Migrationsdebatte: Kompromiss bahnt sich an
Aktuelle Stunde. 23.09.2023. Verfügbar bis 23.09.2025. WDR. Von Carsten Upadek.
Welche Lösungsvorschläge gibt es für die Probleme der steigenden Migration?
Stand: 22.09.2023, 15:26 Uhr
Grenzkontrollen und Rückführungen: Die Flüchtlingspolitik war am Freitag erneut Thema im Bundestag. Die Union will einen "Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik". Auch in NRW fürchten die Kommunen einen Kollaps. Ein Überblick über Vorschläge zur Lösung von Migrationsfragen - und über die Kritik daran.
"Wir schaffen das", hieß es 2015 bekanntermaßen von der Frau an der Spitze der CDU, jetzt hat Unions-Fraktionsvize Jens Spahn das Zitat bedeutend ergänzt:
Länder und Kommunen warnen vor den Folgen der steigenden Migration in Deutschland, mit einem "Hilferuf" haben sich gerade 350 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus NRW an Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gewandt, da die Kosten für die Versorgung von Geflüchteten explodierten und sie einen finanziellen Kollaps fürchten.
Gleichzeitig zeigt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass immer mehr Menschen fremdenfeindlichen und rassistischen Positionen und immer weniger demokratischen Grundwerten zustimmen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte am Freitag im Bundestag wiederum vor "einfachen Lösungen", mit Ländern und Kommunen arbeite man an "echten substanziellen Lösungen".
NRW hält Rekord bei Asylanträgen - Bayern will Obergrenze
In diesem Jahr haben mit 220.116 Personen etwa 77 Prozent mehr Menschen in Deutschland einen Asylantrag gestellt als im Vorjahreszeitraum. Davon wurden allein in NRW mehr als 42.000 gestellt - Rekord bei den Bundesländern.
Kommunen leiden aktuell wieder unter der schieren Anzahl der Geflüchteten.
Bayern folgt mit etwa 31.000. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat vorgeschlagen, die Zahl der Asylbewerber auf 200.000 pro Jahr zu begrenzen. Der Vorschlag einer "Obergrenze" für Asylbewerber in Deutschland ist nicht neu, der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte dies schon 2015 gefordert. Selbst Grünen-Chef Omid Nouripour spricht zumindest von einer "Belastungsgrenze".
Im 12-Punkte-Plan, den die Unions-Fraktion am Freitag im Bundestag vorgestellt hat, wird diese "Obergrenze" nicht erwähnt. In NRW hatte Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) im Landtag kürzlich bekräftigt, das Land stehe zu seiner Verantwortung, Menschen, "die vor Krieg, Verfolgung, Terror zu uns fliehen" Schutz zu bieten. Gleichzeitig warnen NRW-Kommunen seit Monaten, es fehle in vielen Fällen schlicht der Platz für die Neuankömmlinge.
Soll helfen, weil:
- Aufnahme-Einrichtungen und Sozialsysteme haben auch ihre Grenzen.
- Kommunen sind bereits mit Integration der vorhandenen Flüchtlinge überfordert.
- Rechtspopulismus, Fremdenfeindlichkeit und Misstrauen gegenüber der Demokratie wachsen.
Wird kritisiert, weil:
- Jeder Mensch hat ein individuelles Grundrecht auf die Prüfung eines Asylanspruchs.
- Europäische und internationale Abkommen verhindern nationale Alleingänge.
- Die Zahl der Flüchtlinge würde dann vor allem zu Jahresbeginn extrem steigen.
Mehr sichere Herkunftsländer
Sichere Herkunftsstaaten sind Länder, bei denen davon ausgegangen wird, dass es dort in der Regel weder Verfolgung noch unmenschliche Behandlung gibt und dem Geflüchteten damit in seiner Heimat kein ernsthafter Schaden droht. Aktuell gilt das für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Ghana, Senegal, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Nordmazedonien, Albanien, Kosovo und Montenegro. Auch für Georgien und Moldau wurde bereits ein entsprechendes Gesetz beschlossen.
Die sogenannten Maghreb-Staaten, also Algerien, Tunesien und Marokko sollen nach Ansicht zum Beispiel der FDP zusätzlich als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden.
Soll helfen, weil:
- Asylanträge werden schneller bearbeitet, nach Ablehnung geht die Abschiebung schneller.
- Deutschland wird als Zielland für Bürger dieser Staaten weniger attraktiv.
Wird kritisiert, weil:
- Die meisten Flüchtlinge kommen nicht aus diesen sicheren Herkunftsstaaten, sondern aus Syrien, Afghanistan und Irak.
- Vor allem Tunesien wird die Verletzung von Menschenrechten vorgeworfen, das Land soll Migranten laut Human Rights Watch in der Wüste ausgesetzt haben.
Migrationsabkommen:
Diese Vereinbarungen mit anderen Ländern will auch die Bundesregierung ausweiten. Staaten werden damit vertraglich verpflichtet, abgelehnte Asylbewerber wieder zurückzunehmen. Migrationsabkommen wurden zum Beispiel mit der Türkei geschlossen und sind auch mit Tunesien geplant, eine sogenannte Absichtserklärung wurde im Juni von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) unterzeichnet.
Abschiebung sei wichtig, damit es mehr Kapazitäten gebe für die Menschen, die dauerhaft blieben, sagt zum Beispiel NRW-Ministerpräsident Wüst. Nach Angaben von Flüchtlingsministerin Josefine Paul seien Gespräche mit anderen Ländern sinnvoll und richtig, um das Sterben im Mittelmeer zu verhindern.
Soll helfen, weil:
- Schleusern wird es erschwert, Geflüchtete lebensgefährlichen Situationen auszusetzen, da diese bereits vor ihrem Weg nach Europa aufgehalten werden.
- Menschen könnten über diese Abkommen legal nach Deutschland reisen - aber auch schnell wieder zurückgeschickt werden, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird.
Wird kritisiert weil:
- Die Abkommen sind oft unzuverlässig, auch im September kamen wieder Tausende Migranten mit ihren Booten aus Tunesien nach Italien oder aus der Türkei nach Griechenland.
- Dem tunesischen Präsidenten wird eine autokratische Amtsführung vorgeworfen, im Land gibt es immer mehr rassistisch motivierte Angriffe auf Migranten.
Grenzkontrollen:
An der Grenze zu Polen soll es nach Vorschlag der Union wieder Grenzkontrollen geben.
In ihrem 12-Punkte-Plan für einen "Deutschland-Pakt zur Migration" fordert etwa die Unionsfraktion im Bundestag, dass nach dem Vorbild der Grenze zu Österreich auch an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz Grenzkontrollen eingeführt werden.
Soll helfen, weil:
- Die Bundespolizei registriert immer mehr unerlaubte Grenzübertritte, in diesem August gab es 14.701 - 66 Prozent mehr als im August 2022.
- Grenzkontrollen könnten Personen ohne Asyl-Forderung sofort zurückweisen, noch bevor sie als eingereist gelten.
Wird kritisiert, weil:
- Kontrollen an den Grenzen, beziehungsweise eine Zurückweisung an der Grenze nach einer Kontrolle sind ohne eine Vereinbarung mit dem jeweiligen Herkunftsland, den Menschen auch wieder zurückzunehmen, rechtlich problematisch.
- Schleuser können auch mit der sogenannten Schleierfahndung hinter der Grenze erwischt werden, ohne dass man innerhalb von Europa wieder lange Staus vor den Ländergrenzen hat.
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 22.09.2023 in der Sendung Aktuelle Stunde um 18.45 Uhr.
Quellen:
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters, AFP und epd
- bundesregierung.de
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
- Maybrit Illner (ZDF-Sendung vom 21.09.2023)
- 0630 - Der News-Podcast am 22.09.2023