Bis zu sieben Millionen zugewanderte Arbeitskräfte brauchen wir in Deutschland in den kommenden Jahren, um die Wirtschaft stabil zu halten. Das sagt der Bundeskanzler. Die Wirtschaftsweisen sprechen von 1,5 Millionen Zuwanderern pro Jahr. Das umfasst Menschen, die ohne Ausbildung Helferarbeiten durchführen, aber vor allem ausgebildete Fachkräfte. Problem nur: Für Arbeitsmigrantinnen und -migranten ist Deutschland alles andere als ein Traumziel.
In Deutschland ansässige Expats (also Personen, die wegen der Arbeit außerhalb ihres Heimatlandes leben) gehören zu den unglücklichsten und einsamsten weltweit. Platz 49 von 53 - das ist das Ergebnis der "Expat Insider"-Studie 2023. Nur ein Platz vor Südkorea. Ein Umfrage-Ergebnis, das Wirtschaftsminister Robert Habeck, Arbeitsminister Hubertus Heil und Innenministerin Nancy Faeser wohl unerwähnt lassen, wenn sie mal wieder auf Fachkräfte-Anwerbetour in Brasilien, Marokko oder Indonesien sind. Pflegekräfte, Ingenieurinnen, Ärzte - für sie alle breiten deutsche Politiker gern die Arme aus.
Und auf den ersten Blick wirkt Deutschland auch attraktiv: ein modernes, demokratisches Land mit hohem Bildungs- und Wohlstandsniveau, guten Verdienstmöglichkeiten und Sozialleistungen. Doch das allein ist nicht ausschlaggebend. Wer sich im Ausland eine Existenz, ein Leben aufbauen will, schaut noch auf andere Faktoren. Und da kann Deutschland so gar nicht punkten. "Das Wetter!", stöhnen die meisten Expats aus meinem Freundeskreis mit einem Augenzwinkern. "Der deutsche Winter macht depressiv. Die Kälte, die leeren Straßen, alle verschanzen sich zuhause." Unrecht haben sie nicht. "Und die Sprache! Der, die, das - wieso so kompliziert?" Auch das nachvollziehbar. Leider keine Faktoren, auf die Deutschland Einfluss hätte.
Zu viele Hürden für ausländische Fachkräfte
Was aber viel schwerer wiegt, sind strukturelle und kulturelle Umstände, die es ausländischen Arbeitskräften unfassbar schwer machen, langfristig anzukommen. Da ist die deutsche Bürokratie. Sie ist nicht nur kompliziert und undurchsichtig - gerade für Menschen, die nicht perfekt Deutsch sprechen. Ausländerämter und Arbeitsagenturen sind oft eher Verhinderer als Ermöglicher. Das hat sogar Wirtschaftsminister Habeck jetzt erkannt. Auf einer Arbeitgeber-Tagung erklärte er, in den vergangenen Jahren habe es die Haltung gegeben: "Eigentlich wollen wir die Leute nicht haben. (…) Jetzt muss man klar sagen: Jetzt sind sie gewollt. (…) Ja, und genehmigt das bitte." Eine klare Ansage an die Behörden. Dann kann’s ja losgehen…
…Oder auch nicht. In vielen Ausländerbehörden gibt es schon seit Längerem Wartezeiten von sechs Monaten oder mehr für einen Termin. Nehmen wir das Beispiel Düsseldorf. Wer dort auf der Internetseite versucht, einen Termin zu buchen, bekommt eine Ansage nach dem Motto: "Alles voll, probieren Sie es bald noch einmal und kommen Sie bloß nicht einfach so vorbei." Doch Menschen mit befristeten Arbeitsgenehmigungen, mit einem Aufenthaltstitel, der immer wieder erneuert werden muss, haben keine Zeit zu warten.
Unterbesetzte Behörden sorgen für Frust
Wie verzweifelt manche sind, zeigt sich in der Facebook-Gruppe "Expats in Düsseldorf". Da gibt es unzählige Postings zum Thema: "Hat irgendjemand einen Tipp, wie ich an einen Termin bei der Ausländerbehörde komme?" Oder: "Meine Aufenthaltsgenehmigung ist abgelaufen. Ich habe schon vor drei Monaten einen neuen Antrag gestellt. Allerdings höre ich nichts." Oder: "Ich habe alles versucht: das Kontaktformular, die Hotline, E-mails an alle Adressen, ich bin persönlich hingegangen. Meine Existenz in Deutschland ist jetzt gefährdet."
In Herne ist die Situation sogar so schlimm, dass Menschen in diesem Sommer vor der Ausländerbehörde protestiert haben. Einige haben ihren Arbeitsplatz verloren, weil die Stadt es nicht schaffte, ihre Papiere zu verlängern. Ironischerweise ist es der Fachkräftemangel, der sich auch in den Ämtern niederschlägt. Viele Stellen sind unbesetzt. Da sind also Menschen, die wollen und können hier bei uns arbeiten, werden auch gebraucht, müssen dann aber wieder unbearbeiteter Anträge wieder gehen. Absurd!
Und dann sind da noch die kulturellen Faktoren. Viele Expats verlassen Deutschland wieder, weil sie sich einfach nicht willkommen fühlen. Wie oben schon erwähnt: Arbeitsmigrantinnen und -migranten sind unglücklich und einsam. Internationale Studierende, die an deutschen Hochschulen einen Abschluss machen, suchen sich häufig im Anschluss hier keinen Job. Und das, obwohl sie ja während des Studiums eigentlich schon Gelegenheit hatten, mit der deutschen Kultur warm zu werden. Sie erfahren oft eher Kälte.
Einsam und unglücklich - Deutschland hat kaum Willkommenskultur
In einer Studie im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit erklärten zwei Drittel der hoch qualifizierten Arbeitskräfte, die Deutschland wieder verlassen, dass sie aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert worden seien - bei der Arbeit, im Alltag, in Behörden. Auch zeigt die Studie, dass zugewanderte Fachkräfte häufig weniger verdienen als die deutschen Kollegen. Es würde schwer fallen, in Deutschland Freundschaften und Kontakte zu knüpfen, Anschluss zu finden.
Warum sollten sich Fachkräfte so etwas antun? Warum sollten sie in ihrer Heimat alles stehen und liegen lassen, um hier in Deutschland eine unsichere und beschwerliche Zukunft zu haben? Oder warum sollten sie nicht einfach in andere Länder gehen, die genauso um Arbeitskräfte buhlen, die die Arbeitswilligen willkommen heißen und wo es besser klappt?
Es braucht Brückenbauer - Institutionen oder Menschen, die es den ankommenden Arbeitskräften einfacher machen, hier Fuß zu fassen. Die genauso helfen, Behördenangelegenheiten zu erledigen wie auch kulturelle und sprachliche Gräben zu überwinden. Vor Kurzem habe ich so ein Brückenbauer-Projekt kennengelernt.
Jedes Unternehmen sollte "Brückenbauer" haben
An einem Münsteraner Krankenhaus hat man die Erfahrung gemacht, dass zwar Pflegekräfte und Ärzte aus dem Ausland kommen, aber oft nach nur einem Jahr wieder kündigen und das Land verlassen. Das Krankenhaus hat erkannt: Das sind verschwendete Ressourcen auf beiden Seiten. Neuerdings gibt es dort also eine Stelle für "transkulturelle Integration". Das heißt, es gibt dort jemanden, der allein dafür zuständig ist, die ankommenden Arbeitskräfte in ihren neuen Alltag zu begleiten. Bevor die Menschen nach Deutschland kommen, sind alle nötigen Anträge für den Aufenthalt und die Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses schon angeschoben. Wenn die Menschen ankommen, werden sie langsam an die Arbeitsabläufe in einem deutschen Krankenhaus herangeführt. Es gibt einen hausinternen zusätzlichen Sprachkurs. Dort lernen sie spezielle Vokabeln für den Arbeitsalltag und wie sie mit Patientinnen und Patienten reden können. Es wird geschaut, welche Unterstützung sie außerhalb des Arbeitsplatzes im Privaten benötigen, um sich wohlzufühlen.
Genau solche Projekte, solche Brückenbauer bräuchte es in jedem Unternehmen, das ausländische Fachkräfte anwirbt. Deutsche Behörden, die deutsche Wirtschaft und auch die Deutschen selbst müssen ihre Haltung überdenken: Wir sind auf diese Arbeitskräfte angewiesen - nicht umgekehrt. Denn momentan sieht es eher so aus, als würden sie in anderen Ländern ein deutlich angenehmeres Leben als Expats haben. Also müssen wir die Rahmenbedingungen so verändern, dass sie für sich eine Perspektive in Deutschland sehen. Denn es kommen nicht bloß Arbeitskräfte, es kommen Menschen.
Was denken Sie? Was muss sich bei uns ändern, damit mehr Fachkräfte aus dem Ausland langfristig in Deutschland arbeiten wollen? Diskutieren Sie mit - in den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.
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Kommentare zum Thema
Diese "Brückenbauer" halte ich für eine gute Idee! Vielleicht sollte man auch privat ein Non-Profit-Netzwerk gründen, in dem sich Expats und Einheimische in jeder Stadt austauschen und verabreden können? Ich höre oft von meinen hoch qualifizierten ausländischen Freunden, wie schwer sie sich in Deutschland tun. Nicht nur mit der Bürokratie, sondern auch mit der Suche nach neuen Bekanntschaften.
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