Flutkatastrophe: Wie das Hochwasser auch die Politik in NRW verändert hat
Stand: 11.07.2022, 11:53 Uhr
Der Starkregen und die folgenden Überflutungen haben das Land verändert. Auch politisch waren die Ereignisse vom Juli 2021 eine Zäsur.
Von Tobias Zacher
Am 7. April 2022 um 17:31 Uhr endet vorerst die politische Karriere von Ursula Heinen-Esser (CDU). Bei einem kurzfristig anberaumten Statement vor der Presse sagt die NRW-Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: "Ich habe heute Nachmittag mit Ministerpräsident Hendrik Wüst gesprochen und ihm meinen Rücktritt angeboten. Und der Ministerpräsident hat den Rücktritt angenommen."
Fehler in Heinen-Essers Ministerium
Tatsächlich sind während der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 in ihrem Ressort Fehler passiert: Informationen des ihrem Hause nachgeordneten Landesumweltamtes zu steigenden Fluss-Pegeln waren unverständlich formuliert. Die Kommunikation innerhalb des Ministeriums lief während der Katastrophe peinlich schief.
Doch diese Umstände sind nicht der Grund für ihren Rücktritt. Heinen-Esser tritt an diesem Tag im April zurück für ihr persönliches Verhalten während der Flut, über das sie zu lange geschwiegen hat.
"Scampi und Weißwein unter der Sonne von Palma, während zehntausende Menschen in unserem Land im Dreck sitzen, das gehört sich nicht" – so bissig formuliert es im April der SPD-Abgeordnete Stefan Kämmerling. Denn zur Zeit der Katastrophe ist Ministerin Heinen-Esser im Urlaub auf Mallorca. Den unterbricht sie am 15. Juli, kommt zurück nach NRW. Das wird im Rahmen der politischen Aufklärung schnell klar.
Nach 24 Stunden Abreise aus dem Katastrophengebiet in den Urlaub
Doch erst Monate später, nach zähen Ermittlungen des Untersuchungsausschusses im Landtag, wird Heinen-Esser Folgendes zugeben: Schon nach 24 Stunden, als die überschwemmten Häuser noch voll Wasser standen, hat Heinen-Esser damals ihren Mallorca-Urlaub fortgesetzt – für neun Tage. Medienberichte enthüllen schließlich im April, dass sie dort dann noch den Geburtstag ihres Ehemannes gefeiert hat. So wird der Druck zu groß, Heinen-Esser tritt zurück.
"Es gibt kein Verständnis für mein Handeln vom vergangenen Juli", sagt sie in ihrem Statement amc Nachmittag. Und: "Ich bedaure das Bild, das mein Handeln und die nachträgliche Darstellung erzeugt hat."
Doch nicht nur Heinen-Esser stolpert über ihr Verhalten im vergangenen Sommer. Armin Laschet ist damals NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat für die CDU. Und er lacht im Katastrophengebiet, während der Bundespräsident den Opfern sein Beileid ausspricht. Dass die CDU schließlich die Bundestagswahl verliert und Laschet nicht Kanzler wird, daran hat auch dieses Lachen seinen Anteil.
Die politische Aufklärung hat viele Schwachpunkte im Katastrophenschutz offengelegt. Warnungen wurden innerhalb der Behörden nicht weitergegeben, große Teile der Bevölkerung traf das Hochwasser unvorbereitet. Wetterexperte Jörg Kachelmann formulierte es nach seiner Befragung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss so: "Das ist ganz, ganz wichtig, dass das nächste Mal die Behörden ihre Arbeit machen. Niemand hat diesmal seine Arbeit gemacht, mit den bekannten Folgen."
Untersuchungsausschuss im Landtag neu eingesetzt
Es seien aber noch längst nicht alle Fragen durch den Untersuchungsausschuss beantwortet – dieser Meinung ist Henning Höne, der Fraktionschef der oppositionellen FDP: "Eigens in Auftrag gegebene Gutachten konnten nicht ausgewertet werden, Zeugen konnten noch gar nicht geladen werden. Tausende Seiten Akten konnten auch noch nicht ausgewertet werden." Gemeinsam mit der SPD hat seine Fraktion deshalb dafür gesorgt, dass der Untersuchungsausschuss im Landtag wieder neu eingesetzt wird – denn mit Ablauf der Legislaturperiode war er automatisch beendet. Die politische Aufklärung geht weiter.