Eigentlich soll 2030 Schluss sein mit der Verbrennung von Kohle in NRW, um dadurch Strom zu produzieren. Schließlich sollen die Klimaziele noch irgendwie erreicht werden. Doch nun erlebt die Kohle einen neuen Schub.
Mit dem Angriffskriegs Russlands in der Ukraine wurde die Energiepolitik durcheinander gewirbelt. Denn weil nicht klar ist, ob Wladimir Putin Deutschland in nächster Zeit den Gashahn zudreht, wird mit aller Macht nach Alternativen gesucht. Eine lautet: Es soll nun wieder verstärkt auf Kohlestrom gesetzt werden, um Gas einzusparen. Die Kohle muss dafür zum Teil importiert werden.
Pläne für Kohlekraftwerke in NRW werden geändert
Für NRW hat das ganz direkte Auswirkungen. Denn im Zuge des Kohleausstiegs wurden bereits Kohlekraftwerke stillgelegt oder so heruntergefahren, dass sie nur noch als Reserve dienen. Für andere Anlagen stehen diese Schritte an. Doch die Pläne werden nun zum Teil über den Haufen geworfen.
So hat der Energieversorger RWE angekündigt, drei Braunkohlekraftwerke weiter zu betreiben, wenn er dazu aufgefordert würde. Konkret sind die Kraftwerke Neurath C, Niederaußem E und F derzeit nur noch in einer "Sicherheitsbereitschaft" und nicht mehr im normalen Betrieb. Das könnte sich bald aber ändern. Anfang Juli soll im Bundestag ein Gesetz verabschiedet werden, das den befristeten Einsatz von Kohle zur Stromproduktion bis März 2024 ermöglicht. Dann könnten die drei RWE-Anlagen wieder richtig laufen.
Das Kraftwerk Bergheim-Niederaußem von RWE
Doch ist das einfach so wieder möglich? Technisch sei das kein Problem, heißt es bei RWE. Da sich die drei Kraftwerksblöcke noch in der "Sicherheitsbereitschaft" befänden, würden die Anlagen regelmäßig gewartet und könnten schnell wieder Strom produzieren. Die Kohle solle aus dem Tagebau Garzweiler kommen. Dort haben jedoch mehrere Umweltgruppen schon Widerstand angekündigt.
Für das Steinkohlekraftwerk des Stromerzeugers Steag in Bergkamen gibt es schon konkrete Änderungen. Zwar wird die Anlage wie geplant Ende Oktober heruntergefahren. Doch danach ist nicht - wie bislang geplant - komplett Schluss. Das Kraftwerk wurde als systemrelevant eingestuft und bleibt daher noch zwei Jahre lang betriebsbereit. Bei Engpässen kann es dann mit einem Tag Vorlauf wieder Strom liefern.
Mehr Mitarbeiter benötigt
Bei den Energiekonzernen stellt man sich bereits auf die neuen Umstände ein. So will RWE die Frühverrentung von bestimmten Mitarbeitern verzögern, weil mit einem höheren Personalbedarf gerechnet wird. Von mehreren hundert Stellen ist die Rede. Aus der Branche ist zu hören, dass RWE die entsprechenden Gespräche mit Mitarbeitern bereits aufgenommen hat - und die Bereitschaft der Mitarbeiter, länger zu arbeiten, sei hoch.
Seitens der Steag heißt es, in Betriebsbereitschaft müssten ähnlich viele Mitarbeiter in Bergkamen bereitstehen wie derzeit im "normalen" Betrieb - rund 120 Personen. Da man im Unternehmen zuvor davon ausgegangen war, dass die Anlage komplett stillgelegt wird, habe man zum 1. November bislang mit weniger Mitarbeitern geplant, erläutert ein Sprecher. Doch der Konzern sei zuversichtlich: "Wir schaffen das, wir können ab dem 1. November die Betriebsbereitschaft garantieren."
Aus der Branche hört man allerdings, dass die Suche durchaus anstrengend sei, da im Kohlesektor das Personal relativ alt sei. In den letzten Jahren seien wenige Azubis nachgerückt. Generell gelte aber, so ein Branchenkenner: "Es ist deutlich einfacher, einem Mitarbeiter zu sagen, dass er bitte zwei Jahre länger arbeiten soll, als jemandem mitzuteilen, dass er leider zwei Jahre früher gehen muss".
Angeblich kein Abrücken vom Kohleausstieg
Angesichts des derzeitigen Umschwungs von Gas zu Kohle drängt sich die Frage auf: Ist der Kohleausstieg vom Tisch? Nein, sagen die Verantwortlichen. "RWE steht verlässlich zum vereinbarten Kohleausstieg", sagt zum Beispiel RWE-Chef Frank Weigand. Sollten Kohlekraftwerke als Reserve gebraucht werden, sei das "keine Rolle rückwärts", sondern "allenfalls ein Schritt zur Seite für eine begrenzte Zeit".
Auch in der Politik wird abgewiegelt. "Der Kohleausstieg 2030 wackelt überhaupt nicht", heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. Und auch in Düsseldorf stellt niemand den Schritt in Frage. CDU und Grüne, die derzeit noch in Koalitionsverhandlungen stecken, haben sich zuletzt immer zum Ziel 2030 bekannt. Der jetzt beabsichtigte Mehr-Einsatz von Kohlekraft wird als vorübergehend dargestellt - und zeitgleich ein schnellerer Ausbau der Erneuerbaren Energien als Kompensation genannt.