In Nordrhein-Westfalen sind die temporären Grenzkontrollen zu Belgien und den Niederlanden angelaufen. Bundespolizisten kontrollierten heute früh etwa am Rastplatz Königsberg auf der Autobahn 44 bei Aachen Einreisende aus Richtung Belgien.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat für alle deutschen Außengrenzen Kontrollen für ein halbes Jahr angeordnet. "Wir werden an den deutschen Grenzen zurückweisen und die Zurückweisungen werden steigen", betonte die SPD-Politikerin.
Hier die wichtigsten Fragen im Überblick:
Was passiert jetzt an den Grenzen?
Die Kontrollen sollen stichpunktartig, örtlich wechselnd und temporär stattfinden. "Dabei werden aufgrund von Lageerkenntnissen und Fahndungsrastern relevante Fahrzeuge und Personen grundsätzlich aus dem fließenden Verkehr gezogen", teilt die Bundespolizei mit. Neben uniformierten Einsatzkräften sind auch Zivilpolizisten im Einsatz.
Das bedeutet, dass jede Person, die die Grenze passiert, durch die Bundespolizei angehalten und kontrolliert werden kann. Es gebe keine stationären Kontrollstellen, das Konzept sei mobil. Damit sollen die Maßnahmen unberechenbar sein. Auch deshalb gibt die Bundespolizei keine Einzelheiten zum konkreten Einsatzkonzept oder Einsatzstärken bekannt. "Damit sollen auch Ausweichbewegungen von Schleusern verhindert werden", heißt es aus dem Bundesinnenministerium.
Aber: Es seien ausdrücklich "keine Vollkontrollen" vorgesehen. Das heißt, nicht alle Personen und der komplette Warenverkehr werden kontrolliert. Laut Bundespolizei sollen Beeinträchtigungen damit "so gering wie möglich gehalten werden und sind allenfalls temporär bei größeren punktuellen Kontrollmaßnahmen möglich".
Die Kontrollen sind nicht ganz neu: Bereits seit neun Jahren stehen wieder Grenzbeamte zwischen Deutschland und Österreich. Auch an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz gibt es seit mehreren Monaten wieder Kontrollen, zudem wegen der Olympischen und Paralympischen Spiele seit Mitte Juli zu Frankreich. Am Montag sind Belgien, Niederlande, Luxemburg und Dänemark dazugekommen.
Eigentlich gehört Deutschland zum Schengen-Raum - und zwischen dessen 29 Mitgliedsstaaten sind Grenzkontrollen gar nicht vorgesehen. Im Fall "außergewöhnlicher Umstände" kann ein Mitgliedsland laut Schengen-Kodex aber kontrollieren.
Was müssen Grenzpendler jetzt wissen?
Reisende werden gebeten, die erforderlichen Grenzübertrittspapiere griffbereit zu halten. Das kann vor allem auch Zeit sparen. Reisedokumente wie Kinderreisepass, Personalausweis oder Reisepass müssen natürlich am Tag der Kontrolle gültig sein.
Zu größeren Verzögerungen und damit zu längeren Staus soll es dabei aber nicht kommen. Das Bundesinnenministerium sagt, dass die Auswirkungen für Pendelnde möglichst gering gehalten werden sollen. Einige haben das Prozedere ja bereits während der Fußball-Europameisterschaft miterlebt: Bei den Kontrollen wurde teilweise der Verkehr über Parkplätze umgeleitet, stichprobenartig in Kofferräume geschaut und Ausweise kontrolliert.
Was sagen die betroffenen Grenzkommunen?
Kritik kommt von den Kommunen in den Grenzgemeinden zu NRW, denn hier befürchtet man Folgen für die Wirtschaft und Schwierigkeiten für Pendler. Die Grenzpendler, die täglich für Arbeit, Studium oder Schule die Grenze überqueren, würden die Folgen spüren, fürchtet zum Beispiel eine Sprecherin des Zweckverbands Euregio Rhein-Waal.
Auch in Herzogenrath sieht man den Plänen offenbar mit gemischten Gefühlen entgegen. Dort verläuft die deutsch-niederländische Grenze quasi fließend zwischen den Städten Herzogenrath und der niederländischen Nachbargemeinde Kerkrade. "Viele Menschen aus beiden Städten leben und arbeiten tagtäglich auf der jeweiligen anderen Seite der Grenze oder erledigen grenzüberschreitend Besorgungen", so ein Sprecher. Man sei besorgt, dass Grenzkontrollen "den Charakter der Region verändern könnten". Außerdem befürchte man, dass sich die Maßnahmen "wirtschaftlich negativ" auswirken könnten.
Probleme für Grenzpendler befürchtet auch der deutsch-niederländische Zweckverband Euregio Rhein-Maas-Nord. Grenzbewohner seien es gewohnt, jenseits der Grenze zu arbeiten, einzukaufen, zu tanken, ihre Familie oder einen Arzt zu besuchen, sagte ein Verbandssprecher.
Der Tourismusverband in NRW rechnet durch die vorübergehenden Kontrollen stellenweise mit Wartezeiten, hieß es auf Nachfrage.
Was erwartet die Logistikbranche?
Laut Logistikverband TLN passieren täglich rund 100.000 Lastwagen die deutsch-niederländische Grenze. Jede Stunde Wartezeit koste 100 Euro pro Lkw-Fahrer, so die Handelskammer. Der Verband Spedition und Logistik NRW warnt, dass die geplanten Grenzkontrollen zu Verzögerungen bei Lkw-Lieferungen führen könnten. Erfahrungen aus der Corona-Pandemie und der Fußball-EM hätten gezeigt, dass solche Kontrollen lange Wartezeiten und Staus verursachen könnten.
Von der Deutsch-Niederländischen Handelskammer hieß es, dass niederländische Unternehmer die plötzliche Einführung von Grenzkontrollen komplett überrascht und in Alarmbereitschaft versetzt habe. Langwierige Kontrollen könnten sowohl niederländischen Firmen, für die Deutschland der weltweit wichtigste Exportmarkt sei, als auch deutschen Unternehmen wirtschaftlich schaden.
Was sagen die Nachbarländer?
Während die rechtsgerichtete Regierung der Niederlande den Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser lobt, warnen Wirtschaftsverbände vor den Folgen.
Polen hatte die Pläne Deutschlands zu den Grenzkontrollen zunächst scharf kritisiert. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hatte sie als "inakzeptabel" bezeichnet. Das Schengen-Abkommen werde damit praktisch ausgesetzt. Gebraucht werde stattdessen eine stärkere Beteiligung von Ländern wie Deutschland an der Sicherung der EU-Außengrenzen.
Auch aus Österreich kommt Kritik. In der Debatte über eine umfangreichere Abweisung von Migranten an den deutschen Grenzen kündigte Österreich bereits Widerstand an. "Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden", sagte der konservative Innenminister Gerhard Karner zum Beispiel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Zurückweisungen im Rahmen von Kontrollen an den EU-Binnengrenzen seien nicht erlaubt, so Karner.
Aktuell haben auch andere Länder Grenzkontrollen in Brüssel angemeldet - neben Deutschland auch Österreich, Italien, Frankreich, Dänemark und Schweden.
Welche Bedenken gibt es bei der konkreten Umsetzung?
Die Bundespolizei äußerte mit Blick auf fehlendes Personal erneut Zweifel an der Umsetzbarkeit der verschärften Kontrollen. "Die Bundespolizei ist bis Montagfrüh damit beschäftigt, Kräfte zusammenzuziehen", sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei für den Bereich der Bundespolizei, Andreas Roßkopf, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Samstag. "Das ist noch nicht zu Ende gestrickt und hängt auch damit zusammen, dass die Ankündigung der Ministerin sehr überraschend kam."
Wie wirksam sind solche Grenzkontrollen überhaupt?
Diese Kontrollen ermöglichten auch effektive Zurückweisungen, heißt es aus dem Bundesinnenministerium. "Mehr als 30.000 allein seit Oktober 2023 an den Landgrenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und zur Schweiz", zählt Ministerin Faeser auf. "Das dient auch dem Schutz vor den akuten Gefahren durch den islamistischen Terror und durch schwere grenzüberschreitende Kriminalität."
Doch es gibt auch Gegenstimmen. So erwartet zum Beispiel der Migrationsforscher Gerald Knaus von der anstehenden Ausweitung der Grenzkontrollen auf alle deutschen Landgrenzen keinen spürbaren Rückgang der Asylbewerberzahlen. "Wer erwartet, dass die Grenzkontrollen dazu führen werden, dass irreguläre Migration zurückgeht, der weckt eine Erwartung, die ist unerfüllbar", sagte der Mitinitiator des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei im Deutschlandfunk.
Viele EU-Länder hätten schon sehr lange Grenzkontrollen, etwa Frankreich und Österreich. Aber: "Es hat die Zahl der Asylanträge überhaupt nicht reduziert", so Knaus. Grenzkontrollen seien auch kein Mittel, um etwa islamistischen Terror zu verhindern, denn viele der Täter hätten sich erst in Deutschland radikalisiert.
Unsere Quellen:
- Bundesinnenministerium
- Bundespolizei
- Nachrichtenagentur dpa
- Agentur AFPD
- Deutschlandfunk
Über dieses Thema berichtet der WDR am 16.09.2024 auch im Hörfunk und im Fernsehen.