Nach tödlichen Polizeischüssen: Reul will Polizei für Suizideinsätze schulen

Stand: 08.09.2022, 16:56 Uhr

Viele Fragen zu den tödlichen Schüssen in Dortmund kann Innenminister Reul noch immer nicht beantworten. Eins sei aber klar geworden: Die Polizei müsse noch dazu lernen im Umgang mit Suizidgefährdeten.

Von Nina Magoley

Die Ermittlungen zu den tödlichen Schüssen auf einen 16-Jährigen in Dortmund ziehen sich mittlerweile über einen Monat. Im Innenausschuss des Landtags stellten die Abgeordneten am Donnerstag viele naheliegende Fragen - die bislang alle von Innenminister Herbert Reul (CDU) nicht beantwortet werden konnten: Warum rücken zwölf bewaffnete Polizisten an, wenn es im Notruf heißt, ein 16-jähriger Junge mache Anstalten, sich selber mit einem Messer zu töten?

Wie "statisch" oder doch "dynamisch" war die Situation vor Ort? Wieviel Zeit verging zwischen dem Moment, in dem der Junge beim Eintreffen der Polizei mit vermuteter Selbstmordabsicht an einer Mauer hockte und dem Augenblick, als er sich angeblich auf die Beamten zubewegte? Warum waren die Beamten nicht in der Lage, die Situation rund um den offenbar verzweifelten Jungen "einzufrieren"?

Unklar ist nach wie vor offenbar, ob Mouhamed D. das Messer wirklich irgendwann nicht mehr gegen sich selber, sondern auf die Polizeibeamten gerichtet hielt. Auch der Telefonmitschnitt vom Anruf des Betreuers aus der Unterkunft des Jungen bei der Polizei, der angeblich bis einschließlich der tödlichen Schüsse andauerte, sei noch nicht ausgewertet, sagte Reul.

All das sind Fragen, die zunehmend Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes nähren. "Wenn diese Fragen einmal beantwortet werden könnten, würden die Spekulationen aufhören", sagte der SPD-Abgeordnete Ibrahim Yetim an den Innenminister gerichtet.

Zumindest zeige der Fall, dass es bei der Polizei beim Umgang mit Suizidgefährdeten noch an Sensibilisierung fehle, sagte Innenminister Reul. Dabei kämen solche Einsätze in NRW in "wahnsinniger großer Zahl" vor und gehörten somit zum Polizeialltag: 15.500 Einsätze im Jahr zählte die Polizei zuletzt, durchschnittlich 42 pro Tag. Kein Einsatz gleiche dem anderen, "das sind alles hochindividuelle Lagen".

Reul will alle Handbücher prüfen

Ziel müsse sein, "Polizistinnen und Polizisten noch stärker für dieses Thema zu sensibilisieren", sagte Reul, mehr, als es zurzeit im Polizeistudium geschehe. Zwar gebe es psychologisch geschulte Spezialisten, die zum Beispiel bei Geiselnahmen zum Einsatz kommen. Doch die seien landesweit an nur sechs Standorten verfügbar - viel zu wenige und für manche Suizidandrohung nicht schnell genug einsatzfähig. "Da kann man nicht stundenlang auf die Spezialisten warten, die im schlimmsten Fall aus der anderen Ecke des Landes anfahren müssen."

Reul kündigte drei Maßnahmen an, mit denen diese Sensibilisierung der Polizei bei Suizideinsätzen verbessert werden soll:

  • "Multiplikatorenschulungen", in denen Dienstgruppenleiter, Wachdienstführer und Einsatzleiter das "Handwerkszeug" für solche Situationen lernen sollen – Gesprächstechniken, Verhandlungsstile, Körpersprache, Stimme, Mimik. 
  • Die kritische Prüfung aller vorhandenen Handreichungen, Dienstvorschriften und Manuale, nach denen die Trainings innerhalb der Polizei stattfinden - zum Beispiel zum Thema "Schießen/Nicht Schießen" oder zum Einsatz des Reizstoffsprühgeräts. "Die gehen wir jetzt alle Seite für Seite durch", kündigte Reul an. Geprüft werden solle dann auch, ob diese Anleitungen zum Beispiel in Bezug auf den Einsatz der Maschinenpistole oder des Tasers noch aktuell seien.
  • Drittens soll geprüft werden, ob es eine Anweisung geben kann, dass Bodycams grundsätzlich getragen und eingeschaltet sein müssen.

 

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