Für die Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr klang alles am Donnerstag nach Routine: Der Briefkasten einer Frau quilt über, die Vermieterin bittet darum, mal nach dem Rechten zu schauen. Solch ein Szenario gibt es täglich überall in NRW. Doch der Routineeinsatz in Ratingen endete in der Katastrophe. Ein 57-Jähriger schleuderte den Männern und Frauen Benzin entgegen, sie wurden von einem Feuerball getroffen. Wegen der schweren Verletzungen mussten fünf Menschen ins künstliche Koma versetzt werden.
Nach der Tat von Ratingen herrscht noch immer großes Entsetzen. Viele rätseln darüber, wie man solch einen heimtückischen Angriff nur machen kann. Doch für die Kolleginnen und Kollegen bei Polizei und Feuerwehr stellen sich noch ganz andere Fragen: Was bedeutet das für mich, wenn ich das nächste Mal wieder ausrücken muss? Bleibt nur ein mulmiges Gefühl oder fährt jetzt die Angst mit?
Mit vor Ort am Einsatzort in Ratingen war am Donnerstag Philip Schütz von der Feuerwehr im benachbarten Velbert. Zwei Tage später sagt er: "Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich mit Angst in den Einsatz fahre. Aber man hat das auf jeden Fall im Hinterkopf." Er spricht von einem "mulmigen Gefühl". "Man überlegt das Vorgehen im Einsatz: Mache ich das so oder mache ich es doch lieber anders? Nicht, dass mir sowas auch passiert." Auch im Kreise der Kollegen sei in den vergangenen zwei Tagen gesprochen worden. Doch alle seien sich einig gewesen: "Wir haben gesagt: Man kann nichts anders machen. Man kann ja niemals im Einsatz mit einer solchen Situation rechnen."
"Man macht sich schon Gedanken"
Auch Andreas Jedamzik beschäftigt sich mit den Ereignissen aus Ratingen. Er ist seit 17 Jahren als Feuerwehrmann und Notfallsanitäter in der Dortmunder Nordstadt unterwegs. Aus den Gesprächen der letzten Tage kann er sagen: "Man hat viel darüber gesprochen, man hat viel darüber nachgedacht: Kann es uns als Nächstes passieren? Viele haben auch Einsatzsituationen der letzten Wochen noch einmal reflektiert und gesagt: Bei dem oder dem Türöffnungsfall hätte das auch passieren können. Man macht sich schon Gedanken."
Jedamzik hatte schon ein Messer am Hals, ist bespuckt und bepöbelt worden, Fäuste sind geflogen. Er ist sich bewusst: "Man muss immer damit rechnen, dass etwas passieren kann. Genauso wie wir in jedem Einsatz damit rechnen müssen, dass eine Lage eskaliert oder außer Kontrolle gerät."
Bilder bleiben im Kopf
Und auch an Simon Heußen gehen die Ereignisse von Ratingen nicht spurlos vorbei. Der Leiter der Berufsfeuerwehr Bochum ist aus der WDR-Serie "Feuer & Flamme" bekannt. Allein bei ihm in Bochum gibt es solche Routineeinsätze mehrfach täglich.
Mit solch einer Eskalation rechne niemand. Doch von Angst will der erfahrene Feuerwehrmann nicht sprechen. "Klar, man hat solche Bilder und solche Eindrücke vielleicht im Hinterkopf. Aber es bleibt in den nächsten Wochen und Monaten Routine. Diese Einsätze werden jeden Tag passieren." Für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen bedeute dies, dass sie professionell damit umgehen müssten. "Weil in vielen Fällen warten Personen hinter diesen Türen auf unsere Hilfe. Die haben medizinische Probleme. Das heißt, wir müssen da schnell rein. Das muss man auch immer im Hinterkopf behalten." Er ist sich deshalb sicher: "Ja, man wird da mit Sicherheit seine Bilder im Kopf haben. Aber das wird trotzdem professionell weiter abgearbeitet."
Feuerwehrverband: "Berührend großes Ausmaß an Solidarität"
Der Verband der Feuerwehren in NRW sieht aber auch etwas Positives: "Nach dem Einsatz in Ratingen erleben wir seit Freitag ein berührend großes Ausmaß an Solidarität unter den Einsatzkräften von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei. Alle halten zusammen, alle halten inne, alle denken aneinander", sagt der Vorsitzende Jan Heinisch. Vielen Einsatzkräften im Land gehe das sehr nahe, weil nahezu alle vergleichbare Einsatzlagen kennten. Inzwischen sei auch ein Spendenkonto für die verletzten Feuerwehrangehörigen und deren Familien eingerichtet worden.
In der Innenstadt von Ratingen gab es am Samstag auch eine spontane Solidaritäskundgebung. Kerzen wurden aufgestellt, Menschen lagen sich weinend in den Armen. Für Hoffnung sorgte die Nachricht, dass alle lebensgefährlich Verletzten die zweite Nacht überlebt haben.
Reul: "Passen Sie gut auf sich auf!"
Auch in den Reihen der Polizei beschäftigt man sich mit der Tat von Ratingen. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich im Intranet der Polizei mit einem Appell an die Beamten gerichtet. "Für den Moment habe ich nur eine Bitte: Passen Sie gut auf sich und Ihre Kolleginnen und Kollegen auf!" Der "furchtbare Einsatz" mache ihn "zutiefst betroffen - und ehrlich gesagt auch wütend". Denn: "Alle Kräfte hatten nur Gutes im Sinn, sie haben sich dem Dienst für die Gesellschaft verschrieben und wollten nur helfen. Doch hier wurden Retter und Helfer selbst zu Opfern."
Unterstützung aus Leitstellen
Doch wie können die Gefahren vor Ort möglichst frühzeitig minimiert werden? Es gibt bereits Unterstützung aus den Leitstellen. Dort tragen sogenannte Intel Officer die Informationen aus Polizeidatenbanken, aber auch aus den sozialen Medien zusammen. Was posten die, wo gerade Einsatzkräfte hinfahren? Fotos mit Waffen? Mit Kampfhunden? Wer sind ihre Freunde? Droht vielleicht Gefahr?
Günther Epple von der Deutschen Hochschule für Polizei hat das vor Jahren erprobt. Er sagt, NRW sei beim Einsatz ein "positives Beispiel". "Es ist mittlerweile in allen Großstädten, also Köln, Düsseldorf, Münster vorhanden und eingeführt und genutzt." Woanders werde es gerade aufgebaut. In einer Stellenausschreibung der Polizei Wesel für einen Intel Officer hieß es vergangenen Jahr zum Aufgabenbereich: "Auswertung und Analyse der sozialen Medien zur Beschaffung von Echtzeitinformationen zur Unterstützung unterschiedlichster Einsatzlagen".
Aber natürlich lässt sich damit nicht alles verhindern. Ein Restrisiko bleibe immer, so sei sein Beruf, sagt der Dortmunder Feuerwehrmann Jedamzik.