Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Fußballstadion ( hier während der EM im Sommer)

"Private Lustveranstaltung"? Kritik an Neubaur-Besuch beim BVB

Stand: 16.12.2024, 05:00 Uhr

Die NRW-Landesregierung hat sich per Kabinettsbeschluss verpflichtet, die Annahme von Geschenken und Einladungen möglichst zu vermeiden. Nun gibt es Vorwürfe gegen Wirtschaftsministerin Neubaur wegen eines Stadionbesuchs in Dortmund.

Von Martin TeiglerMartin Teigeler

Vor 81.365 Zuschauern im ausverkauften Signal Iduna Park gewann Borussia Dortmund am 27. September mit 4:2 gegen den VfL Bochum. Auf der Tribüne saß an diesem Fußballabend auch Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne). Die Wirtschaftsministerin habe dabei einen Anschein erweckt, den sie besser vermieden hätte, kritisiert jetzt der Verein Transparency Deutschland.

Auf "Einladung durch Borussia Dortmund" war Neubaur im Stadion, so die nordrhein-westfälische Staatskanzlei auf WDR-Anfrage. Dabei absolvierte Neubaur einen "Gesprächstermin mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Signal Iduna Gruppe zu Fachkräftemangel und Bürokratieabbau". Der Versicherungskonzern Signal Iduna ist BVB-Sponsor.

Kein dienstlicher Termin?

NRW-Spitzenpolitiker besuchen immer wieder herausragende Sportereignisse, um dort das Land zu repräsentieren. Doch der Besuch von Neubaur bei dem eher herkömmlichen Bundesliga-Spiel zwischen Dortmund und Bochum lässt aufhorchen - insbesondere, weil es sich um eine Kombination aus Wirtschaftsgespräch und Einladung in den VIP-Bereich handelt.

Denn für Kabinettsmitglieder gelten laut Landesregierung "Grundsätze für die Annahme von Geschenken und Einladungen". Die Annahme solcher Geschenke mit Amtsbezug soll demnach möglichst "vermieden werden".

Karin Holloch, Transparency Germany

Karin Holloch vom Verein Transparency

Der Verein Transparency Deutschland, der Einflussversuche auf Politiker unter die Lupe nimmt, äußert Kritik. "Der Besuch eines Bundesligaspiels auf Einladung von Borussia Dortmund ist eher eine private Lustveranstaltung als ein repräsentativer dienstlicher Termin", sagt Karin Holloch, NRW-Sprecherin von Transparency.

"Ist die Annahme eines Geschenks/einer Einladung danach nicht vermeidbar, unterliegt diese grundsätzlich einer Genehmigungspflicht", so die Regel in NRW laut Staatskanzlei. Die Annahme gelte als genehmigt, wenn "der materielle Wert 100 Euro nicht übersteigt" oder es sich "um eine Freikarte/Einladung im Rahmen von Repräsentationspflichten handelt".

Wie hoch war also der "materielle Wert" der Einladung an Neubaur? Die Landesregierung nennt keine Summe. Auch vom BVB gibt es keine Auskunft. Das Gespräch fand laut NRW-Wirtschaftsministerium auf Initiative von Signal-Iduna-Aufsichtsratschef Reinhold Schulte statt. "Herr Schulte ist Mitglied des Wirtschaftsrates des BVB, vor diesem Hintergrund verband er den fachlichen Austausch mit der Einladung zu einem Spielbesuch des BVB", so das Wirtschaftsministerium.

Gespräch "weitergeführt" im VIP-Bereich

Neubaurs Ministerium sieht einen "strategischen Austausch" mit Schulte. Die Unterredung begann in der Signal-Iduna-Hauptverwaltung - und "wurde dann weiter geführt im Evonik-Stammtisch-Bereich des Signal Iduna Parks", teilt ein Sprecher des Unternehmens mit.

Der „Evonik-Stammtisch-Bereich“ gehört zum VIP-Ticket-Angebot des BVB. Eine Jahreskarte kostet laut Webseite 11.186 Euro – pro Liga-Heimspiel sind das 658 Euro. Hat die Staatskanzlei Neubaur die Einladung in diesen VIP-Bereich genehmigt, angesichts der deutlichen Überschreitung der 100-Euro-Grenze? Neubaur habe "in Wahrnehmung ihrer Dienstpflichten" an dem Gespräch teilgenommen, teilt ihr Ministerium mit: "Es handelte sich nicht um ein Geschenk. Der Chef der Staatskanzlei war in dieser Angelegenheit daher nicht zuständig."

Transparency Deutschland bewertet den Vorgang anders: "Das Gespräch mit den Wirtschaftsvertretern hat die Ministerin außerhalb des Stadions geführt. Es ist schwer vorzustellen, dass im Fußballstadion fachliche Gespräche geführt werden", sagt Landessprecherin Holloch. "Den Anschein, dass eine Wirtschaftsministerin im Anschluss an ein Treffen mit Wirtschaftsvertretern zu einem geselligen Besuch eines Fußballspiels von einem Unternehmen eingeladen wird, sollte eine Landesministerin vermeiden." Sie kritisiert auch den Wert der Einladung. Der Platz im VIP-Bereich koste mehr, als ein Minijobber im Monat verdiene.

Transparency kritisiert Ministerin Neubaur wegen Sport-Einladung

WDR 5 Westblick - aktuell 16.12.2024 05:06 Min. Verfügbar bis 16.12.2025 WDR 5


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„Allgemeine Klimapflege“?

Martin Schorn

Fachanwalt Martin Schorn

Der Fachanwalt Martin Schorn ordnet es so ein: "Die Einladung von Amtsträgern zu teuren Events kann korruptionsrechtlich problematisch sein. Hintergrund ist, dass bei Amtsträgern, worunter auch Landesminister und -ministerinnen fallen, keine konkrete Gegenleistung für die Einladung erforderlich ist." Auch "teure Einladungen zur allgemeinen Klimapflege" können laut Schorn "problematisch sein, oft wird schon der Anschein einer unsachgemäßen Beeinflussung der Amtstätigkeit als heikel angesehen".

Für eine zulässige Einladung gebe es keine festen Wertgrenzen. Der Jurist sagt weiter: "Es ist zudem aber anerkannt, dass hohe Landes- und Bundespolitiker auch Repräsentationsaufgaben haben, wozu auch Sportevents gehören können. Unternehmen und Politiker sollten deshalb immer im Einzelfall bewerten, worin der Schwerpunkt der Einladung liegt."

Die Staatskanzlei hat auf WDR-Anfrage mitgeteilt, wann in diesem Jahr welches Kabinettsmitglied Sportveranstaltungen besucht hat. Demnach ging Neubaur öfter als andere Ministerkollegen aus vermeintlich dienstlichen Gründen ins Fußballstadion. Die Landesregierung verschickte dazu eine Liste – nicht immer wird darin eindeutig benannt, wer gezahlt hat. "Ticketkosten wurden, wo sie denn anfielen, durch die Ressorts getragen", teilt die Staatskanzlei mit.

Auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) wird gelistet – aber meist bei hochrangigen Sportereignissen wie Europapokal-Endspielen und Olympischen Spielen. Sein einziges Fußball-Bundesligaspiel ist der Tag der Überreichung der Meisterschale an Bayer Leverkusen im Mai. Das sieht schon eher nach herausgehobenen Repräsentationsterminen im Namen des Landes aus.

Ticket mal selbst bezahlt, mal nicht

Manche Minister tauchen gar nicht auf – Neubaur hingegen mehrfach. So besuchte sie am 13. April auf "Einladung von Borussia Mönchengladbach" das Spiel gegen den BVB – am Rande fand demnach ein Gespräch mit der ukrainischen Generalkonsulin statt. Erneut also eine Kombination aus Dienstgespräch und Fußball.

Einen Tag später besuchte die Ministerin das Bundesligaspiel Bayer Leverkusen gegen Werder Bremen. Diesmal ließ sich die Grünen-Politikerin jedoch nicht einladen. "Ticket durch stellvertretende Ministerpräsidentin bezahlt", heißt es in der von der Landesregierung zusammengestellten Liste.

Karin Holloch von Transparency verweist auf den Fall des Potsdamer Oberbürgermeisters Mike Schubert (SPD). Wegen der Annahme kostenloser Tickets für Sportveranstaltungen nahm die Korruptions-Staatsanwaltschaft im Frühjahr Ermittlungen gegen den OB auf. Anhand dieses Falls werde deutlich, so Holloch, dass "so etwas" auch "strafrechtliche Konsequenzen" haben könne, "wenn es sich um VIP-Tickets handelt".

"Ehrenkarten" für die EM

Transparency sieht auch kritisch, dass sich Kabinettsmitglieder – darunter auch Ministerin Neubaur bei fünf Spielen und einem Empfang – zur Fußball-EM einladen ließen. "Die Ehrenkarten wurden den Kabinettmitgliedern über die Host Cities zur Verfügung gestellt", erklärt die Staatskanzlei dazu.

Bei Wüst lasse sich dies "wohl noch mit Repräsentationspflichten begründen", so Holloch. "Bei Landesministerinnen und Landesministern würde ich da schon ein Fragezeichen machen." Neben Neubaur war aus dem Landeskabinett nur Herbert Reul so präsent bei EM-Spielen. Der Innenminister war im Kabinett für die Sicherheit während des Turniers zuständig, sodass es bei ihm zumindest ein engerer dienstlicher Bezug unterstellt werden kann.

Die Compliance-Anwältin Karin Holloch fordert Klarheit, Transparenz - und dass NRW die Verhaltensregeln zu Geschenken und Einladungen nach dem Vorbild des Nachbar-Bundeslandes Niedersachsen per Gesetz regelt.

In ihrem Programm zur letzten Landtagswahl hatten Neubaurs Grüne eine "Transparenzoffensive" angekündigt, um die Glaubwürdigkeit der Politik zu stärken.

Unsere Quellen:

  • Landesregierung auf Anfrage
  • Borussia Dortmund auf Anfrage
  • Signal Iduna auf Anfrage
  • Interview mit Karin Holloch
  • Interview mit Martin Schorn

Über dieses Thema berichtet der WDR am 16.12.2024 auch im Hörfunk: In den Nachrichten "WDR aktuell" ab 05 Uhr.

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