Desinformationen: Wir sind mitten im Krieg um Wahrheiten | Meinung

Stand: 23.08.2024, 06:00 Uhr

Im Netz gehen gezielt platzierte Lügen und Falschmeldungen viral. Das hat massive Auswirkungen auf Wahlen, unsere Demokratie, das Zusammenleben. Die Politik muss endlich wirksame Waffen dagegen entwickeln.

Von Caro Wißing

Wir befinden uns mitten in einem Krieg. Ich meine nicht den in der Ukraine oder Nahost. Deutschland und andere Länder sind Schauplatz eines Kriegs um Wahrheiten. Die Waffen, die dabei im Einsatz sind: Desinformationen und Fake-News.

Die rechten Hetzjagden auf Geflüchtete in Großbritannien, Bombendrohungen an deutschen Schulen und eine Bettwanzen-Plage in Paris - auf den ersten Blick haben diese drei Ereignisse nichts gemeinsam. Auf den zweiten Blick stellt sich heraus: Sie sind das Ergebnis von gezielt gestreuten Desinformationen.

Vor zwei Wochen ist eine WDR-Dokumentation namens "Das Cybermobbing-Kartell" erschienen, die mich ziemlich schockiert hat. Sehr eindrücklich wird darin beschrieben, wie sich in Online-Foren Menschen zusammentun, um mit gezielten Cyberattacken Chaos zu stiften. Das sind in der Regel keine Aktivisten, keine bezahlten Agenten oder sonst wer. Das sind - wie in der Doku gezeigt wird - Menschen von nebenan, die in solchen Aktionen einen Zeitverbtreib sehen. Mir war nicht klar, welches Ausmaß das hat und was sie anrichten.

Gefakte Bombendrohungen verursachen Chaos an Schulen

Im Oktober 2023 verschickt eine Gruppe solcher Online-Trolle Bombendrohungen per Mail an 250 Schulen in Deutschland - so auch in Solingen. Sie geben vor, Hamas-Terroristen zu sein und die Schule in die Luft jagen zu wollen. Polizisten rücken mit Spezialeinheiten aus zu den Schulen. Bombenspürhunde sind im Einsatz. Schüler, Lehrer, Eltern sind verunsichert. Medien titeln, der Nahost-Konflikt sei jetzt auch bei uns angekommen. Am Ende wird klar, es war alles fake. Die Online-Trolle haben ihr Ziel erreicht: Sie wollten aufwendige Polizeieinsätze auslösen und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung stören.

Was diese Trolle aus ihren Jugendzimmern und Kellern am heimischen PC in Gang setzen, geht auch im viel größeren Maßstab - organisiert, finanziert und mit einem langfristigen Ziel. Desinformationen haben das Potential, Gesellschaften zu destabilisieren, sie sollen verunsichern, Angst schüren, Gruppen gegeneinander aufhetzen.

Wir müssen uns keine Illusionen machen: Die im September anstehenden Wahlen in Ost-Deutschland werden mit Sicherheit längst begleitet von massiven Desinformations-Kampagnen. Da sind dann zum Teil inländische politische Akteure, die beispielsweise Gerüchte in die Welt setzen, die Grünen wollten für den Klimaschutz Haustiere verbieten und teilen das immer wieder in den sozialen Medien. Es sind aber auch ausländische Akteure am Werk. Das Bundesinnenministerium benennt sogar ganz klar einen potentiellen Täter: Russland.

Wahlentscheidungen sollen manipuliert werden

Schon vor der Bundestagswahl 2021 gab es Manipulationsversuche aus Russland. Und seit Beginn des Krieges in der Ukraine tauchen im Internet und in sozialen Medien gefälschte Seiten oder Accounts auf, die täuschend echt große Nachrichtenseiten wie "Süddeutsche Zeitung" imitieren. Dort werden Falschmeldungen verbreitet, es wird Stimmung gegen die Ukraine gemacht, Inhalte von AfD-Politikern beworben. Tausende Nutzerinnen und Nutzer lesen das jeden Tag. Und irgendwann verfangen solche Botschaften möglicherweise.

Das zeigt das Beispiel Großbritannien gerade. Rechtsextreme und Mitläufer machen Jagd auf Geflüchtete, um drei erstochene Kinder zu rächen. Es hieß, der Täter sei ein muslimischer Flüchtling. Diese Falschmeldung wurde von rechten Influencern auf Social-Media weiterverbreit. Aber das ist nicht der einzige Grund, der den hasserfüllten rechten Mob auf die Straße brachte. Am besten entfaltet Desinformation ihre Wirkung, wenn sie schon bestehende Stimmungen und Vorurteile aufgreift.

In den vergangenen Monaten haben Forschende beobachtet, wie in europäischen sozialen Medien immer wieder Inhalte platziert wurden, die Migranten als blutrünstige Monster darstellten. Auch die in Verschwörungskreisen verbreitete Erzählung von einer geplanten "Übernahme" Europas durch Muslime wurde verbreitet. Das waren bezahlte Kampagnen. In die Anzeigen wurden mehrere hunderttausend Euro investiert. Von wem? Bisher unklar. Aber das machen keine gelangweilten Internet-Trolle. Das sind orchestrierte Aktionen von größeren Organisationen oder auch Staaten.

Unser gesellschaftlicher Zusammenhalt ist in Gefahr

Es ist beängstigend, finde ich, zu sehen, was diese Desinformationskampagnen auslösen können, wie sehr sie die Wahrnehmung der Realität verfälschen, welch großen Einfluss sie auf unser gesellschaftliches Zusammenleben schon haben. Und ich frage mich, warum nicht viel mehr passiert, um das zu verhindern.

In Deutschland beschäftigen sich verschiedene Institutionen mit Kriminalität im Netz. Die Polizei, Staatsanwaltschaften, der Verfassungsschutz, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, die Bundeswehr. Aber der Bereich der Cyberkriminalität ist riesig. Dazu gehören Hackerangriffe, Online-Stalking, Fakeshops und vieles mehr. Das Identifizieren und Ausschalten von Desinformationen spielt zwar auch eine Rolle, aber allein angesichts der immensen Menge von solchen Inhalten im Netz, kommen Ermittler gar nicht hinterher. Im Fall der Bombendrohungen an Schulen konnten zwei Täter identifiziert werden, die vielen anderen Trolle bleiben unentdeckt.

Natürlich braucht es auch Bildung zu diesem Thema. Die Existenz von Troll-Netzwerken und Akteuren, und welche Potentiale sie haben, muss ins Bewusstsein der Bevölkerung. Kampagnen wie #usethenews zur Stärkung der Nachrichtenkompetenz sind hilfreich. Am besten würde sich jeder eine gesunde Skepsis antrainieren und dazu noch Techniken parat haben, um Quellen zu checken, gefakte Bilder zu erkennen etc. Aber seien wir ehrlich: Das ist ziemlich viel verlangt.

Der Kampf gegen Desinformation muss Priorität haben

Auch wir Journalistinnen und Journalisten müssen uns an die eigene Nase fassen. Die Mär von der Bettwanzenplage in Paris zum Beispiel haben fast alle deutschen Medien nur zu gern aufgenommen und weitererzählt. Die Erkenntnis, dass es sich auch hier um gezielt gestreute Desinformationen handelt, hat hingegen deutlich weniger Raum in der Berichterstattung bekommen. Laut französischer Regierung, hätten Akteure aus Russland versucht, das Aufkommen von Bettwanzen mit der Ankunft ukrainischer Geflüchteter zu verbinden. Und das mit dem Ziel, die öffentliche Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.

Es braucht aber vor allem mehr Handhabe, identifizierte Inhalte so schnell wie möglich aus dem Netz zu bekommen. Das Medienhaus correctiv hat recherchiert, dass es zum Teil Wochen dauert, bis Fake-Seiten von Internetdienstleistern stillgelegt werden – selbst wenn die Anträge von Bundesämtern kommen. Facebook, Instagram, TikTok vor allem aber X zeigen bisher kaum Bereitschaft, gegen Desinformation ernsthaft vorzugehen. Im Gegenteil befördern die Plattformen noch die Verbreitung, weil viel Interaktion auf solche Postings erfolgt. Da muss von deutscher und EU-Seite viel mehr Druck aufgebaut werden.

Nicht umsonst gilt Desinformation als Teil hybrider Kriegsführung. Wir brauchen endlich wirksame Waffen dagegen.

Haben Sie die Doku in der ARD-Mediathek gesehen? Und fühlen Sie sich gut gegen Desinformation gewappnet? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

Kommentare zum Thema

  • Sonntag wird geurteilt 29.08.2024, 20:18 Uhr

    Am Sonntag wird im Osten über die Ampelpolitik abgestimmt, wobei es im Ergebnis letztlich um die Frage geht , ob die Deutschen ein Volk von Masochisten sind, die alles erdulden , was mit Ihnen geschieht oder ob sie der Ampel die Qittung für Ideologie und Inkompetenz zeigen .

  • Anonym 29.08.2024, 18:29 Uhr

    Es ist erschreckend zu, sehen , wieviele Tausende Opfer der Massenmigration, die auch gem. Art. 16 a GG illegal ist , es bereits gab und wie wenig die Politik bereit ist , darauf zu reagieren, bestenfalls ein paar Tage vor einer wichtigen Wahl: ; Es bleibt dabei, was ich hier bereits mehrere Male geschrieben habe ; Es wird sich nichts ändern, denn Sozis und Grüne haben ihre früheren Wähler so sehr frustriert, , daß sie sie nie wieder wählen werden . Um politisch zu überleben , müssen sie daher jetzt mit Ausländer-und Migrantenmilieus kuscheln, um sie als Wähler zu gewinnen, zB. per Turbopass. Die Union wird auch künftig das C im Namen streichen müssen , denn die christlich geprägten Babyboomer stehen jetzt im Rentenalter,, werden also biologisch bedingt ,immer rarer. Diese Erkenntnis ist also reine Matheaufgabe. Als "Babyboomer" braucht mich das nicht mehr zu jucken. Das nennt man wohl Glück im Unglück und ist ist auch das Einzige, was Ampel für sie "geschafft" hat.

  • Brigitte Sauer 29.08.2024, 14:00 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er diskriminierend ist. (die Redaktion)