BAMF-Chef stellt Asylrecht infrage
Aktuelle Stunde . 01.04.2025. 33:55 Min.. UT. Verfügbar bis 01.04.2027. WDR. Von Alexander Roettig.
Rücktrittsforderungen nach Asylrechts-Vorschlägen von BAMF-Chef Sommer
Stand: 01.04.2025, 17:15 Uhr
Er ist für die Umsetzung des individuellen Asylrechts zuständig und fordert dessen Abschaffung. Widerspruch kommt auch aus NRW.
Von Sabine Tenta
Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Hans-Eckhard Sommer, äußerte sich am Montagabend auf einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zur Reform des Asylrechts und forderte die Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl. Dabei betonte er, dass er sich nicht als Leiter des BAMF äußere.
Das wirft die Frage auf, inwieweit sich Amtsträger überhaupt als Privatpersonen äußern können, wenn ihre Funktion die Aufmerksamkeit generiert, die sie sich wünschen. Im Programm der KAS zur Veranstaltung "Die Zukunft des deutschen und europäischen Asylrechts" wird Sommer als Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aufgeführt.
Der Jurist und CSU-Politiker war vor seiner BAMF-Tätigkeit unter anderem Büroleiter des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und in unterschiedlichen Funktionen im bayerischen Innenministerium tätig. 2018 machte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Sommer zum BAMF-Leiter.
Die Vorschläge des BAMF-Präsidenten
Mit deutlichen Formulierungen distanzierte sich Sommer vor der Konrad-Adenauer-Stiftung von dem Recht auf individuelles Asyl, für dessen Umsetzung er als Behördenleiter verantwortlich ist. So sprach er von einem "Kipppunkt" bei der Aufnahme von Geflüchteten, der in Deutschland erreicht sei. Die Kommunen seien auch durch die zusätzliche Belastung durch 1,2 Millionen Ukraine-Flüchtlinge bei der Versorgung "am Limit" und "oft schon weit darüber hinaus". Damit sei das im Grundgesetz gegebene Asylversprechen "heute in seiner Unbegrenztheit gar nicht mehr praktisch einlösbar", fuhr Sommer fort.
Als Lösung gepriesene Konzepte wie die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten seien zudem aus seiner Sicht "keine realistische Option". Sommer zweifelte auch daran, ob sich EU-Staaten an die reformierten Regeln des europäischen Asylsystems halten würden, nachdem sie es schon beim alten System nicht getan hätten.
Darum solle man nicht auf positive Effekte der Mitte 2024 beschlossenen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in der EU hoffen. Die EU, so sein Vorschlag, solle festlegen, wie viele Menschen - "in beachtlicher Höhe" - jährlich aufgenommen werden und für welche Herkunftsstaaten dies gelten solle.
Neben humanitären Gesichtspunkten könne hier auch die Integrationsfähigkeit des Arbeitsmarktes eine Rolle spielen. Als Vorbild diene etwa Kanada. Wer dennoch unerlaubt nach Deutschland einreise, hätte dann keine Aussicht mehr auf ein Bleiberecht. Diese Vorschläge bedeuten also eine Abkehr vom individuellen Recht auf Asyl und der Einzelfallprüfung, die damit verbunden ist.
Fluchtministerin Paul weist Vorstoß zurück
Die nordrhein-westfälische Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) hat Forderungen nach Einschränkungen des individuellen Asylrechts eine Absage erteilt.
Das Grundrecht auf Asyl ist ein hohes Gut. Es ist auch eine Antwort auf die Verheerungen des 20. Jahrhunderts. Wer bei uns Schutz braucht, wer vor Verfolgung, Krieg und Terror Schutz sucht, muss diesen Schutz auch finden. Josefine Paul (Grüne), NRW-Fluchtministerin
Das sagte die Ministerin dem WDR. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) müsse nun schnell umgesetzt werden. Zugleich forderte Paul, für diejenigen, für die das Asylverfahren nicht der richtige Zugangsweg sei, "andere legale Wege der Arbeitsmigration, die wir dringend brauchen" zu schaffen. Den Auftritt des BAMF-Präsidenten Sommer als "Privatperson" wollte Paul auf Nachfrage nicht bewerten.
Flüchtlingsrat NRW fordert Rücktritt
Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW, sagte dem WDR:
"Es ist absolut unerträglich, dass der Leiter einer Behörde nach außen etwas anderes darstellt, als er innerhalb der Behörde umzusetzen hat." Birgit Naujoks, Flüchtlingsrat NRW
So würde er die Arbeit seiner Behörde "konterkarieren", sagte Naujoks und fordert deshalb Sommers Rücktritt als BAMF-Präsident.

Birgit Naujoks
"Es wäre auch eine völlige Abkehr von der historischen Verantwortung Deutschlands", betonte Birgit Naujoks. Das individuelle Asylrecht sei "absolut nötig". Dabei gehe es auch nicht um "wirtschaftliche Verwertbarkeit", sondern um den Schutz von bedrohten Menschen. Die Geschäftsführerin vom NRW-Flüchtlingsrat meint: "Wir können stolz darauf sein, dass wir Leben retten, das sollten wir nicht aufgeben."
Scharfe Kritik von NRW-SPD
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag, Lisa Kapteinat, sagte dem WDR:
"Das humanitäre Menschen- und Grundrecht auf Asyl als altes Denkmuster zu bezeichnen, lässt sehr tief blicken. Von einem Chef des Amtes für Migration erwarte ich eine andere Haltung." Lisa Kapteinat (SPD), stellvertretende Fraktionsvorsitzende
Es sei richtig, dass oft nicht "die Schwächsten der Schwachen" bei uns Schutz erhalten. Das mache aber diejenigen, "die unseren Schutz brauchen", nicht weniger schutzbedürftig. "Wir brauchen einen europäischen Konsens. Wenn Deutschland als wichtiger Player in Europa das Grundrecht auf Asyl infrage stellt, kann das gravierende Auswirkungen auch für die ganze EU haben", warnte Kapteinat.
Das BAMF ist dem Bundesinnenministerium unterstellt. Die geschäftsführende Ministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte keine personellen Konsequenzen an, distanzierte sich aber in der Sache: "Das Asylrecht steht für die SPD nicht zur Disposition." Humanitäre Aufnahmeprogramme seien "kein wirksames alleiniges Mittel, weil sie dadurch natürlich die Migration und Kriegsflüchtlinge ja nicht wegbekommen", sagte Faeser weiter. Deswegen mache das so auch kein anderes Land. Man brauche keine "einfachen Vorschläge, die nicht weiterhelfen", fasste die SPD-Politikerin ihre entschiedene Ablehnung zusammen.
Auch Linke fordert Rücktritt
Die rechtspolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag, Clara Bünger sagte: "Wer als Behördenchef die Kernaufgabe seines eigenen Amtes, individuelle Asylprüfungen vorzunehmen, für unzeitgemäß, überflüssig oder gar falsch hält, sollte von seinem Posten zurücktreten."
Es sei ein Fehler gewesen, dass Faeser den von ihrem Vorgänger, CSU-Innenminister Horst Seehofer, eingesetzten Sommer nicht schon bei ihrem Amtsantritt Ende 2021 abgezogen habe, so Bünger. Sommer habe zur Lösung der vielfältigen Probleme im Bereich Migration "definitiv den falschen Weg gewählt". Dass er seine Aussagen bei der Veranstaltung als private Meinungsäußerung angekündigt hatte, "macht das kaum besser und bestärkt eher die Zweifel an der Eignung für eine solche Führungsposition".
Gregor Golland (CDU) unterstützt Vorschläge des BAMF-Präsidenten
Bei einigen Politikern der Union hingegen läuft der BAMF-Präsident mit seinem Vorstoß offene Türen ein. So sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im NRW-Landtag, Gregor Golland, dem WDR, Sommer habe "vollkommen Recht":
"Er ist ein Mann aus der Praxis, der jeden Tag sieht, wie dysfunktional das deutsche Asylrecht ist und darum müssen wir es dringend verändern." Gregor Golland (CDU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender
Dysfunktion sei vor allen Dingen, dass sich der Stärkste durchsetze "und nicht die Schwächsten, die eigentlich Anspruch hätten, Frauen und Kinder zum Beispiel". Stattdessen kämen überwiegend junge Männer, meist durch sichere Drittstaaten, nach Deutschland, "weil hier die Sozialleistungen am höchsten sind". Eine historische Verpflichtung zur Beibehaltung des bisherigen Asylrechts sieht Golland nicht: "Wir haben heute eine völlig andere Zeit, wir haben heute eine Massenimmigration, vor allen Dingen aus wirtschaftlichen Gründen, das ist auf Dauer nicht tragbar. Wir müssen uns stattdessen um die besten Köpfe bemühen, auf der einen Seite und auf der anderen Seite um die wirklich Verfolgten." Das seien aber nur "ganz wenige".
Aber auch auf Bundesebene fand Sommer Zustimmung in CDU-Reihen: Der Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), sagte bei RTL/NTV: "Dass ich diesem Vorschlag gegenüber eine gewisse Sympathie habe, das kann man schon daran sehen, dass ich diesen Vorschlag auch schon einmal unterbreitet habe." Laut Frei wurde bislang in den Koalitionsverhandlungen nicht über die von Sommer geforderte Reform gesprochen. Angesichts der klaren Positionierung von führenden SPD-Politikerinnen und Politiken wäre dies wohl auch verschwendete Energie.
Über dieses Thema berichten wir am Dienstag auch im WDR-Fernsehen in der Aktuellen Stunde ab 18:45 Uhr.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen DPA, AFDP, EPD
- Veranstaltungsprogramm Konrad-Adenauer-Stiftung
- WDR-Interview mit Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW'
- Lisa Kapteinat (SPD) auf WDR-Anfrage
- WDR-Interview mit Josefine Paul
- WDR-Interview mit Gregor Golland