Verbot von Rattengift: Hersteller befürchten Rattenplage
Aktuelle Stunde . 26.01.2025. 29:53 Min.. UT. Verfügbar bis 26.01.2027. WDR. Von Dorothea Schluttig.
"Rattenplage nach Giftverbot": Warum Hersteller und Verbände warnen
Stand: 26.01.2025, 20:36 Uhr
Sie können Krankheiten übertragen und werden schnell zum Problem besonders da, wo Lebensmittel offen herum liegen: Ratten. Sind sie da, ist Rattengift oft ein Mittel, um sie los zu werden. Weil deren Zulassung für private Anwender aber möglicherweise nicht verlängert wird, warnen nun mehrere Verbände und Hersteller vor einer "Rattenplage" in Deutschland. Doch wer steckt eigentlich hinter dieser Warnung? Welche Rolle spielen wirtschaftliche Interessen und käme es wirklich zu einer Rattenplage?
Zum Müll gehen, das kommt für Hassna Humama aus Düsseldorf Eller nicht mehr in Frage, zu groß ist ihre Angst davor, auf eine der Ratten zu treffen, die sich dort angesiedelt haben. Denn einer der Nager kam der 36-Jährigen schon einmal bedenklich nahe.
Schockmoment: Ratten in der Mülltonne
"Ich habe die Mülltonne aufgeklappt und es sprang mir eine Ratte entgegen. Ich habe sofort geschrien und geweint und hatte so Angst." Inzwischen wurden Giftköderfallen ausgelegt. Meist sind darin sogenannte Rodentizide. Doch ob die weiter von privaten Anwendern eingesetzt werden dürfen, wird derzeit geprüft. Laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sind sie schlecht abbaubar, zudem bestünden hohe Vergiftungsrisiken auch für Haus- und Wildtiere, denn der Stoff sei nicht nur für Ratten schädlich. Auch auf welche Weise die Nager durch das Gift sterben, wäre ein Problem:
Dies stehe im Widerspruch zu den EU Zulassungsvoraussetzungen. So dass der Einsatz nur auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein solle. Doch das ruft nun Verbände und Unternehmen auf den Plan. Sie warnen in einem "Brandbrief" gar vor einer "unkontrollierbaren Ausbreitung von Rattenpopulationen" wenn ein Verbot käme. Unterzeichner unter anderem der Pflanzenschutzmittelhersteller Neudorff, der Agrarhandel, der Zentralverband Gartenbau und der Deutsche Schädlingsbekämpfer Verband. Hauptinitiator des Brandbriefs aber ist SBM Life Science mit Sitz in Langenfeld.
Brandbrief-Initiator: Zulassungsinhaber des Wirkstoffs
„Brandbrief“-Unterzeichner
Das Unternehmen ist Zulassungsinhaber eben des Stoffs, der gerade geprüft wird und der einzige Anbieter in Deutschland, der den Wirkstoff für den privaten Gebrauch vertreibt. Direkt und an Firmen, die ihn dann unter eigenem Label verkaufen. Und eben dieses Unternehmen, warnt nun vor einer Rattenplage, falls der eigene Wirkstoff verboten werden sollte? Wird hier womöglich mit den Ängsten der Menschen vor Ratten gespielt, um das eigene Produkt weiterhin vertreiben zu können? "Für uns steht wirklich der Gesundheitsschutz an erster Stelle", sagt Michaela Schmitten-Pittá von SBM Life Science: "Wir sehen, dass im Schnitt schon heute drei bis vier Ratten (pro Person Anm. d. Red.) da sind. Aber das bedeutet ja, wenn keine vernünftige Bekämpfung mehr stattfindet, dass dann erst die Rattenplage stattfindet. Heute mit den Maßnahmen haben wir es im Griff."
Auch würden Schlagfallen nicht ausreichend helfen und professionelle Schädlingsbekämpfer könnten den Bedarf bei einem Verbot privater Bekämpfungsmittel kurzfristig nicht auffangen.
Nagetierforscherin: Basis des Rattenplage-Szenarios unklar
Doch wäre wirklich mit einer Eskalation der Rattenpopulation zu rechnen? Anja Günther, Professorin der Zoologie und Tierökonomie an der Universität Hildesheim forscht seit über 15 Jahren zu Nagetieren, die dramatisch wirkenden Daten seien ihr jedoch unbekannt: "Wo die Zahl 'vier pro Einwohner in Deutschland' herkommt, wüsste ich nicht." Es sei mit Sicherheit so, dass die Anzahl der Ratten in Städten deutlich unterhalb der der Menschen liege.
Stattdessen wären, wie auch schon heute, punktuelle Bereiche betroffen - Mülldeponien zum Beispiel.
Wird Rattenangst geschürt, um weiter Geld zu verdienen?
Klar ist: Verbände und Hersteller, haben eigene Interessen und ein Verbot der Rodentizide würde den Umsatz insbesondere des Unternehmens SBM Life Science mutmaßlich schmälern. Damit konfrontiert erklärt Michaela Schmitten-Pittá: "Mag sein, das ist aber nicht der Vordergrund, weil letztendlich ist uns wichtig, wirklich aufmerksam zu machen und wirklich aufzurufen, dass das Verbot gestoppt oder hinterfragt wird." Es gebe zudem keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die ein Verbot der Wirkstoffe, durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, rechtfertigen würden. Von der prüfenden Behörde heißt es gegenüber dem WDR, dass die Neubewertung der Rattengift-Zulassung durchaus neue wissenschaftlicher Erkenntnisse mit einbeziehe, das Verfahren selbst laufe bis 31. Dezember 2025.
Fakt ist, die Angst vor Ratten und den Krankheiten, die sie übertragen können, ist real. Doch was, wenn es tatsächlich zu einem Verbot der Rodentizide für private Anwender kommt oder man kein Gift gegen die Nager einsetzen will?
Ratten vertreiben ohne Gift? So geht’s!
Es gibt auch andere wirkungsvolle Maßnahmen, sagt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund: "Man kann es mit Lebendfallen versuchen und man sollte unbedingt prüfen, was das eigene Grundstück so attraktiv macht für die Ratten", also z.B. Mülleimer abdichten, damit die Ratten dort keine Nahrung mehr finden. Außerdem sei es wichtig, mögliche Zugänge durch bauliche Maßnahmen abzudichten, um so die Ratten zu vergrämen. "Auch eine Katze zu haben, kann hilfreich sein, denn sie sind natürliche Feinde von Ratten." Hassna Humama lagert ihren Müll derweil tagsüber auf dem Balkon. Ihr Mann muss ihn am Abend zu den Containern bringen. Es sind zwar inzwischen weniger Ratten dort, aber die Angst, sie bleibt.
Unsere Quellen:
- WDR-Reporterin vor Ort
- Umweltbundesamt
- Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
- Hassna Humama, Mieterin
- Michaela Schmitten-Pittá, Geschäftsführerin SBM Life Science / Dach
- Prof. Anja Günther, Zoologie und Tierökonomie, Universität Hildesheim
- Lea Schmitz, Deutscher Tierschutzbund