Kommentar: Bundesländer müssen den Angriff auf die Schuldenbremse anführen

Stand: 22.11.2023, 16:46 Uhr

Die Ampelkoalition in Berlin steckt in ihrer bisher schwersten Krise und ringt um ihre politische Handlungsfähigkeit. Helfen könnten die Länderchefs, wenn sie etwas völlig Unerwartetes täten. Ein Kommentar.

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Selten hat man eine Bundesregierung so ratlos gesehen. Mit dem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds hat das Bundesverfassungsgericht den Ampel-Parteien in Berlin den Kitt weggeschossen, der sie bisher zusammenhielt. Nur mit extrem viel Geld von der Bank konnten die Gräben zwischen SPD, Grünen und FDP zugeschüttet werden.

Für alle Anliegen war genug Geld da – den Klimaschutz, den Aufbau einer CO-2-freien Wirtschaft, die Verkehrs- und Wärmewende und die Digitalisierung. Die dafür nötigen Kredite wurden vor der breiten Öffentlichkeit in „Sondervermögen“ versteckt. Bis die Verfassungsrichter jetzt einen Strich durch die Rechnung machten. Seitdem wirken die Kabinetts-Mitglieder in Berlin, als habe ihnen jemand den Stecker gezogen.

Länder sind die Leidtragenden

Und die Spitzenpolitiker in den Bundesländern? Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten blicken je nach politischer Zugehörigkeit mal mit Schadenfreude, mal mit Schrecken nach Berlin. Dabei scheinen längst nicht alle begriffen zu haben, dass sie die Hauptleidtragenden dieses Desasters sind. Denn wenn der Bund jetzt kaum noch Spielraum hat, staatliche Großprojekte auf Pump zu finanzieren, dann sitzen auch sie bald auf dem Trockenen.

Landespolitik-Redakteur Wolfgang Otto

Wolfgang Otto, WDR Landespolitik

Regulär dürfen die Länder laut Grundgesetz ohnehin so gut wie keine eigenen Schulden mehr machen. Das galt schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Nach dem Urteil schwinden ihre Möglichkeiten noch weiter. Die Extratöpfe, die sich viele Bundesländer an der Schuldenbremse vorbei beiseite gestellt haben, stehen jetzt unter noch strengerer Beobachtung als vorher.

Das Saarland, Bremen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen – all diese Bundesländer haben schon einmal auf die eine oder andere Weise von der Ausnahmeregelung der Schuldenbremse gebraucht gemacht. Einige wurden dabei bereits von Gerichten gestoppt.

Auch dem NRW-Finanzminister kann das noch passieren, denn auch er steht gerade vor Gericht mit seiner speziellen Variante des ausnahmsweisen Schuldenmachens. Gut möglich, dass der Landesverfassungsgerichtshof in Münster Schwarz-Grün in NRW auch noch ein Kredit-Stoppschild vor die Nase stellt.

Problem verlagert, nicht gelöst

Wie verheerend die Schuldenbremse wirkt, konnten wir alle in den vergangenen drei Jahren beobachten. Das abstruse Theater hörte auf das Kürzel MPK. Alle paar Monate gab es ein wildes Feilschen zwischen den Ministerpräsidenten auf der einen und dem Bundeskanzler auf der anderen Seite. Immer ging es darum, dass der Bund bezahlen soll. Und immer war es den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen völlig egal, wie sich die Bundesregierung das Geld am Ende beschafft hat. Meistens auf Pump, dabei oft auf verbotene Weise, wie sich jetzt herausstellt.

Nach dem alten Streit-Muster will NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst jetzt offenbar ungerührt weiter machen. Die Bundesregierung müsse alle Förderzusagen einhalten, teilt er knapp mit. Ähnlich reagieren andere Länder-Chefs. Obwohl sie allesamt wissen, dass damit das Problem bestenfalls verlagert, sicher aber nicht gelöst ist.

Angriff auf die unselige Schuldenbremse

Insgeheim ahnen zumindest alle: Allein aus Steuergeld ist der große Umbau der Wirtschaft nicht zu bezahlen. Es ist nötig und gerechtfertigt, zumindest einen großen Teil davon mit Krediten zu finanzieren. Und dabei sollten auch die Länder wieder den ihnen gebührenden eigenen Gestaltungs-Spielraum bekommen.

Die Verantwortlichen in den Bundesländern – gleich welcher Partei sie angehören – sollten deshalb den Angriff auf die unselige Schuldenbremse jetzt anführen. Die Ampel schafft das nicht. Das jetzige Rechtskonstrukt ist nicht handhabbar, es muss juristisch sauber umgangen oder abgeschafft werden. Es wäre zum Wohle des Landes – vor allem des eigenen.

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