Kinderbetreuung in NRW verbessert I WDR aktuell 00:26 Min. Verfügbar bis 17.02.2027

NRW steigert sich bei Kinderbetreuung - und ist dennoch abgeschlagen

Stand: 17.02.2025, 06:00 Uhr

NRW hat bei der Kinderbetreuung kräftig nachgebessert. Trotzdem landet es insgesamt nur auf einem der letzten Plätze. Das zeigt eine große Datenrecherche von WDR und BR.

Von Rainer Striewski

Es ist eine bemerkenswerte Aufholjagd, die NRW in den letzten zehn Jahren hingelegt hat. 2013 war das Land noch bundesweites Schlusslicht: Nur 20 Prozent der Kinder unter drei Jahren wurden hier in einer Kita oder in der Tagespflege betreut.

Zum Vergleich: In den ostdeutschen Bundesländern lag die Betreuungsquote (auch "Beteiligungsquote" genannt) damals bereits deutlich darüber: in Sachsen-Anhalt bei 58,2 Prozent, in Brandenburg bei fast 54 Prozent. Aber auch die "alten" Bundesländer zeigten NRW, dass es besser ging. In Bayern - von der Wirtschaftsleistung am ehesten mit NRW vergleichbar - lag sie damals bei fast 25 Prozent.

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Große Fortschritte

Doch NRW hat aufgeholt, ist heute sogar mit an der Spitze - zwar nicht, was die Betreuungsquote selber betrifft, aber immerhin bei ihre Steigerung. Denn NRW konnte die Betreuungsquote bis 2024 um 12,2 Prozentpunkte steigern und liegt nun mit 32,2 Prozent immerhin im unteren Drittel, aber etwa ungefähr gleichauf mit Bayern.

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Keine Gefälle im Land

Das Erstaunliche: NRW hat es dabei geschafft, die Quote fast überall im Land ähnlich zu steigern. Betrachtet man die Kreise und kreisfreien Städte zum Stichtag 01.03.2023, so liegt die Betreuungsquote fast überall zwischen 25 und 35 Prozent. Im Norden NRWs - etwa in den Kreisen Coesfeld, Borken, Steinfurt oder auch Warendorf - liegt sie leicht darüber, in einigen wenigen Städten aber auch teils deutlich darunter: In Gelsenkirchen werden nur 18,1 Prozent Kinder unter drei Jahren betreut, in Duisburg nur 18,4 Prozent.

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Das mit Blick auf die Einwohnerzahl zweitgrößte Bundesland Bayern hat zwar eine ähnliche Betreuungsquote, allerdings ist die Verteilung hier anders. Im Gegensatz zu NRW gibt es ein deutliches Nord-Süd-Gefälle: Während im Norden Bayerns in vielen Kreisen die Betreuungsquote bei über 40 Prozent liegt, fällt sie im Süden des Landes auf bis zu 17 Prozent. Hier herrscht in NRW also ein deutlich homogeneres Bild.

Kinderbetreuung: Wie NRW sich im Vergleich macht 18 Millionen. Der Podcast für Politik in NRW 21.02.2025 27:29 Min. Verfügbar bis 20.02.2030 WDR Online

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Viel Geld im System - aber nicht genug

Wie hat NRW diese Aufholjagd bei der Betreuungsquote geschafft? Vor allem mit viel Geld. Familienministerin Josefine Paul (Grüne) verweist in diesem Zusammenhang auf Rekordausgaben im Landeshaushalt: "Im Haushaltsjahr 2025 stellen wir 5,7 Milliarden Euro für frühkindliche Bildung bereit - so viel wie nie zuvor", teilt Josefine Paul auf Nachfrage mit. Gleichwohl erklärte sie: "Ich weiß um die schwierige Situation in der Kita-Betreuung." Ihre Priorität sei es deshalb, "Stabilität und Verlässlichkeit in das System zu bringen."

Ministerin Paul: "Ich weiß um die schwierige Situation" | Bildquelle: WDR/dpa

Aber warum ist NRW trotz Rekordausgaben immer noch auf einem der letzten Plätze im Ländervergleich? Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht hierfür mehrere Gründe: Zum einen fehle es weiterhin an Geld, meint Stephan Osterhage-Klingler, stellvertretender Vorsitzender der GEW NRW. Denn das werde immer noch nicht in ausreichender Form in die frühkindliche Bildung gesteckt. "Und dann ist es ist natürlich so, dass wir das mit Abstand bevölkerungsreichste Bundesland sind und der Bedarf enorm hoch ist", erklärt er.

Der hohe Bedarf ist weiter gestiegen

Und dieser enorm hohe Bedarf wird trotz Aufholjagd immer noch nicht ausreichend gedeckt. Laut der Kinderbetreuungsstudie KiBS des Deutschen Jugendinstituts (DJI) lag der Betreuungsbedarf in NRW im Jahr 2023 bei 50,8 Prozent, die Betreuungsquote aber nur bei 31 Prozent. Zum Vergleich: In Bayern lag der Bedarf bei ähnlicher Quote deutlich darunter, nämlich bei 44,0 Prozent.

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Insgesamt 93.700 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren fehlten nach Angaben des DJI 2023 in NRW. Damit fanden 18,6 Prozent der Kinder mit Betreuungsbedarf keinen Platz. In Bayern fehlten im selben Jahr hingegen nur 41.100 Plätze. Die Lücke zwischen Bedarf und Angebot ist in NRW also deutlich größer.

Tagespflege in NRW besonders gefragt

Und noch etwas fällt im Vergleich zu anderen Bundesländern, wie etwa Bayern, auf: Der Anteil der Kinder, die von einer Tagesmutter oder einem Tagesvater betreut werden, ist in NRW deutlich höher. Während die Tagespflege-Besuchsquote in Bayern in den letzten Jahren stets nur etwas über zwei Prozent betrug, ist sie in NRW in den vergangenen Jahren von 6,2 Prozent im Jahr 2013 auf 10,5 Prozent im Jahr 2023 gestiegen - und liegt damit mehr als vier Mal so hoch wie in Bayern.

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Umfragedaten der Kinderbetreuungsstudie (KiBS) deuten darauf hin, dass in Bayern traditionellere Familienmodelle und großfamiliäre Unterstützung eine größere Rolle spielen. "Wenn man die beiden Bundesländer vergleicht, zeigen die KiBS-Daten, dass in Bayern die Großeltern häufiger in den normalen Betreuungsalltag eingebunden sind als in NRW. Ebenso äußerten Eltern in Bayern häufiger, dass sie keine außerfamiliäre Betreuung nutzen, weil sie stets auf Großeltern zurückgreifen können", erläutert Theresia Kayed vom DJI.

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"Kindertagespflege ist auch ein Mittel, um wohnortnah Betreuung zu ermöglichen und auch eine höhere Flexibilität", erklärt Lena Katharina Afflerbach von der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik am Forschungsverbund DJI/TU Dortmund. "Und diese ist in Bayern weniger verbreitet als in NRW, wodurch unter Umständen - aufgrund der fehlenden Flexibilität, die durch Tagespflege eher gegeben wäre - nicht so hohe Beteiligungsquoten erreicht werden können."

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Sorge um Kita-Platz nach der Tagespflege

Allerdings hätte viele Eltern Sorge, dass sie nach der Tagespflege gar keinen Kita-Platz mehr bekämen, betont Marcel Hafke, familienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. "Eigentlich ist der Weg ganz gut, mit der Tagespflege anzufangen und dann in die Kita zu wechseln, allerdings muss es eben ausreichend Plätze geben, damit der Druck nicht so im Kessel ist", so Hafke.

Osterhage-Klingler: "Kita höheren Stellenwert" | Bildquelle: Annette Etges / GEW-NRW

Das betont auch die Gewerkschaft GEW in NRW. Das Land müsse vor allem Kita-Plätze vorhalten, meint deren stellvertretender Vorsitzender Stephan Osterhage-Klingler. "Weil gerade da die frühkindliche Bildung gut in den Fokus genommen werden kann." Kita-Betreuung habe bildungstheoretisch eine "enorme Wichtigkeit" und damit einen höheren Stellenwert.

Es fehlt auch an Personal

Doch bei all der Kritik an den fehlenden Kita-Plätzen, gibt es auch gute Nachrichten: Laut Empfehlung von Fachleuten sollen Krippengruppen im U3-Bereich 6 bis maximal 12 Kinder umfassen. NRW bekommt das schon recht gut hin: Laut Ländermonitor der Bertelsmann-Stiftung erfüllen 93 Prozent der erfassten Gruppen in NRW diese Größenempfehlung. Zum Vergleich: In Bayern schaffen das nur 75 Prozent der Gruppen.

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Entscheidend für die Qualität der Betreuung sind aber auch andere Faktoren, etwa ein guter Personalschlüssel. Der liegt in NRW mit 3,7 und in Bayern mit 3,6 derzeit ähnlich hoch. Das bedeutet: Eine pädagogische Fachkraft betreut hier im Schnitt 3,7 Kinder. "Damit liegt NRW unter dem gesamtdeutschen Schnitt von 4,0 Kindern pro pädagogischer Person", erklärt eine Sprecherin des Familienministeriums.

Kritik am Personalschlüssel

Für die SPD sagt dieser Wert hingegen so noch nichts aus: "Das ist eine theoretische Größe", meint Frank Müller von der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. "Wir brauchen vielmehr eine Entlastung der Fachkräfte und eine Konzentration dieser Fachkräfte auf die Bildungsarbeit".

Auch die GEW kann sich über einen Personalschlüssel von 3,7 nicht freuen: "Wir merken, dass die Überlastung von Beschäftigten in den Kitas enorm hoch ist", kritisiert Stephan Osterhage-Klingler. Deshalb müssten hier dringend die Rahmenbedingungen angepasst werden. "Damit mehr Leute den Beruf gesund und dauerhaft machen können und er attraktiver wird."

Berufseinstieg attraktiver gestalten

NRW braucht mehr Erzieherinnen und Erzieher | Bildquelle: imago images/Westend61 / Mareen Fischinger

Das Land verweist in dem Zusammenhang auf verschiedene Maßnahmen wie etwa die Förderung von praxisintegrierter Ausbildung, die Anerkennung von ausländischen Studienabschlüssen sowie Kita-Helfer zur Unterstützung und Entlastung pädagogischer Fachkräfte. Gerade das ist für die GEW aber der falsche Weg. "Diese Ergänzungskräfte brauchen wir auch, aber die können das nicht auffangen", meint Gewerkschafter Osterhage-Klingler. "Es ist ja keine reine Betreuung, es geht ja um ein Bildungsangebot."

Bei den anderen Punkten kann zumindest die FDP-Opposition in NRW mitgehen. Eine praxisintegrierte Ausbildung oder die Anerkennung von anderen Abschlüssen hält auch deren familienpolitischer Sprecher Marcel Hafke für sinnvoll. Aber hier wäre noch viel zu tun: "Warum ist es eigentlich so, dass der Quereinstieg in der Schule einfacher oder besser planbar ist als bei den Kitas?" fragt der FDP-Politiker.

"Ich glaube, dass wir mehr Pragmatismus in der frühkindlichen Bildung brauchen." Marcel Hafke (FDP)

Für die SPD ist noch ein weiterer Punkt entscheidend: die Bezahlung der Ausbildung. Die praxisintegrierte Ausbildung wird zwar in der Regel vergütet, weil sie Unterricht mit praktischer Arbeit in einer sozialpädagogischen Einrichtung kombiniert. Die reguläre schulische Ausbildung hingegen nicht. "Dort verdient man in den ersten Jahren erst mal kein Geld. Das ist ein großes Problem", erklärt Frank Müller von der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag.

Zudem fordert er mehr Schulplätze in den passenden Regionen. Derzeit gebe es in einigen Regionen einen Überhang, in anderen zu wenig Schulplätze. "Wir haben ein Problem mit dem Matching", schlussfolgert er. "Es werden keine Menschen von Köln nach Detmold fahren und umgekehrt."

Ausblick: Weniger Kinder, aber keine Entlastung

Aber braucht's in Zukunft überhaupt so viele Kita-Plätze, wie derzeit gefordert werden? Schon jetzt ist klar, dass rückläufige Geburtenzahlen in den kommenden Jahren zu einem Rückgang der Kinderzahlen überall in Deutschland führen werden.

Die Auswirkungen werden aber zunächst eher in den ostdeutschen Bundesländern deutlich werden. Dort werde ein Rückbau der Betreuungsinfrastruktur unumgänglich sein, erklärt das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in einem Report zu Betreuungsplätzen. Der Betreuungsausbau im Westen müsse hingegen weiterhin "forciert vorangetrieben" werden, da hier "noch wesentlich größere Lücken bestehen und Betreuungswünsche der Eltern voraussichtlich auch noch weiter zunehmen werden."

NRW bei Kinderbetreuung trotz Aufholjagd abgeschlagen WDR 5 Westblick - aktuell 17.02.2025 05:41 Min. Verfügbar bis 17.02.2026 WDR 5

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Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation der landespolitischen Redaktionen von WDR und BR. Der BR berichtet am Montag ebenfalls über das Thema:

Der WDR berichtet am Montag (17.02.2025) darüber auch in den Hörfunknachrichten und in der WDR 5-Sendung Westblick um 17:04 Uhr.

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