ARCHIV - 06.06.2023, Nordrhein-Westfalen, Bad Berleburg: Wolken ziehen über Windräder zur Stromerzeugung. In Nordrhein-Westfalen wird es für sechs Monate ein Genehmigungsmoratorium für Windkraftanlagen außerhalb bestimmter Planungszonen geben.

Neue Berechnung: Tausend-Windräder-Ziel in NRW wird wohl erreicht

Stand: 02.05.2025, 05:00 Uhr

Im Koalitionsvertrag versprachen CDU und Grüne vor drei Jahren mindestens tausend neue Windräder in NRW. Das wird wohl klappen.

Von Tobias ZacherTobias Zacher

Die NRW-Landesregierung wird ein wichtiges Ziel bei den Erneuerbaren Energien voraussichtlich erreichen. Das ist Ergebnis einer Berechnung des Landesamts für Natur, Umwelt und Klima (LANUK), das dem WDR exklusiv vorliegt. Demnach ist der Bau von tausend neuen Windrädern bis Mitte 2027 sehr wahrscheinlich.

"Mindestens 1.000 zusätzliche" Windräder vereinbart

Das Ziel, dass in ihrer fünfjährigen Regierungszeit "mindestens 1.000 zusätzliche Windenergieanlagen" in NRW entstehen sollen, hatten sich CDU und Grüne Mitte 2022 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Seitdem schaut die Opposition sehr aufmerksam auf die Zahlen der tatsächlich gebauten Windräder, treibt die Regierung immer wieder vor sich her.

In seiner so genannten Zubauprognose gibt sich das LANUK nun optimistisch: 401 Windräder seien seit Beginn der Legislaturperiode in Betrieb gegangen. "Für weitere 1.077 Anlagen sind Genehmigungen registriert worden, für die durch die jeweiligen Projektierer eine geplante Inbetriebnahme bis Mitte 2027 angegeben wird", heißt es in einer Mitteilung. "Demnach ist davon auszugehen, dass weit mehr als 1.000 neue Anlagen in dieser Legislaturperiode installiert werden", so die Schlussfolgerung.

Neubaur: "Ehrgeiziges Ziel übertreffen"

Dieser Ausbau der Windräder sei "keine Symbolpolitik", sondern "ein handfestes Zukunftsprogramm", ließ Wirtschafts- und Energieministerin Mona Neubaur (Grüne) angesichts der Berechnungen mitteilen. "Wir können bereits jetzt davon ausgehen, dieses ehrgeizige Ziel sogar zu übertreffen", sagte sie mit Blick auf den Koalitionsvertrag. "Hier zeigen die vielfältigen Anstrengungen von Bund und Land zur Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren ihre Wirkung", ergänzte Umweltminister Oliver Krischer (Grüne).

Nun ist das LANUK eine Landesoberbehörde, die dem NRW-Umweltministerium untersteht. Als technisch-wissenschaftliche Facheinrichtung ist das Haus aber - ebenso wie der Vorgänger, das LANUV - bislang nicht mit Gefälligkeitsgutachten aufgefallen, in denen die Verfasser der Landesregierung nach dem Mund reden würden.

SPD rechnet anders als schwarz-grün

Für den Fall, dass die LANUK-Berechnungen zutreffen: Wird das Tausend-Windräder-Ziel auf diesem Wege tatsächlich erreicht? Das sah die oppositionelle SPD in der Vergangenheit anders.

Denn während jedes Jahr neue Windräder gebaut werden, werden auch regelmäßig bestehende Windräder vom Netz genommen und abgebaut, meist nach rund 20 Jahren. Die Zahl der neuen Windräder sei also "mit abgebauten Anlagen zu verrechnen", ließ im vergangenen Sommer André Stinka wissen, der energiepolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Mit Blick auf die Ausbauzahlen von 2023 sagte er: "Im vergangenen Jahr wurden in Nordrhein-Westfalen 112 Anlagen errichtet und 91 Altanlagen abgebaut. Im Saldo ist das mit 21 Windrädern ein Ausbau immer noch nur im Schneckentempo."

Was genau bedeutet "zusätzlich"?

Wer hat also recht? Die Landesregierung, die mit der Brutto-Zahl operiert? Oder die SPD, die neu gebaute und abgebaute Windräder gegenrechnet und so auf einen wesentlich geringeren Netto-Wert kommt?

Der genaue Wortlaut dazu im Koalitionsvertrag lautet:

"Wir werden durch eine Ermöglichungsplanung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in den kommenden fünf Jahren mindestens 1.000 zusätzliche Windenergieanlagen in unserem Land entstehen." Koalitionsvertrag von CDU und Grünen vom Juni 2022

Koalitions-Versprechen gehalten oder gebrochen? Die Antwort auf diese Frage entscheidet sich also am Wörtchen "zusätzlich".

Duden und Wörterbuch der deutschen Sprache maßgeblich

Für die Germanistin Heike Wiese ist die Sache klar. Sie ist Professorin für "Deutsch in multilingualen Kontexten" an der Humboldt-Universität Berlin und verweist auf zwei zentrale Grundlagenwerke: Den Duden und das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Deren Regeln seien eindeutig. "Es müssen mindestens 1.000 Anlagen plus die Zahl der Anlagen, die wegfallen, gebaut werden. Alles andere wäre ein klarer Bruch der Zusage", so Wiese auf WDR-Anfrage. Damit gibt sie der SPD recht.

Gnädiger mit der schwarz-grünen Landesregierung ist Thomas Niehr, Inhaber des Lehrstuhls für Germanistische Sprachwissenschaft an der RWTH Aachen. Zwar verweist auch er auf den Duden, der im Universalwörterbuch das Wort "zusätzlich" definiert als "zu etwas bereits Vorhandenem, Gegebenem ergänzend, erweiternd hinzukommend". "Insofern scheint die Sache klar zu sein", schreibt er dem WDR und stimmt so seiner Kollegin Wiese zu.

Jedoch: Man müsse auch berücksichtigen, "dass die Regierung ja keineswegs verspricht, 1.000 neue Anlagen zu bauen bzw. bauen zu lassen" - sondern laut Koalitionsvertrag lediglich "die Voraussetzungen dafür schaffen" will.

Formulierung nur "scheinbar klar, tatsächlich vage"

Vor diesem Hintergrund sei die Frage nach brutto oder netto "fast gleichgültig". "Meines Erachtens sind durch die Formulierung beide Bedeutungsvarianten gedeckt", so Niehr. Die Verfasser von Koalitionsverträgen gäben sich regelmäßig große Mühe, "scheinbar klar, aber tatsächlich möglichst vage zu formulieren".

Der Windrad-Satz von CDU und Grünen sei "ein gutes Beispiel dafür".

Unsere Quellen:

  • Zubauprognose LANUK
  • Statements Mona Neubaur & Oliver Krischer (Grüne)
  • Statements André Stinka (SPD)
  • Einschätzung Prof. Heike Wiese
  • Einschätzung Prof. Thomas Niehr
  • Eigene Recherche

Über dieses Thema berichten wir auch im Hörfunk: WDR aktuell Nachrichten ab 05 Uhr am 02.05.2025.