Klimaschutz: Was will Schwarz-Rot?

02:36 Min. Verfügbar bis 11.04.2027

Klimakrise - war da nicht was? Kritik am Koalitionsvertrag

Stand: 11.04.2025, 16:32 Uhr

Spielt der Klimaschutz für die künftige Bundesregierung nur eine geringe Rolle? Was am Koalitionsvertrag kritisiert wird.

Von Jörn SeidelJörn Seidel

Schon während des Wahlkampfs ließ sich der Eindruck gewinnen, die Klimakrise lasse sich auch beiläufig lösen. Zumindest sprach kaum jemand vom Klima. Und auch am Mittwoch, als der Bundeskanzler in spe Friedrich Merz (CDU) den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vorstellte, vergingen 36 Minuten und 41 Sekunden, bis er erstmals vom Klima sprach.

Wie klimagerecht ist der Koalitionsvertrag?

Klima-Aktivistin Luisa Neubauer von der Initiative Fridays for Future wunderte sich am Mittwoch bei X: "Merz stellt den Koalitionsvertrag vor und spricht von jungen Menschen & ihren Zukunftsängsten - um dann exakt kein Wort zum Klima zu sagen."

Portrait der Sprecherin Asli Baskas von der Grünen Jugend NRW

Aslı Baskas, Landessprecherin Grüne Jugend

Auch Aslı Baskas, Sprecherin der Grünen Jugend NRW, blickt auf die Jüngeren: Es sei "besorgniserregend, dass im Koalitionsvertrag nicht einmal der Begriff Klimagerechtigkeit auftaucht", sagte sie am Freitag dem WDR.

Kevin Gniosdorz, Landesvorsitzender Junge Union NRW

Kevin Gniosdorz, Landesvorsitzender Junge Union NRW

Kevin Gniosdorz, Landesvorsitzender der Jungen Union NRW, hält dagegen: Er begrüße es, dass der Koalitionsvertrag "den notwendigen Klimaschutz und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zusammen denkt", sagte er am Freitag dem WDR. Er biete "eine Grundlage, die ideologiebetriebene Politik der Vergangenheit durch einen pragmatischen und marktwirtschaftlichen Klimaschutz zu ersetzen".

Proteste von Fridays for Future auch in NRW

Für Freitag hat Fridays for Future zum Internationalen Klima-Aktionstag aufgerufen. Auch in NRW gibt es Proteste, zum Beispiel in Bochum, Bonn, Düsseldorf, Münster und Lienen. Wir haben mit einigen Demonstrierenden gesprochen und sie gefragt, was sie von Union und SPD jetzt erwarten:

Demos fürs Klima in NRW

Fridays For Future will Druck machen auf die zukünftige Bundesregierung. Deutschlandweit sind an diesem Freitag Menschen auf die Straße gegangen - auch in NRW.

Mit Laufrädern, Rutscheautos, Cityrollern und Fahrrädern sind in Bochum Demonstranten auf den Straßen unterwegs

In Bochum waren auch kleinere Demonstrierende auf Rutscheautos unterwegs. Ihre Botschaft: Der öffentliche Raum soll für Kinder, nicht für Autos gestaltet werden.

„Es braucht eigentlich massive Veränderungen. Es muss mehr Reformen wie das Heizungsgesetz geben. Für so ein wichtiges Thema steht im Koalitionsvertrag zu wenig zum Klima drin.“ Julius Fuhrmann, Schüler aus Bonn.

„Ich habe mir die PK angeschaut und dachte schon, Klimaschutz kommt da gar nicht mehr. Wir brauchen einen konsequenten Ausbau der Deutschen Bahn. Und die neue Regierung darf nicht alles rückgängig machen, was die alte Regierung beim Klimaschutz erreicht hat.“ Simone Hoeland, Demonstrantin in Bonn.

„Die neue Regierung muss mehr auf erneuerbare Energien setzen, und nicht auf Atomkraft. Die ist schlecht für das Klima und gefährlich.“ Merle Groscurth (rechts im Bild) auf dem Bonner Münsterplatz.

„Wir brauchen eine Pflichtabgabe für den Klimaschutz in den Kommunen, wie bei den Kitas. Ansonsten ist dafür am Ende kein Geld mehr da.“ Astrid Corstard, Parents for Future Bornheim-Weilerswist-Swisttal.

In Bochum waren auch kleinere Demonstrierende auf Rutscheautos unterwegs. Ihre Botschaft: Der öffentliche Raum soll für Kinder, nicht für Autos gestaltet werden.

Karin Picken (75), ihre Tochter Sandra Block (45) und Enkeltochter Lilith (6) sind zum ersten Mal bei einer Demo von Fridays for Future mit dabei. Mit Blick auf den neuen Koalitionsvertrag haben Mutter und Tochter kein gutes Gefühl, was den Klimaschutz anbelangt. „Das steht immer so hinten an. In dem Bereich wird wohl nicht viel passieren“, sagt die Familie aus Bochum.

Die Klima-Kritik an den Koalitionsvorhaben ist vielfältig, weil Klimaschutz zahlreiche politische Themen betrifft. Konkret geht es zum Beispiel um diese Themen:

Zeitpunkt des Kohleausstiegs

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte noch das Ziel ausgegeben, dass man den "Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen" wolle. Die Landesregierung aus CDU und Grünen hält an diesem Ziel für NRW weiterhin fest - auch wenn der Ausstieg womöglich erst 2033 kommt.

Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt es nun, dass man an der "Braunkohleverstromung bis spätestens 2038" festhalten wolle. Das sei "schlichtweg zu spät", kritisiert Baskas. "Als Grüne Jugend NRW fordern wir einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 und den Öl- und Gasausstieg bis 2035, damit die Klimaziele auch in Deutschland eingehalten werden."

Auto, Bahn und Flugzeug

Durch die Einigung von Union, SPD und Grünen im alten Bundestag auf ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen steht nun die "Klimaneutralität bis zum Jahr 2045" wortwörtlich im Grundgesetz. Daran will die künftige Koalition auch nicht rütteln. Jedoch: Es ist vielen nun noch unklarer, wie das erreicht werden soll.

Beispiel CO2-Grenzwerte für Verbrennermotoren: Nach Ansicht von Greenpeace-Vorstandsmitglied Martin Kaiser wollen "die Koalitionäre die europäischen CO2-Grenzwerte für Pkw aufweichen". Das schade nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch "der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Autoindustrie".

Auch dass die Luftverkehrssteuer gesenkt werden soll, sei ein Rückschritt für den Klimaschutz, sagte Katharina Reuter, Geschäftsführerin vom Bundesverband nachhaltige Wirtschaft, am Freitag dem WDR. Dadurch werde klimaschädliches Fliegen günstiger und attraktiver.

Das kritisierte am Mittwoch auch Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Sie lobte aber auch, dass man das Deutschlandticket beibehalten wolle, in Bahn- und Ladeinfrastruktur investiert werden soll und Sonderabschreibungen für Elektrofahrzeuge geplant seien.

Geplante "Abschaffung des Heizungsgesetzes"

"Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen", heißt im Koalitionsvertrag. Gemeint ist eigentlich das Gebäudeenergiegesetz - und dieses werde es in neuer Form auch weiterhin geben. Allerdings solle es "technologieoffener, flexibler und einfacher" werden. Bislang regelt das Gesetz der Ampel-Koalition unter anderem, dass der Einbau neuer Öl- und Gasheizungen schrittweise bis Juni 2028 verboten wird, sodass das Heizen in Deutschland klimafreundlicher wird.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte die geplante Abschaffung des bisherigen Gesetzes schon während der Koalitionsverhandlungen als "schlechte Nachricht" für Handwerk und Klimaziele bezeichnet, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) als "Frontalangriff auf klimafreundliches Heizen". Am Mittwoch schob der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt nach: "Es bleibt offen, was die schwarz-rote Alternative sein soll."

Nutzung der Energiequelle Gas

Der noch geschäftsführend amtierende Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat Gas stets als "Übergangstechnologie" bezeichnet. Es ist die wichtigste Energiequelle zum Heizen in Deutschland und produziert somit einen großen Teil des klimaschädlichen CO2 in Deutschland.

Die Ampel-Regierung hatte sich darauf geeinigt, neue Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von zehn Gigawatt zu bauen. Die künftige Regierung will die Kapazität laut Koalitionsvertrag verdoppeln.

Kritik daran äußerte am Mittwoch die Initiative Fridays for Future: Statt an den Rekordausbau der Erneuerbaren Energien anzuschließen, "öffnet Schwarz-Rot Tür und Tor für mehr dreckiges Gas", hieß es mit Blick auf Pläne für Gasförderung im Inland und "Unmengen an Gaskraftwerken".

Gniosdorz von der Jungen Union NRW verteidigt die Gas-Pläne der künftigen Koalition. Das "sichert unseren Industriestandort ab und ist gerade für Nordrhein-Westfalen von höchster Bedeutung", sagte er am Freitag dem WDR. "Auch das Gelingen des vorzeitigen Ausstiegs aus der CO2-intensiven Braunkohle hängt vom schnellen Neubau von Gaskraftwerken als Backup für die volatilen Erneuerbaren ab."

Europäischer Emissionshandel

Eine Neuerung strebt die künftige Koalition auch beim Emissionshandel an. Dessen Ziel ist die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen von Unternehmen zum Schutz des Klimas.

Bandt vom BUND erkennt im Koalitionsvertrag ein geplantes Anrechnen "fragwürdiger Projekte zur Emissionsreduktion im Ausland". Die Befürchtung: Während dies die Zahlen der klimaschädlichen Treibhausgase in Deutschland offiziell reduziert, treibt es sie anderswo auf der Welt in die Höhe.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält das hingegen für sinnvoll, wie er am Mittwoch mitteilte: "Dass auch negative Emissionen und außereuropäische CO2-Minderungsanstrengungen für die Klimaziele angerechnet werden sollen, ist ein starkes Signal für eine flexiblere und international anschlussfähigere EU-Klimapolitik."

Übrigens: Gniosdorz von der Jungen Union betonte, dass die künftige Koalition für den Klimaschutz generell stärker auf Technologien setze als die Ampel-Regierung. Für die Industrie nennt er zum Beispiel CCS und CCU. Hinter diesen Abkürzungen stecken zwei Verfahren zur Trennung, Speicherung und Nutzung von CO2.

Bei CCS (Carbon Capture and Storage) wird das CO2 abgeschieden sowie sicher und dauerhaft in unterirdischen Gesteinsschichten gespeichert. CCU (Carbon Capture and Utilization) meint, dass das abgeschiedene CO2 für industrielle Prozesse weiterverwendet wird.

Auch Biomasse und Geothermie werde man für die Energiewende nun stärker in den Blick nehmen, sagte Gniosdorz.

Und er betonte: "Grundsätzlich empfehle ich allen Kritikern, die neue Regierung zunächst ins Handeln kommen zu lassen."

Unsere Quellen:

  • Aslı Baskas, Sprecherin der Günen Jugend NRW, auf WDR-Anfrage
  • Kevin Gniosdorz, Landesvorsitzender der Junge Union NRW, auf WDR-Anfrage
  • WDR-Interview mit Katharina Reuter, Geschäftsführerin vom Bundesverband nachhaltige Wirtschaft
  • Bundesverband der Deutschen Industrie, Stellungnahme
  • Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Stellungnahme
  • Klima-Aktivistin Luisa Neubauer bei X
  • Koalitionsvertrag 2025 von Union und SPD
  • Koalitionsvertrag 2021 von SPD, Grünen und FDP
  • Fridays for Future: Informationen zum Klima-Aktionstag
  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 11.04.2025 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.

Kommentare zum Thema

2 Kommentare

  • 2 Eiermann 11.04.2025, 22:53 Uhr

    Natürlich ist das Klima wichtig aber z.Z interessiert mich das Thema Wirtschaft viel mehr. Die neueste Entwicklung, von Wachstum 0,8% auf 0,1%. Hier sind die Turbulenzen an den Börsen noch nicht berücksichtigt. Da kann einem schon Angst um den Arbeitsplatz werden und das beschäftigt mich mehr wie das Klima. Wo bleibt eigentlich eine Stellungnahme von Wirtschaftsminister Habeck? Achja; heute (Freitag) sollten doch fff Demos stattfinden...ja es gab welche, lt. Nachrichten WDR waren in Berlin 200 mit dem Fahrrad zu den Zentralen von CDU und SPD unterwegs, sonst wurden keine Teilnehmerzahlen genannt. Ich denke, der größte Teil der kinderchen war bereits im Flieger Richtung Malle, Türkei oder Australien. Wer denkt da noch ans Klima.

    Antworten (1)
    • Mich@ 12.04.2025, 15:57 Uhr

      Wachstum= Vernichtung von Ressourcen, Umwelt und Lebensqualität

  • 1 Mich@ 11.04.2025, 18:59 Uhr

    Wen wunderst? Raubtier Kapitalismus in optimierter Güte. Beim nächsten „Ahrtalinferno“ ist die Betroffenheit groß. DEUTSCHLAND HILFT heißt es dann wieder! Gewinne werden privatisiert und mögliche Verluste tragen die Sandsack stapelnden Helfer kurzum wir alle. Wen wunderts das Deutschland nur noch müde belächelt wird? Die deutsche Automobielindustrie hat das Zeitalter der Dampfmaschiene nie überwunden. Die Zukünftige Koalition auch nicht

    Antworten (1)
    • Jap 12.04.2025, 08:03 Uhr

      Also, wenn jemand etwas ignoriert dann die CDU. Nicht die SPD. Die Ampel hat doch Dinge verändert auch bzgl. Klimaschutz, aber die Bevölkerung hat einen Hass auf Habeck gekriegt (natürlich aufgrund unserer rechten Medien und der AFD/CDU, die ständig Stimmung gegen positive Veränderungen machen).