Auf Etage 13 öffnet Manuela Spitzwieser die Tür. Sie wohnt in dem sogenannten Problemhochhaus mit 20 Etagen und 320 Wohnungen im Stadtteil Hochheide. Eine gepflegte Wohnung, an den Wänden Bilder, in der Küche eine Buddha-Figur.
Die 53-Jährige will uns zeigen, wie sie im Duisburger Problemhochhaus lebt. Sie zieht einen Schrank direkt neben ihrer Wohnungstüre nach vorne. "Ach du Scheiße", sagt sie. An der Wand, vor der gerade noch ihr Schrank stand, krabbeln Dutzende Kakerlaken. Sie ist geschockt: "Ich könnte nur noch heulen." Schon lange kennt sie das Kakerlaken-Problem. Aber dass die Tiere selbst dort sitzen, erschreckt sie. "In solchen Momenten will ich nur noch weg", sagt sie. "Ich habe die Schnauze voll." Spitzwieser arbeitet als Gebäudereinigerin. Sauberkeit ist ihr wichtig, sagt sie. Dass sie selbst unter solchen Bedingungen leben muss, tut ihr weh.
Manchmal hat sie das Gefühl, die Kakerlaken kommen sogar aus den Steckdosen - so schnell sind sie wieder da. Sie kämpft mit Gift gegen die Tiere, aber das reiche nicht. "Man müsste das ganze Haus entseuchen", glaubt sie. Die Hausverwaltung schreibt dazu, dass sie an den Stellen im Haus, in denen sie Handlungsbefugnisse habe, täglich dafür Sorge trage, schnelle Abhilfe in Sachen Schädlingsbekämpfung zu schaffen.
Dreck und Tauben sind überall
Wenn sie aus ihrem Fenster schaut, sieht sie, wie Müll nach unten fliegt. Küchenabfälle, aber nicht nur das: Schon ganze Möbelstücke hat sie hier nach unten segeln sehen. Manche Nachbarn halten das offenbar für den besten Weg der Müllentsorgung, sagt sie.
Überall rund um den Weißen Riesen nisten Tauben, auf dem Balkon einer leerstehenden Wohnung landen sie ständig. Eine Taube liegt tot auf der Straße vor dem Haus.
Eines der Treppenhäuser ist sogar verschmutzt von Fäkalien: Auf dem Boden und den Wänden. Eine Sicherheitskamera hängt lose an ihrem Kabel herunter, daneben hat jemand eine angebliche Preisliste für Cannabis und Kokain und die Nummer einer vermeintlichen Sexcall-Hotline gekritzelt. Die Hausmeister seien täglich im Einsatz, um Verschmutzungen zu beseitigen, schreibt die Hausverwaltung auf WDR-Anfrage.
Aus den Fenstern fliegen Eier
Viele Bewohner des Hauses überzeugt das nicht. "Ich wohne hier, aber möchte gerne so schnell wie möglich raus", sagt Samir Oygur, den wir vor dem Haus treffen. Er trägt eine Baseball-Cap, um den Hals hängt eine Kette mit einem goldenen Pistolenanhänger. "Hier ist nur Dreck, Kakerlaken, kaputte Leute, kriminelle Leute. Hier gibt es alles. Alles, was es überhaupt Schlimmes gibt, ist hier."
Der Paketdienstleister DHL traut sich seit April nicht mehr ins Gebäude. Klingeln und Briefkästen seien falsch beschriftet, Zusteller hätten von "bedrohlichen Zustellsituationen" berichtet. Der Zustellstopp machte bundesweit Schlagzeilen. Die Bewohner müssen ihre Pakete nun selbst in einem Paketshop abholen gehen. Wie sicher ist es tatsächlich rund um das Gebäude?
Am späten Abend, als es dunkel wird, bricht Manuela Spitzwieser auf zu einer Gassi-Runde mit ihren zwei Hunden. Ohne die Tiere, sagt sie, traue sie sich gar nicht mehr vor die Tür. Als sie und ein WDR-Kamerateam vor dem Weißen Riesen entlang gehen, passiert es: Aus den Fenstern fliegen erst Äpfel, dann faule Eier, danach schütten Bewohner Flüssigkeiten aus den Fenstern. "Jetzt kippt die Stimmung", sagt Manuela Spitzwieser.
Die Situation rund um den Weißen Riesen ist der Politik bekannt
Die Zustände um das Hochhaus sind der Duisburger Politik schon länger bekannt. Die Forderung, den Weißen Riesen, wie mit anderen Hochhäuser herum schon passiert, abzureißen, erneuerte kürzlich Mahmut Özdemir (SPD). Er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Abgeordneter für Duisburg. Man müsse die Häuser "Vermietern, die nicht verantwortungsvoll damit umgehen, Eigentümern, die nicht verantwortungsvoll mit ihrem Eigentum umgehen, eben aus der Hand nehmen und abreißen", sagte er WELT TV.
Wie einfach eine solche Forderung umzusetzen ist, das ist eine andere Frage. Die Wohnungen im Weißen Riesen gehören vielen unterschiedlichen Eigentümern. Die Stadt Duisburg schreibt dem WDR, sie kontrolliere regelmäßig die Gegend um das Gebäude mit dem Ordnungsamt, wolle für mehr Grünflächen und Beratungsangebote sorgen.
Wenig Perspektiven und ein Appell an Olaf Scholz
In einem Park neben dem Weißen Riesen treffen wir die drei Jugendlichen Amin, Nilaan und Ahmed, die in der Nähe wohnen. Sie haben von solchen Plänen noch nichts mitbekommen: Keine Angebote, keine Perspektive. "Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum hier so viele Leute Drogen nehmen. Weil es hier einfach nichts gibt", sagt Amin. Ahmed ergänzt: "Der Alltag von uns sieht immer gleich aus: Immer rausgehen, chillen, rumgammeln, wieder nach Hause gehen." Und dann hat er noch einen Appell an jemanden ganz oben in der Politik: "Olaf Scholz, mach Fußballfelder und Basketballfelder für die Kinder hier hin, damit die auch mal Spaß haben können." Was bleibt, ist Frustration, bei vielen, die in und um den Weißen Riesen wohnen.
An einem Samstagmittag ist Manuela Spitzwieser zusammen mit ihrer Freundin Claudia Noorlander auf dem angrenzenden Marktplatz unterwegs. Warum wohnen sie überhaupt noch im Weißen Riesen? "Hier auf dem Weg da hinten habe ich Fahrrad fahren gelernt, ich hatte direkt hier meinen ersten Kuss", sagt Claudia Noorlander. "Das ist eine Heimatverbundenheit für mich." Auch Manuela Spitzwieser kann sich nicht vorstellen, wegzuziehen. "Die Anständigen, die froh sind, dass sie eine günstige Wohnung haben, die hauen ab und weichen der Gewalt? Das kann es nicht sein."
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 10.08.2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.
Unsere Quellen:
- WDR-Recherchen vor Ort