Kühnert über Angriffe auf Politiker | Aktuelle Stunde
Aktuelle Stunde . 24.04.2025. 35:13 Min.. UT. Verfügbar bis 24.04.2027. WDR. Von Alexa Schulz.
Bedrohungen gegen Politiker wie Kühnert: Wie die Situation verbessern?
Stand: 25.04.2025, 06:00 Uhr
Der frühere SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nennt zu Gründen seines überraschenden Politik-Rückzugs auch ein "Bedrohungsgefühl". Politiker aller Parteien in Nordrhein-Westfalen erleben Ähnliches.
Von Stefan Erdmann
Dialogbox
KommentierenIm Oktober war er überraschend als SPD-Generalsekretär zurückgetreten, bei der Bundestagswahl hatte er nicht nochmal kandidiert. Jetzt hat sich Kevin Kühnert erstmals über die Gründe für seinen Rückzug aus der Politik geäußert. Im Gespräch mit der "Zeit" beschreibt er wachsende Sorgen über seine persönliche Sicherheit.
Meine rote Linie ist da, wo Gewalt in der Luft liegt. Ich bin nur 1,70 Meter groß. Kevin Kühnert in der Wochenzeitung “Die Zeit”
In der "Zeit" beschreibt Kühnert verschiedene Bedrohungen und Übergriffe - bei Auftritten als Politiker und auch in seinem Privatleben. Ein Fußballfan habe sich im Stadion neben ihn gestellt, sich als AfD-Wähler zu erkennen gegeben und Kühnert ins Gesicht gerufen: "Ich hasse dich!"
Oder eine Corona-Leugnerin, die bei einem Wahlkampf-Auftritt in Detmold auf ihn eingeschlagen und ihn mit einem rohen Ei beschmissen habe. Erst in seinem Hotelbett habe er sich gefragt: Was, wenn die Frau ein Messer gezückt hätte?

Bis zu 800 Veranstaltungen pro Jahr besuchte Kevin Kühnert in seiner aktiven Zeit
Angriffe und Bedrohungen: Kein Einzelfall
Was Kevin Kühnert schildert, erleben Politiker offenbar zunehmend, selbst auf kommunaler Ebene im Ehrenamt. Beispiele aus Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Monaten:
SPD-Politiker Helge Lindh aus Wuppertal erhielt einen Brief, in dem ihm Rechtsextremisten drohten. Sie schrieben ihm "Nirgends bist du sicher" und unterschrieben mit "NSU 3.0".
In Essen beleidigte eine Gruppe von Menschen die Grünen-Politiker Kai Gehring, damals Bundestagsabgeordneter, und Rolf Fliß, dritter Bürgermeister der Stadt. Ein Mann aus der Gruppe habe Fliß dabei ins Gesicht geschlagen, so die Politiker.
Als Gehring nach 20 Jahren nicht mehr als Kandidat bei der Bundestagswahl 2025 antrat, griff er diesen Angriff explizit noch einmal auf: Ihm sei wichtig zu betonen, dass das für seinen Verzicht keine Rolle gespielt habe, schrieb Gehring. "Von Anti-Demokraten lasse ich mich nicht einschüchtern, weder jetzt noch zukünftig."
"Immer ein Mannschaftswagen der Polizei in der Nähe"
Vor die CDU-Zentrale in Dortmund schmierten Unbekannte Parolen, nachts wurde die Zentrale Ziel eines Farbanschlags.
In Hückeswagen hatten Unbekannte den Schriftzug "Nazi" an das Wohnhaus des AfD-Politikers Markus Lietza und die Straße davor gesprüht.
Und selbst Wahlkampfhelfer, die meist nicht groß im öffentlichen Fokus stehen, sind Ziel von Angriffen und Bedrohungen. Lucas Hahn von der Kölner FDP berichtet von einer Eskalation beim Aufhängen von Wahlplakaten an Laternen: "Dann wurden uns die Kabelbinder geklaut und wir wurden dann auch noch dumm angemacht. Wir haben dann schnell den Platz geräumt."
Ein Funktionär eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet schildert dem WDR: Wenn samstags in der Innenstadt alle Parteien ihre Infostände aufbauen, stehe mittlerweile immer auch ein Mannschaftswagen der Polizei in der Nähe. Das sei vor fünf Jahren noch anders, unbekümmerter, gewesen.
NRW: Viele Angriffe auf Grüne, CDU und AfD
Belastbare Zahlen zu solchen Vorfällen sind schwer zu erheben. Oft bringen Politiker vermeintlich kleinere Vergehen wie beschädigte Wahlplakate gar nicht zur Anzeige - der Aufwand lohne nicht.
Daten des Landeskriminalamts NRW von 2023 zufolge waren hier im Land vor allem Grüne und CDU Ziele von Angriffen auf Politiker und Einrichtungen, gefolgt von der AfD. Eher wenig Vorfälle gab es bei den Linken und der FDP.
Präventionsnetzwerk der Landesregierung
Um politisch aktive Menschen auf angespannte Situationen mit Bürgern vorzubereiten, gibt es inzwischen verschiedene Programme und Einrichtungen. Unter anderem das Präventionsnetzwerk #sicherimdienst.
Das Projekt der Landesregierung ist bei der Polizei Münster angesiedelt. Es richtet sich grundsätzlich an den öffentlichen Dienst. Aber auch Bürgermeister, Ratsmitglieder, Landtagsabgeordnete und andere Politiker können sich an das Projekt wenden.
Es scheine eine massive Unzufriedenheit gegenüber staatlichen Institutionen entstanden zu sein, möglicherweise im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, berichtet Anne Herr von #sicherimdienst. Viele wüssten aber auch nicht, wer für ihr Anliegen der richtige politische Ansprechpartner sei. Andere wollten schlicht bewusst anderen Menschen Hass und Hetze entgegenbringen.

Polizisten bei einer FDP-Wahlkampfveranstaltung im Januar 2025
Das unternehmen die Parteien in NRW
Viele Parteien reagieren inzwischen auf die Lage. Die Grünen beispielsweise bieten Online-Seminare an. Darin bereiten sie ihre Mitglieder auf kritische Situationen vor. Die NRW-SPD vermittelt Ansprechpartner im Bereich des Opferschutzes.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte anlässlich von Angriffen auf Wahlkampfhelfer vergangenen Mai: Die Polizei müsse mehr aufpassen, aber jeden Politiker beobachten, das gehe nicht.
Eine Gesellschaft, in der Politiker mit Polizisten herumlaufen, man keine Informationsstände mehr machen kann und man sich nicht mehr traut, auf der Straße Leute anzusprechen - das kann es nicht sein. Das dürfen wir nicht zulassen. Herbert Reul im WDR-Gespräch im Mai 2024
Wie sich die Situation verbessern kann
Die aufgeheizte Stimmung gegenüber jeglicher Art an Politikern führt der CDU-Funktionär aus dem Ruhrgebiet darauf zurück, dass die "demokratische Mitte" noch keinen Konsens im Umgang mit der AfD gefunden habe. Man müsse damit aufhören, deren Wähler per se als Rechtsradikale abzustempeln - und erkennen, dass viele davon "völlig gefrustete Bürger" seien.
Anne Herr vom Präventionsnetzwerk #sicherimdienst sieht einen Lösungsweg in mehr Aufklärung. Menschen müssten besser verstehen, was Politik vor Ort mache. Sie schlägt vor, man solle selbst ein Mandat oder einen Posten übernehmen, um besser zu verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert.

Herbert Reul bei einer Rede im Landtag
Kevin Kühnert, so schreibt die "Zeit", habe sich vor einigen Jahren in einen "Mann mit FDP-Parteibuch" verliebt. Durch die Beziehung habe er neu erkannt, wie wichtig der respektvolle Umgang mit politisch Andersdenkenden sei. Er sagt: "Es braucht das ständige Bewusstsein, dass der politische Gegner auch recht haben könnte."
Unsere Quellen:
- Wochenzeitung "Die Zeit"
- Nachrichtenagentur dpa
- WDR-Interview Anne Herr, Präventionsnetzwerk #sicherimdienst
- WDR-Interview Helge Lindh, SPD-Politiker
- Landeskriminalamt NRW
- WDR-Interview Herbert Reul, NRW-Innenministerium
- WDR-Archiv
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