Nawalnys Tod ist für mich ein Schlag in die Magengrube. Obwohl mir klar war, dass Putins einflussreichster Gegner seine Rückkehr nach Russland nicht überleben würde. Obwohl seit über einem Jahrzehnt unübersehbar ist, dass wir es im Kreml mit einem Mörder zu tun haben, der nur die Sprache des Terrors kennt. Terror nach innen. Terror nach außen. Putins sadistische Botschaft lautet: Ich bin unbesiegbar! Ihr könnt nichts gegen mich tun. Ich lasse meine innenpolitischen Gegner beseitigen. Und vernichte eine Ukraine, die zur EU gehören möchte. Der fürchterliche Tod Alexej Nawalnys und der russische Vormarsch in der Ostukraine sind ein schreiendes Alarmsignal.
Und wie reagiert Deutschland auf diese Putin-Botschaft?
Die Nachricht von Nawalnys Tod kam exakt zum Auftakt der Münchener Sicherheitskonferenz und einen Monat vor der russischen Präsidentschaftswahl.
Ich war gespannt, wie unser Bundeskanzler Olaf Scholz reagieren würde. Alle zeigten sich schockiert: von Kamala Harris, der US-Vizepräsidentin über Hillary Clinton bis hin zum amerikanischen Außenminister Antony Blinken. Drei prominente US-Demokraten, denen sehr klar ist, dass bereits in einem Jahr vielleicht Donald Trump im Weißen Haus sitzt und versucht, mit Putin einen "Friedens-Deal" über den Kopf der Ukraine hinweg abzuschließen. Vor dem Hintergrund dieser potenziellen Doppelgefahr durch das Putin-Trump-Duo hatte ich von unserem Kanzler auf der "Weltbühne" namens Münchener Sicherheitskonferenz ein klares Signal an den Mörder und Angriffskrieger im Kreml erwartet. Ein Signal, das auch Putin-Sympathisant Donald Trump versteht.
Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine, jetzt!
Diese Worte hätten gereicht. Die Bühne der Münchener Sicherheitskonferenz hätte sie in den letzten Winkel der Erde getragen. Hätte den demoralisierten ukrainischen Soldaten, die seit zwei Jahren in den Schützengräben liegen, etwas Mut gemacht. Scholz brachte sie nicht über die Lippen. Obwohl der Kanzler weiß, dass es der Ukraine an Munition und Flugabwehrsystemen fehlt, um sich gegen den russischen Vormarsch im Osten zu wehren. Die Taurus-Marschflugkörper würden helfen, die russische Logistik zu zerstören. Russland würde es schwerer gelingen, seine Munition an die Front zu bringen. Für die Ukraine wäre Taurus deshalb eine wichtige Unterstützung, in einer sehr kritischen Situation. Wie kritisch sie ist, hat Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen deutlich besser erfasst.
Dänemark macht es vor
Auf der Sicherheitskonferenz in München sagte die dänische Sozialdemokratin sinngemäß übersetzt:
Von der dänischen Sozialdemokratin kann Scholz lernen, was Zeitenwende bedeutet. Wo bleibt die klare deutsche und europäische Kante gegenüber Putin, der wahllos ukrainische Zivilisten ermorden lässt, die Ostukraine gewaltsam einnehmen und sich an der Grenze Polens positionieren will? Wo bleibt die klare Kante gegenüber Trump und dessen Republikanern, die Waffenlieferungen an die Ukraine systematisch zu verhindern versuchen?
Rund 79 Jahre nach Kriegsende und fast 80 Jahre nach dem D-Day, also der Landung der alliierten Truppen in der Normandie, müssen wir Deutsche uns endlich von unserem "militärischen Babysitter" USA emanzipieren. Nicht nur für den Fall, dass Trump erneut an die Macht kommt, den atomaren Schutzschirm über der NATO einrollt und die Europäer weitgehend wehrlos dastehen lässt. Trump macht mit seinem "ich schütze nur den, der es mir wert ist und der zahlt"-Chauvinismus nur besonders krass klar, was in jedem Fall nach den Präsidentschaftswahlen im November auf uns und die gesamte EU zukommt.
Wir müssen selbst für unser Überleben sorgen!
Vorbei die sorglose Phase, wo wir uns unter dem Schutzschirm der USA wirtschaftlich bereichern konnten und den Löwenanteil der militärischen Kosten Uncle Sam überließen. "Isch over", hätte Wolfgang Schäuble gesagt. Selbst wenn mein Tagtraum wahr würde, Joe Biden seine Kandidatur zurückzöge und die nächste US-Präsidentin Michelle Obama hieße, müssten wir uns in Rekordtempo militärisch emanzipieren und viel stärker auf eigenen europäischen Füßen stehen.
Ich habe die Obama-Präsidentschaft als ARD-Korrespondent in Washington erlebt und seinem damaligen Verteidigungsminister Robert Gates in Brüssel zugehört. Amerikas Botschaft lautete schon vor 15 Jahren: Asien und China sind der neue Fokus. Europa muss sich weitgehend selbst verteidigen! Die Ära der Deutschland eng verbundenen US-Politiker, von denen einige als GI nach dem Krieg in Deutschland stationiert waren und die Zeit des Kalten Kriegs miterlebt hatten, ist zwangsläufig Geschichte. In der Phase seiner existentiellsten Bedrohung durch Russland muss Europa militärisch handlungsfähig werden. Das heißt im Klartext: Was die USA bisher für die NATO sind, müssen Frankreich und Deutschland gemeinsam für Europa werden: die beiden militärisch stärksten Nationen. Wir Deutschen können uns nicht mehr vornehm zurückhalten. Die Bundesrepublik hat mehr Einwohner als die 18 kleinsten Staaten der EU zusammen.
Deutschland muss zur führenden Verteidigungskraft Europas werden
Gleich drei Faktoren zwingen uns in diese Vorreiter-Rolle: Putin mit seinem nationalistischen Imperialismus. Eine mögliche US-Präsidentschaft des EU- und Nato-Verächters Trump. Und ein NATO-Vertrag, dessen vielzitierter Artikel 5 jedem amerikanischen Präsidenten die Freiheit lässt, einem angegriffenen EU-Land die militärische Solidarität zu verweigern und es bei einem Mitleidstelegramm zu belassen.
Diese drei Herausforderungen lassen uns keine Wahl: Wir Deutschen müssen der Schutzschild Europas werden. Gemeinsam mit den Atommächten Frankreich und Großbritannien und gemeinsam mit dem militärisch starken Polen.
Das hat knallharte Konsequenzen für uns
Neue Kitas und Schulen oder neue Fregatten und Bunker? Deutschland stehen wegen der überstrapazierten Staatskasse schon sehr bald harte Konflikte bevor. Vor dieser Hardcore-Zeitenwende in Deutschland graust mir. Aber sie ist unvermeidlich. Ich kann mich auch schwer an den Gedanken gewöhnen, dass wir in Zukunft bei großen neuen Straßen an deren Panzertauglichkeit denken müssen und bei unterirdischen Parkhäusern daran, ob sie als Bunker genutzt werden könnten - so wie es in Finnland schon seit Jahren selbstverständlich ist.
Putins Russland und die tief gespaltenen und deshalb unberechenbaren USA lassen uns keine Wahl: Wir müssen in Zukunft selbst für unser Überleben und unsere Freiheit sorgen. Eine "Koalition der EU-Willigen" muss sofort der Ukraine engagiert und entschlossen helfen. So, wie Dänemark es vormacht. Denn Nawalny warnte vor seinem Tod:
Wir müssen Nawalnys Warnung ernst nehmen. Sonst triumphiert Putin!
Kommentare zum Thema
Ein solcher Kommentar seitens eines öffentlich -rechtlichen Senders verstört mich zutiefst. Warum nicht gleich Frau Strack-Zimmermann schreiben lassen? Da weiß man, in welchen armeenahen Verbänden sie ist und was sie umtreibt. Ein Journalist Sina jedoch, der 30 Jahre NATO-Geschichte kennen sollte, darf sich nicht zu solcher Panikmache und derartiger Hetze hinreißen lassen. Aber offenbar gibts auch im WDR eine Zeitenwende, ähnlich den Grünen. Anzeichen dafür häufen sich. So entsteht weder Aufklärung noch Gerechtigkeit und schon gar keine Chance für Frieden. Es häufen sich einseitige Berichterstattung, Vermengung von Nachricht und persönlicher Haltung und eine schleichende allgemeine Mobilmachung. Profitieren tun die Falken in der Politik und die Kriegswirtschaft, deren Erträge durch die Decke gehen. Ist das so schwer erkennbar? Zum Schluß meine Frage an Sie, Herr Sina: haben Sie schon Ihre Uniform gebügelt? Bei der Verve Ihres Beitrages gehen Sie doch wohl voran?
Was haben oder hatten wir bloß für Politiker ? Vorausschauendes Handeln, Fehlanzeige, Waffen werden verschenkt, Kasernengelände zu Bauland umgewandelt. wo sollen denn die Soldaten stationiert werden, unter Brücken. Wer ist schuld an der Misere wie immer „wir „ !
Wie kommt es, dass sich ehemalige Zivildiener als Militärexperten aufspielen?
...die Frage habe ich mir auch mehrmals gestellt. In den 80. Jahren demonstrierten die Wehrdienstverweigerer gegen die Stationierung der Pershing in Deutschland. Jetzt wird eine europäische A-Bombe in's Spiel gebracht. Forderungen nach immer mehr Waffenlieferungen an die UKR aus der ehemaligen Friedenspartei die Grünen und SPD. Und richtig: ich denke, dass keiner der "Förderer" den Wehrdienst abgelegt hat. PS: ich war beim Bund.