Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf - in NRW sogar noch mehr. Staatliche Unterstützung, die Kinderarmut verhindern soll, gibt es durchaus. Das Problem ist nur: Manche Hilfen werden kaum in Anspruch genommen.
Das bisherige System der Familienförderung hat sich als zu kompliziert erwiesen. So kommt der bisherige Kinderzuschlag offenbar bei jedem dritten Kind nicht an. Mit der Kindergrundsicherung, so der Plan der Bundesregierung, soll ab 2025 vieles anders werden.
Sie soll verschiedene Leistungen zusammenfassen - auch das Kindergeld. Und mit ihr soll zusätzliches Geld fließen. Ab 2025 will die Regierung zunächst etwa 2,4 Milliarden Euro an Mehrausgaben einplanen.
Worauf hat sich die Ampel-Regierung nach zähem Ringen genau geeinigt? Wie sollen unter anderem Teenager und Alleinerziehende profitieren? Worum geht es bei der Kindergrundsicherung eigentlich genau? Und wie groß ist das Problem der Kinderarmut in NRW und deutschlandweit?
Was soll in der Kindergrundsicherung gebündelt werden?
- Kindergeld
- Kinderfreibetrag
- Kinderzuschlag
- Teile des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets
- Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch
Bislang gibt es 250 Euro Kindergeld pro Kind. Darüber hinaus gibt es das Bürgergeld für Kinder. Für Familien mit geringem Einkommen gibt es den Kinderzuschlag, maximal 250 Euro pro Kind, und Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) prognostiziert für armutsgefährdete Kinder ab 2025 Leistungen von 530 Euro für die Kleinsten und bis zu 636 Euro für die Ältesten.
Besserverdienende sollen vom Kinderfreibetrag in der Einkommensteuer profitieren.
Was soll sich mit der Kindergrundsicherung sonst noch ändern?
"Einfach, unbürokratisch und bürgernah" solle die Kindergrundsicherung sein, verspricht das Bundesfamilienministerium. "Die Kindergrundsicherung wird online und einfach zu beantragen sein", heißt es in einem Papier, das die Regierung bereits im August vorgestellt hat:
Vorgesehen ist ab 2025 eine Bündelung der bisherigen Leistungen in zwei Komponenten:
1. Einkommensunabhängiger Garantiebetrag: Er soll für alle Kinder gezahlt werden und zunächst auf Höhe des heutigen Kindergelds (250 Euro pro Monat) liegen. Kinder, die erwachsen sind, aber noch studieren oder in der Ausbildung sind, sollen diesen Garantiebetrag außerdem direkt bekommen - anders als das Kindergeld heute, das an die Eltern geht.
2. Zusatzbetrag: Obendrauf kommt je nach Bedürftigkeit ein Zusatzbeitrag, nach Alter gestaffelt und je nach Einkommenssituation der Eltern. Je weniger sie verdienen, desto höher soll er ausfallen. Das Geld soll maximal bis zum 25. Geburtstag des Kindes gezahlt werden. Familien, die unter Umständen Anspruch auf den Zusatzbeitrag haben, sollen darüber informiert werden.
Auf welche Details hat sich die Regierung verständigt?
Gestritten wurde in den vergangenen Monaten vor allem ums Geld. Familienministerin Paus sagte bereits vor einiger Zeit, dass die Kindergrundsicherung den Bund zusätzlich zwölf Milliarden Euro kosten werde. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) entgegnete jedoch vor einigen Wochen, als er den Haushaltsentwurf aufstellte, dass er nur zusätzliche zwei Milliarden Euro einplanen wolle.
Jetzt sollen es zunächst also etwa 2,4 Milliarden Euro werden. Allerdings bleibt es nicht bei dieser reinen Zahl. In der nächsten Zeit würden sich auch "Kinderzuschlag, Kindergeld und Regelsätze weiter erhöhen - und das wird zu weiteren Verbesserungen für die Familien führen", sagte Ministerin Paus.
Paus hob zwei Beispiele hervor, wie die Kindergrundsicherung für Verbesserungen sorgen werde:
- "Teenager beispielsweise, die bisher Kinderzuschlag bekommen, werden mit dem Start der Kindergrundsicherung monatlich noch einmal 60 Euro mehr haben."
- Bei Alleinerziehenden, die mindestens 600 Euro verdienen, sollen Unterhaltszahlungen vom anderen Elternteil künftig nur zu 45 Prozent zur Bemessung des Kinderzusatzbetrages angerechnet werden.
Vor allem dieses Detail war Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wichtig. Er betonte, dass es diese "priviligierte Anrechnung von Unterhaltseinkommen" für Kinder ab sechs Jahren nur für jene Alleinerziehenden geben solle, "die mindestens für 600 Euro arbeiten - Minijob reicht nicht aus".
Kinderarmut in Deutschland - wie groß ist das Problem?
Armut ist relativ und lässt sich nicht allein am Geld bemessen. In Deutschland wird daher meist der Begriff "Armutsgefährdung" verwendet. Nach Angaben der statistischen Ämter des Bundes und der Länder lag die Armutsgefährdungsquote 2022 bei 21,6 Prozent, das sind fast drei Millionen Kinder und Jugendliche. Zehn Jahre zuvor lag sie noch bei 18,7 Prozent.
Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist die Armutsgefährdungsquote in NRW bei Minderjährigen demnach mit 27 Prozent besonders hoch. Ausreißer nach oben ist Bremen mit 40,5 Prozent. Am kleinsten ist die Quote in Bayern mit 14,3 Prozent.
Kinder gelten als armutsgefährdet, wenn sie in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median-Einkommen) aller Haushalte beträgt.
Woran kann das Vorhaben noch scheitern?
Der Gesetzentwurf muss nun durch den Bundestag und auch die Länder müssen zustimmen. Es bleibt fraglich, ob die unionsgeführten Bundesländer dem derzeitigen Entwurf zustimmen werden. "Das bisherige Konzept ist für Bayern so nicht tragbar», sagte etwa die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) der "Süddeutschen Zeitung".
Und der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, befürchtete bereits, dass die Unterstützung für arme Kinder im parlamentarischen Verfahren abgeschmolzen werden könnte. "Das Deutsche Kinderhilfswerk ist äußerst besorgt, dass bei der geplanten Kindergrundsicherung das Ziel in Gefahr gerät, die Kinderarmut in Deutschland spürbar zu senken", sagte Krüger den Zeitungen der "Funke Mediengruppe". "Es ist vielmehr zu befürchten, dass im weiteren Verfahren in Bundestag und Bundesrat die Kindergrundsicherung weiter zusammengestrichen wird."
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- Bundespressekonferenz am 28.08.2023 mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Livestream bei Phoenix
- Eckpunktepapiers des Bundesfamilienministeriums vom 18.01.2023, liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor
- Papier der Ampel-Regierung zur Kindergrundsicherung vom 28.08.2023, liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor
- WDR-"Morgenecho"-Interview mit dem stellvertretenden SPD-Franktionsvorsitzenden Matthias Miersch vom 28.08.2023
- Daten der statistischen Ämter des Bundes und der Länder zur Armutsgefährdungsquote
Über dieses Thema berichteten wir am 28.08.2023 auch in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen.