Nach der Bombennacht am 13./14. Februar 1945, in der die Familie Baum Haus und Besitz verliert, flieht sie zunächst nach Bayern, später dann nach Köln. Dort studiert der "Kölner aus Dresden" (Baum über sich selbst) Jura. Nach dem zweiten Staatsexamen ist er 1962 für zehn Jahre Geschäftsführer bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA. Parallel dazu engagiert er sich in der Kölner Lokalpolitik.

Karrierebeginn in Bonn

Helmut Schmidt und Gerhart-Rudolf Baum

Der Kanzler und sein Innenminister "Dritter Wahl"

Nachdem er im Kölner Stadtrat eine vierköpfige Mini-Fraktion geleitet hat, zieht er 1972 in den Bundestag ein und übernimmt noch im selben Jahr den Posten des parlamentarischen Staatssekretärs im Innenministerium.

Nach einer Abhöraffäre und dem Rücktritt des Ministers Werner Maihofer rückt Baum 1978 selbst an die Spitze des Ministeriums auf. "Ich galt bei Kanzler Schmidt als 'dritte Wahl'", sagt er später. Dementsprechend schreibt auch die FAZ von einem "Verhältnis herzlicher Abneigung" zwischen Baum und Helmut Schmidt.

Innenminister in Zeiten des RAF-Terrors

Baum muss in den Zeiten linksextremistischer Bedrohung eine Balance finden zwischen Wahrung der Bürgerrechte und Schutz vor terroristischen Bedrohungen.

Einen Teil der strengen Anti-Terror-Gesetze hat er wieder gelockert. Der Staat habe überreagiert auf den "neuen Tätertyp, der mit politischer Motivation […] herausragende Repräsentanten von Staat und Gesellschaft ermordet hat."

Dennoch ist Baum rückblickend der Meinung: "30 Desperados haben nicht unsere damals schon sehr gefestigte Demokratie gefährdet."

Baum redet nicht die Gefahr durch die RAF klein, sagt aber im Nachhinein, der Staat habe zur Eskalation beigetragen – etwa durch die Tötung des Studenten Benno Ohnesorg 1967 oder die Isolierung Ulrike Meinhofs in der Haft. Die RAF habe den Staat verändert, gefährdet habe sie ihn nie, so Baum an anderer Stelle.

1982: Eine FDP-Wende ohne Baum

Hans-Dietrich Genscher und Gerhart-Rudolf Baum auf dem 32. Ordentlicher Parteitag der FDP 1981

Die "Bonner Wende" der FDP 1982, als die Liberalen unter der Führung von Hans-Dietrich Genscher die Koalition mit der SPD aufkündigen und ein Bündnis mit der Union eingehen, trägt Baum nicht mit. Nach dem Rücktritt der FDP-Minister am 17.9.1982 findet Baums politischer Aufstieg ein Ende.

Den Wechsel zur SPD, den andere Linksliberale wie Günter Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier vollziehen, macht Baum aber auch nicht mit. "Ein zu großer Apparat, streckenweise kleinbürgerlich", die Sozialdemokraten sind nichts für den Anwalt Baum.

Baum wollte in FDP weiter mitmischen

Und er will in seiner Partei, der er 1954 beigetreten ist, weiter mitmischen – von 1982 bis 1991 als Partei-Vize unter seinem Rivalen Genscher. An dieser Stelle kämpft er – wie so oft – gegen die Mehrheit seiner Partei und Koalition.

Gerhart Baum am 09.07.1995

Franz Josef Strauß bezeichnet ihn und seinen politischen Zwilling Burkhard Hirsch als "notorische Koalitionsstörer".

Seine Versuche, zurück an die Macht zu kommen, scheitern allerdings in den Achtzigern. 1987 schlägt er das Angebot aus, Staatssekretär im Umweltministerium zu werden und bewirbt sich stattdessen – erfolglos – um die Leitung des Justizministeriums.

Zuletzt muss er 1994 nach 22 Jahren gar den Bundestag verlassen, weil seine Partei ihm keinen aussichtsreichen Listenplatz verschafft.

Erlebte Geschichten: Gerhart-Rudolf Baum (28.10.2007)

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Späte Jahre: Anwalt und Datenschützer

Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag ist er wieder als Anwalt aktiv. Dabei vertritt er russische Zwangsarbeiter genauso wie die Opfer der Telekom-Spitzelaffäre und der Flugkatastrophe in Ramstein (1988).

Auch steht er den Opferangehörigen des Concorde-Unglücks 2000 und der Duisburger Loveparade 2010 zur Seite. Zusätzlich ist er von 1992 bis 1998 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung.

Burkhard Hirsch, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhart-Rudolf Baum

Drei Liberale gegen den Lauschangriff

Anfang des 21. Jahrhunderts klärt er gemeinsam mit Herta Däubler-Gmelin die Datenskandale bei Telekom und Deutscher Bahn auf. Zudem zieht er nach Karlsruhe, um gegen den großen Lauschangriff vorzugehen, und kippt mit seinem Parteifreund Burkhard Hirsch und weiteren Klägern das Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss von Passagierflugzeugen im Falle eines Terrorangriffs ermöglichen sollte.

Lebensbilanz: "Meine Wut ist jung"

2008 verbietet das Gericht gar die Online-Durchsuchung, die sein Parteifreund Ingo Wolf in NRW durchgesetzt hat. 2010 wird die der Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten für nichtig erklärt. In allen Fällen ist Baum einer der Beschwerdeführer. Als er 2012 die Bilanz seines politischen Lebens zieht, gibt er dem Buch einen passenden Titel: "Meine Wut ist jung".

Gerhart Baum ist bis ins hohe Alter aktiv. Der Kölner ist ein streitbarer Kulturpolitiker, hat sich als Vorsitzender des Kulturrats NRW lange für die Förderung der NRW-Kultur eingesetzt und ist stellvertretendes Mitglied im WDR-Rundfunkrat.

Besonders am Herzen liegt ihm aber die Verteidigung des Rechts. So zählt der vielfach ausgezeichnete "Missionar des Rechtsstaats" – wie auch der am 11. März 2020 verstorbene Burkhard Hirsch - zu den Initiatoren der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union, die Ende November 2016 veröffentlicht wurde. Zudem publiziert er und nimmt regelmäßig an öffentlichen Diskussionen teil – immer mit klarer Meinung, klarer Haltung und klarer Sprache.

Am 19. Juli 2023 verleiht ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland. Im Januar 2024 würdigt ihn die Uni Köln mit der Ehrendoktorwürde. Bis zuletzt trat Baum öffentlich auf, mahnte etwa vor der Gefahr des Rechtsextremismus. Die Art, wie seine Partei aus der Ampel-Koalition ausstieg, sah er kritisch.

Unsere Quellen:

  • WDR-Recherchen
  • Information von Gerhart Baums Ehefrau

Über dieses Thema berichtet der WDR am 15.02.205 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18:45 Uhr.

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