Worum es beim Streit um den Chefposten beim OVG wirklich geht
Stand: 29.09.2023, 18:17 Uhr
Weil er sich für eine nachträglich eingereichte Bewerbung entschied, muss sich der grüne NRW-Justizminister Limbach nun juristisch und im Landtag erklären. Die Besetzung der OVG-Präsidentschaft wird zum Politikum.
Von Rainer Striewski
Es geht um einen der höchsten Richterposten in NRW: Wer wird Präsidentin oder Präsident des Oberverwaltungsgerichts in Münster? Seit mehr als zwei Jahren ist die Stelle vakant - und ebenso lange wird um deren Besetzung gerungen.
Die jüngste Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster ist dabei eine von mindestens zwei Entscheidungen, die Einfluss auf die Postenvergabe nehmen dürfte. Ob Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) seine favorisierte Kandidatin für den Posten durchbekommt, ist mit der jüngsten Entscheidung fraglich. Limbach steht in der Kritik. Hinter vorgehaltener Hand ist wahlweise von einer "Ohrfeige" oder einem "blauen Auge" für den Minister die Rede.
Klare Trennung von Oberverwaltungs- und Verfassungsgericht
Worum genau geht es? Bis Juni 2021 waren die Präsidentenämter am Oberverwaltungsgericht NRW und am Verfassungsgerichtshof NRW miteinander verknüpft. Wer dem einen Gericht als Präsidentin oder Präsident vorstand, stand auch dem anderen Gericht vor. Dass beide Gerichte sich in Münster im selben Gebäude befanden, erleichterte das Arbeiten in dieser Personalunion. Lange Jahre stand Ricarda Brandts als Präsidentin beiden Gerichten vor. Mit ihrem Wechsel in den Ruhestand Ende Mai 2021 änderten sich dann aber auch die Zuständigkeiten.
Posten musste mehrfach ausgeschrieben werden
Denn der Landtag NRW hatte zuvor beschlossen, dass das OVG und der Verfassungsgerichtshof künftig eine eigene Leitung bekommen sollten. Neuer Präsident des Verfassungsgerichtshofes wollte Andreas Heusch werden, damaliger Präsident des Verwaltungsgerichts Düsseldorf und bereits Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs.
Barbara Dauner-Lieb, Präsidentin des VerfGH
Doch für den Posten hätte es einer Zweidrittelmehrheit des Landtags benötigt - und die zeichnete sich nicht ab, weil die SPD Heusch nicht unterstützen wollte. Stattdessen wurde die Kölner Rechtsprofessorin Barbara Dauner-Lieb zur Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes gewählt. Andreas Heusch hätte damit zwar noch Präsident des OVG werden können, weil darüber nicht der Landtag, sondern die Landesregierung entscheidet. Doch Heusch zog seine Bewerbung zurück, der Posten wurde also erneut ausgeschrieben.
Wunschkandidatin des Justizministers
Ein Jahr später schien das neue Auswahlverfahren beendet, denn der damalige Justizminister Peter Biesenbach (CDU) sprach sich einen Tag nach der Landtagswahl für einen der insgesamt drei Bewerber aus. Doch auch der sollte das Amt nicht antreten, denn Biesenbachs Nachfolger, der neue Justizminister Benjamin Limbach (Grüne), stoppte am 30. Juni 2022 dieses Verfahren.
Mitte September 2022 bewarb sich dann noch eine Beamtin. Die Juristin aus dem NRW-Innenministerium avancierte offenbar zur Wunschkandidatin von Benjamin Limbach. In einer so genannten "Überbeurteilung", die er für alle Bewerber verfasste, bezeichnete Limbach die Kandidatin aus dem Innenministerium als "hervorragend geeignet". Das Problem dabei: Limbach hätte diese "Überbeurteilung" gar nicht abgeben dürfen, stellte das Verwaltungsgericht Münster nun fest.
Gericht: "manipulative Verfahrensgestaltung"
Das Gericht stoppte das Verfahren mit einer Eilentscheidung, weil sich ein anderer Bewerber, bisher Richter am Bundesverwaltungsgericht, das Verwaltungsgericht angerufen hatte. Dieser Bewerber habe Anspruch auf eine neue Entscheidung über seine Bewerbung, entschieden die Richter am Donnerstag. In ihrer Begründung schrieben sie von einer "manipulativen Verfahrensgestaltung" zu Gunsten der Bewerberin. Am Freitag legte das Justizministerium Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster ein.
Auch ein weiterer unterlegener Bewerber wehrt sich derzeit vor Gericht gegen seine Ablehnung im Besetzungsverfahren. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird in Kürze erwartet.
Sondersitzung des Rechtsausschusses
Limbach muss sich im Landtag erklären
Darauf jedoch wollen die Oppositionsfraktionen FDP und SPD im Düsseldorfer Landtag nicht warten. Für den kommenden Donnerstag haben sie eine Sondersitzung des Rechtsausschusses des Landtags beantragt. "Hier stehen Vorwürfe im Raum, die nicht ohne Folgen bleiben können, wenn sie sich bewahrheiten", erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Jochen Ott. Justizminister Limbach müsse auf der Sitzung den Verdacht vollumfänglich ausräumen. "Ansonsten wird er sich nur schwer im Amt halten können", so Ott.
Richterbund fordert "unabhängige und selbstverwaltete Justiz"
Nicht nur die Verfahrensbeteiligten dürften mit Spannung auf die kommende Woche schauen. Auch der Bund der Richter und Staatsanwälte in NRW (DRB NRW) zeigte sich bereits besorgt. Denn es stehe "der unbedingt zu vermeidende Anschein im Raum, Personalverantwortliche im Justizministerium würden Auswahlentscheidungen nicht, wie das Gesetz es fordert, anhand von Leistung und Befähigung der Bewerberinnen und Bewerber treffen", erklärte DRB-NRW-Geschäftsführer Gerd Hamme gegenüber dem WDR. Er sieht die Integrität der unabhängigen Justiz geschwächt. "Wir fordern deshalb eine unabhängige und selbstverwaltete Justiz."
OVG-Präsident fehlt bei AfD-Parteiverfahren
Ebenfalls brisant an der Causa: Die Präsidentin oder der Präsident des OVG gehört dem 5. Senat am OVG an, dem so genannten "Präsidentensenat". Dieser ist unter anderem für Parteiverfahren zuständig. Und hier ist aktuell das Verfahren um einen Streit der AfD mit dem Bundesverfassungsschutz in Köln anhängig. Der Senat ist zwar auch ohne OVG-Präsident arbeitsfähig, braucht für seine Entscheidungen aber entsprechend länger.
Die Verwaltungsrichter in NRW hatten deshalb schon in der Vergangenheit die Dauer des Besetzungsverfahrens kritisiert. "Wir haben ein großes Interesse an einer zügigen Entscheidung hinsichtlich der Besetzung dieser für die Gerichtsbarkeit äußerst wichtigen Position", sagte Nadeschda Wilkitzki von der Verwaltungsrichtervereinigung NRW dem WDR.
Justizminister unter Druck
Benjamin Limbach ist übrigens nicht der erste Justizminister, der wegen seiner Entscheidung über die Besetzung von Gerichtspräsidentenposten politisch unter Druck gerät. Der rheinland-pfälzische Justizminister Heinz Georg Bamberger (SPD) sah sich mit mehreren Klagen eines anderen Bewerbers für dem Chefposten am OVG Koblenz konfrontiert. Das Ende vom Lied war: Das Bundesverwaltungsgericht gab dem abgelehnten Bewerber recht. Das Besetzungsverfahren musste von vorne beginnen.