Abschiebeflug nach Kabul

Abschiebepläne: Nicht alle Forderungen sind realistisch! | Meinung

Stand: 07.09.2024, 06:01 Uhr

Nach Solingen werden Forderungen nach mehr Abschiebungen lauter. Aber welche sind umsetzbar, fragt sich unsere Kolumnistin.

Von Minh Thu Tran

Jetzt reicht's, so geht das nicht weiter beim Thema Asyl. Das ist jetzt der Tenor der Politik. Man will Konsequenzen ziehen nach dem mutmaßlich islamistischen Messeranschlag in Solingen, bei dem drei Menschen starben. Der Tatverdächtige ist Syrer und hätte eigentlich abgeschoben werden sollen. Diese Woche gab es deswegen ein Treffen mit Spitzenpolitikern der Bundesregierung, der CDU/CSU und der Länder dazu, wie "Irreguläre Migration" begrenzt und Asylregeln restriktiver gemacht werden können. Das Innenministerium hatte schon zum Beispiel strengere Regeln für bestimmte Asylbewerber, Messerverbote und härtere Maßnahmen für gewaltbereite Islamisten angekündigt.

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CDU-Chef Friedrich Merz, der sich als nächster Kanzler in Position bringen will, will Asylbewerber schon an der Grenze zurückweisen - vor allem solche, die zuerst in einem anderen Land EU-Boden betreten haben und deshalb eigentlich in diesem EU-Land ihren Asylantrag stellen müssten. Das würde so gut wie alle Asylbewerber betreffen. Wie soll man denn zuerst EU-Boden in Deutschland betreten? Das geht eigentlich nicht, weil Deutschland ziemlich mittig liegt in Europa. Oder in den Worten von Friedrich Merz: "Wer in Deutschland seinen Asylantrag stellt, ist mindestens ein Land zu weit gereist."

Sind diese Forderungen von Friedrich Merz machbar?

Ein großes Hindernis für diese Maßnahme: Deutschland ist ein EU-Land. Um Migranten an der Grenze aufzugreifen und abzuweisen, wären Grenzkontrollen nötig. Die gibt es auch an den EU-Außengrenzen, aber innerhalb der EU soll es ja Reisefreiheit geben - sprich, keine Kontrollen an den deutschen Grenzen. Die können zwar in speziellen Fällen bei der EU beantragt werden - zum Beispiel während der Europameisterschaft, als hier die Angst vor Terroranschlägen erhöht war. Diese Kontrollen dürfen aber nur zeitlich befristet stattfinden. Könnte man rechtlich überhaupt immer wieder neue Grenzkontrollen begründen? Das ist wohl eher schwierig umzusetzen.

 Mal eben abschieben, ist nicht!

Dann ein Thema, das auch beim Tatverdächtigen von Solingen vielfach besprochen wurde: Warum hat seine Abschiebung nach Bulgarien nicht geklappt - das Land, in dem er zuerst EU-Boden betreten hat? In diesem Fall haben die Behörden nur einmal versucht, ihn aufzufinden. Auch in der Zusammenarbeit mit den Ländern an der EU-Außengrenze gibt es bürokratische Hürden. Bulgarien etwa diktiert enge Regeln. Abschiebungen dürfen nur montags bis donnerstags stattfinden, die Abschiebeflieger müssen zwischen 9 und 14 Uhr auf dem Flughafen in Sofia landen. Es dürfen auch nur Linienflüge sein - Charterflüge werden nicht akzeptiert. Auch solche Regeln führen dazu, dass etwa in NRW nur 10 bis 15 Prozent nach dem Dublin-Abkommen in andere EU-Länder abgeschoben werden - das sagt zumindest NRW-Integrationsministerin Paul.

Dann eben Geflüchtete zurück in ihre Herkunftsländer schicken?

Auch für Abschiebungen nach Syrien oder Afghanistan zum Beispiel gibt es komplizierte rechtliche Hürden. Deutschland ist ein Land, das die EU-Grundrechtecharta unterschrieben hat und zahlreiche weitere völkerrechtschützende Verträge. Und muss deshalb darauf achten, dass den Menschen, die abgeschoben werden, kein Tod und keine Folter droht. Das "Non-Refoulment-Gebot" wird das genannt. Ob das zum Beispiel im Fall von Afghanistan stimmt, mit der Frage haben sich seit 2021 vier Oberlandesgerichte beschäftigt. Zwei entschieden sich dafür, zwei dagegen.

Doch auch politisch ist das umstritten. Letzte Woche wurden das erste Mal seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Straftäter wieder dorthin abgeschoben. Mit der Terror-Bande Taliban möchte die Bundesregierung keine Beziehungen führen und deswegen auch nicht verhandeln, ob sie die Abgeschobenen annehmen. In diesem Fall hat deswegen Katar die Gespräche übernommen. Aber möchte man langfristig - auch über Umwege - solche Verhandlungen mit der Taliban führen? Oder mit dem syrischen Diktator Assad? All diese Komplikationen führen dazu, dass unter Umständen Straftäter, wie der aus Solingen, nicht abgeschoben werden.

Im ersten Halbjahr 2024 wurden 9.465 Personen aus Deutschland abgeschoben - das sind etwa 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Seit 2020 steigt die Zahl der Abschiebungen konstant. Die häufigsten Herkunftsländer: Türkei, Georgien, Nordmazedonien. Erst an vierter Stelle kommt Afghanistan. Besonders fleißig beim Thema Abschieben in den vergangenen Jahren ist übrigens Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg.

Und dann ist da die andere Seite: Die Angst, gehen zu müssen

Ich bin in Deutschland geboren, aber das Wort "Abschiebung", das meine Eltern in meiner Kindheit verhalten flüsterten, löst bis heute in mir Ängste aus - obwohl ich seit Jahren den deutschen Pass habe. Die Erinnerungen an die gepackten Koffer, die in der Ecke standen, für den Fall der Fälle. Diese Angst, die uns packte, wenn wir Monat um Monat wieder in die Ausländerbehörde mussten. Werden wir dann direkt festgenommen und abgeschoben? Oder schaffen wir doch einen weiteren Monat und bekommen nochmal eine Duldung?

Die heißen Tränen, die ich weinte, als ich im Grundschulalter dabei zuschauen musste, wie Beamte frühmorgens zwei enge Freunde meiner Eltern abholten und ich nach ihrer Abschiebung vollkommen geschockt zur Schule musste. Auf einmal waren sie weg. Onkel Huy, der meine Mutter für ihre Hochzeit geschminkt hatte und für seine pompösen Blumengestecke berühmt war. Onkel Minh, der seit über zehn Jahren in einem Familienunternehmen vor Ort arbeitete und besonders Spaß beim Kartenspielen hatte. Beide arbeiteten, zahlten Steuern und wurden trotzdem abgeschoben - weil sie alleinstehende Männer waren.

Integration schützt vor Abschiebung nicht 

Abgeschoben werden nicht nur Integrationsunwillige oder Straftäter, die sich nicht an Regeln halten. Immer wenn die Debatte rund um Abschiebungen wieder heiß läuft, wenn die Behörden wieder unter Druck stehen, mehr Leute abzuschieben, dann kommen vermehrt Fälle ans Licht, die auch in der Öffentlichkeit für Empörung sorgen. Wie etwa vor wenigen Wochen der Fall des 18-jährigen Joel A. aus Ghana, der kurz vor seinem Abitur abgeschoben werden sollte - obwohl er in Hamburg seine Familie hat. Die Abschiebung konnte nur mit dem Engagement seiner Mitschüler und Lehrer gestoppt werden.

Oder vor ein paar Monaten der Fall des 26-jährigen Daniel M. aus München, einem Pflege-Azubi, der in den Kongo abgeschoben werden sollte. Wo der Einsatz seines Arbeitgebers dafür sorgte, dass nur wenige Stunden vor Abflug seines Abschiebefliegers der bayerische Innenminister Herrmann die Abschiebung stoppte.

Anwälte, die sich mit Abschiebungen beschäftigen, sagen: Dass es solche Menschen trifft, hat einen einfachen Grund. Wer arbeitet, wer zur Schule geht, wer Behördentermine pflichtbewusst wahrnimmt, der ist für die Behörden gut zu greifen. Der taucht nicht unter, der hat einen festen Wohnsitz. Es sind Menschen wie Joel und Daniel, die hier in Deutschland in Duldung leben. Menschen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, die hier aber seit Jahren oder auch Jahrzehnten ein Zuhause gefunden haben. Diese kalten Debatten und Forderungen um "konsequentes Abschieben" dürften ihnen viel mehr Angst machen als mir.

Diese Menschen haben es verdient, dass Politiker nicht nur populistische Forderungen raushauen, sondern realistisch darüber diskutieren. Kolumnistin Minh Thu Tran

Kommentare zum Thema

51 Kommentare

  • 51 Ylander 11.09.2024, 09:49 Uhr

    Schade, dass hier recht einseitig Beiträge, welche den Grünen entsprechen, veröffentlicht werden. Dabei bin ich sicher, dass die große Mehrheit der Bevölkerung sich eine strengere Asylpolitik wünscht. Schauen Sie doch einfach einmal, wie viele Menschen wir in den letzten zehn Jahren afugenommen haben. Keine Gesellschaft kann beliebig viele Einwanderungen, schon gar nicht in so kurzer Zeit, verkraften.

  • 50 Klaus Keller 10.09.2024, 23:45 Uhr

    An die Redaktion, in der ganz rechten Spalte ist ein Bild zu „Impuls“, das eigentlich zur Übersicht zu Impuls führen sollte, in der alle Beiträge von Impuls aufgeführt sind. Das wäre richtig der Link zu: „https://www1.wdr.de/nachrichten/impuls-100.html“. Der Link geht aber nicht auf die Übersicht sondern nur auf die aktuelle Diskussion über Swift, Harris, Bilse, die eigentlich nur unter dem Text unter dem Bild verlinkt sein sollte. In der Übersicht zu Impuls-Beiträgen „https://www1.wdr.de/nachrichten/impuls-100.html“ fehlte schon immer der Beitrag von Minh Thu Tran über Abschiebepläne. Zugang war nur noch über die Startseite, in der es verschiedene Links zum Anschlag in Iserlohn gab. Da war noch der einzige Link zu dieser Seite. Es geht ja in Ordnung die Linkserie zu Iserlohn irgendwann mal raus zu nehmen. Aber damit war der einzige Zugang über links auch noch weg. Finden kann man diese Seite also nur noch, wenn man wie ich die https-Adresse gesichert hat oder über Suchmaschinen.

  • 49 Klaus Keller 10.09.2024, 18:18 Uhr

    Hallo Herr Keller! Auf welchen Link beziehen Sie sich? Danke und freundliche Grüße Die Redaktion

  • 48 Unrealistische Forderung 09.09.2024, 18:03 Uhr

    Bei der FDP verstieg sich Herr Djir-Sarai in die Behauptung "Wenn die Grünen sich weigern, einen Beitrag zur Lösung des Migrationsproblems zu leisten, sind sie nicht regierungsfähig und müssen raus aus der Regierungsverantwortung." Wenn Herr D-S das glaubt, sollte er nicht in den Spiegel schauen, er sähe sich dann sehr grün. Jedenfalls hat seine Partei sich in der Ampel als kaum regierungsfähig hergezeigt und trägt den größten Teil der Verantwortung für den Zustand der Ampel. Statt in der Asyldebatte konstruktiv mitzuarbeiten, schielt sie zur Union in der Hoffnung, mit ihr nach der Bundestagswahl weiter an den Fleischtöpfen der Macht zu sitzen. Es gibt durchaus Leute, Politikwissenschaftler*innen und andere, die sich mit Migration auskennen. Es wäre sicher hilfreich, wenn diese nicht nur gelegentlich in der Presse oder den öffentlich-rechtlichen Medien zu Wort kämen, sondern auch bei Regierung und Opposition Gehör fänden. Damit käme man weiter als mit kraftmeiernden Politiker*innen.

  • 47 Unrealistische Forderung 09.09.2024, 17:44 Uhr

    "Diese Menschen haben es verdient, dass Politiker nicht nur populistische Forderungen raushauen, sondern realistisch darüber diskutieren." Das kann ich nur unterschreiben, Frau Tran. Faktenbasierte Diskussionsbeiträge wie der Ihre sind von Seiten der Politiker selten zu hören. Darüber hinaus schildern Sie auch eindrucksvoll die Ängste der potentiell von Abschiebung bedrohten Migrant*innen. Eine Versachlichung der Diskussion unter Einbeziehung aller Fakten ist dringend notwendig aber wenig wahrscheinlich. Alles scheint dahin orientiert, der "AfD" Stimmen abzunehmen, was aber bekanntermaßen nicht funktioniert. Die Ultimaten, die Friedrich Merz Kanzler Scholz stellt, scheinen vor allem dazu gedacht, ihn als den herausragend geeigneten nächsten Bundeskanzler erscheinen zu lassen. Lösungsorientiert sähe anders aus. Aber auch von den anderen demokratischen Parteien mit Ausnahme vielleicht der Grünen kommt leider wenig Reflektiertes. Bei der FDP verstieg sich Her Djir-Sarai in die Behauptun

    Antworten (1)
    • Unrealistische Forderung 09.09.2024, 18:31 Uhr

      Was Merz angeht, hat der der Karikaturist Klaus Stuttmann es mal wieder auf den Punkt gebracht: Merz am CDU-Stand mit Prospekten im Arm im Gespräch mit einem älteren Paar. Der Mann: Mit Ihren klaren Worten sprechen Sie uns aus der Seele, Herr Merz, und wir würden Sie sofort wählen, wenn es nicht ..." Die Frau. "... die AfD gäbe." (zu finden unter stuttmann minus karikaturen punkt de)

  • 46 HmmB 09.09.2024, 12:30 Uhr

    Politiker folgen dem Zeitgeist oder was sie dafür halten weil's in den Medien gerade hyped. Die Mitarbeiter in den Behörden und Verwaltungen gehen dann leider auch den Weg des geringsten Widerstandes bzw machen Dienst nach Vorschrift, was dann für uns Bürger im Einzelfall zu unverständlichen, dissozialen Aktionen führen kann. Jeder der sich integriert hat, unsere Werte respektiert und lebt, sollte auch von uns respektiert werden. Vorschriften und Bürokratie die dies verhindern, sollten dringend überarbeitet werden.

  • 45 Josefine Paul 09.09.2024, 10:21 Uhr

    Hiermit trete ich aus Anstand und Respekt vor den Opfern zurück.

    Antworten (2)
    • Anonym 09.09.2024, 11:52 Uhr

      @ "Josefine Paul": Fordern Sie den Rücktritt von Frau Paul, wenn Ihnen danach ist, aber nicht in dieser Form. Irreführend, geschmacklos.

    • Klaus Keller 09.09.2024, 13:09 Uhr

      Das klingt nicht nach dem Original. Aber immerhin kann ich ihr zustimmen, da steckt viel Systemversagen dahinter und wenn eine einzelne Person mit Rücktritt die politische Verantwortung trägt, repariert das noch nichts am System.

  • 44 Gerd Adamski 09.09.2024, 09:45 Uhr

    Politiker leben in einer ganz anderen Welt als ein Großteil der Bevölkerung, die die Fehlentscheidungen der Politik im Alltag ausbaden und am besten den Mund halten muss. Probleme, die mit massenhafter und unkontrollierter Migration angerichtet werden, kennen sie nicht dank Privatschulen, dem Häuschen in guten Stadtteilen und anderer Privilegien nicht. Die so genannte "Elite" ist da in allen Ländern gleich.

    Antworten (2)
    • @Gerd 09.09.2024, 13:12 Uhr

      Hmm, Sie haben aber einen ganzen Stapel Vorurteile. Woher wissen sie das alles denn so ganz genau? Haben Sie Kinder? Wo wohnen Sie? Welche ganz konkreten eigenen Erfahrungen haben Sie denn gemacht?

    • Anonym 09.09.2024, 14:51 Uhr

      Wenn unsere Politiker zur Elite gehören würden, wären sie nicht Politiker geworden. ;-) Wir haben nicht ein Migrationsproblem, sondern ein Integrationsproblem. Wie schaffen wir es, miteinander friedlich zusammenzuleben - dieses Problem gilt es zu lösen.

  • 43 Mohammed 09.09.2024, 08:09 Uhr

    Die einfache Lösung lautet: Der Islam muss zur Staatsreligion werden.

    Antworten (4)
    • Kerstin 09.09.2024, 12:51 Uhr

      Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

    • @Mohammed 09.09.2024, 13:07 Uhr

      Hmm, die Trennung von Staat und Religion sollen wir aufgeben? Und wie stellen sie sich das konkret vor? Und was soll warum genau wie dadurch konkret gelöst werden?

    • Klaus Keller 09.09.2024, 13:34 Uhr

      Das sieht mehr nach Provokation aus als nach wirklicher Meinung. Die Mehrheit mit 28,6% sind Katholiken, danach kommen Atheisten mit 26,9%, dann Protestanten mit 25,8%. Der Islam hat einen Anteil von nur 3,5%. Da spricht doch viel für Trennung von Staat und Kirche. (Quelle: Eurobarometer-Umfrage 2018 bei der Bundeszentrale für politische Bildung)

    • Anonym 09.09.2024, 14:53 Uhr

      @WDR ....warum bleibt so was stehen ?

  • 42 Erna 09.09.2024, 07:38 Uhr

    Meiner Meinung nach erfordern die heutigen Herausforderungen der Gesellschaft andere Lösungen, als Abschiebungen. Das hat doch eher was von Cancel Culture, Populismus, rechter Anbiederei, Hilflosigkeit, Überforderung und staatlichem sowie sozialem Versagen an sich. Da gibt es doch sicherlich bessere Lösungen.

  • 41 Jens M. 09.09.2024, 07:09 Uhr

    An diesem Beitrag sieht man, dass das Feindbild des WDR nicht nur (hier richtigerweise) die AfD ist, sondern auch die CDU, d.h. alles, was nicht links ist. Da nützt es auch nichts, das hier als (fremde) "Meinung" zu deklarieren.

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