Nicht mehr und nicht weniger als einen Staatsstreich planten sie. Einen Umsturz, an dessen Ende Heinrich XIII. Prinz Reuß an der Spitze einer neuen Regierung stehen sollte. Die umfangreiche Razzia am Mittwochmorgen, an der bundesweit 3.000 Polizisten teilnahmen, traf eine bewaffnete Gruppe aus Reichsbürgern und Querdenkern.
Zwei Objekte im Kreis Minden-Lübbecke durchsucht
NRW stand nicht im Fokus der Razzia, doch auch hier gibt es eine Szene. Der Verfassungsschutz ging 2021 von mehr als 3.200 Reichsbürgern aus. Die meisten von ihnen seien männlich, zwischen 40 und 60 Jahre alt und lebten in ländlichen Regionen. Zwischen 400 und 450 werden nach unterschiedlichen Schätzungen allein in Ostwestfalen-Lippe vermutet.
So waren Ermittler am Mittwoch im Zuge der Razzia auch im Kreis Minden-Lübbecke aktiv. Dabei wurden die Wohnung und der Arbeitsplatz einer bei der Kripo im Kreis beschäftigten Polizistin durchsucht. Sie wurde daraufhin suspendiert, wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus Ermittlerkreisen erfuhr. Sie war aber nicht festgenommen worden. Die Frau ist bislang die einzige Beschuldigte in dem Großverfahren in NRW.
Was sind Reichsbürger und Selbstverwalter?
In den vergangenen Jahren ist die Zahl an Reichsbürgern gestiegen, das hat auch die Beratungsstelle "Sekten-Info NRW" aus Essen beobachtet. Christoph Grotepass berät dort unter anderem im Bereich Verschwörungstheorien. "Viele Reichsbürger und Selbstverwalter werden angetrieben von einem Frust über das nicht gesehen werden", sagt der Berater im Gespräch mit dem WDR. Gründe für den Frust könnten aber auch ihre schlechte Rente, Schulden oder eine Krankheitsgeschichte sein, ergänzt er: "Manche haben vielleicht auch einfach eine querulatorische Grundpersönlichkeit."
Über soziale Medien oder durch Demos geraten sie an Gleichgesinnte, so Grotepass. Eine große Gemeinschaft gebe es aber nicht. "Die Szene ist zersplittert, viele wollen ihre eigenen Könige oder Fürsten sein. Dann endet das Reich am eigenen Gartenzaun."
Ihm seien in NRW eine Handvoll von Reichsbürger-Gruppierungen bekannt, einige davon seien allerdings sehr klein. Im Verfassungsschutzbericht 2021 werden aus NRW unter anderem die "Corona Rebellen Düsseldorf" genannt. Die waren im August 2020 auch an der Erstürmung der Reichstagstreppe in Berlin beteiligt.
Viele Reichsbürger sind gewaltbereit - mehr als 1.000 Straftaten in 2021
Und die Szene ist nicht zu unterschätzen: 2021 wurden den Reichsbürgern und Selbstverwaltern in Deutschland mehr als 1.000 extremistische Straftaten zugerechnet - fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. "Sie sehen sich bedroht, in einer Notlage, als Befreiungskämpfer", sagt Grotepass. Das sei eine Rechtfertigung für manche aus der Szene auch gewalttätig zu werden. Auch Bewaffnung gäbe es - teils legal mit Jagdschein, aber auch illegal.
Die Ziele der einzelnen Gruppen sind ähnlich, sagt Grotepass, "sie wollen aufbegehren gegen die finsteren Pläne der EU, denken, dass man die Politiker beseitigen muss, weil sie Marionetten sind." Auch die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß ging davon aus, dass ein Geheimbund Deutschland regiert und deshalb abgesetzt werden muss.
Verbindungen zu politischen Parteien
Dass es zumindest informelle Verbindungen zwischen Vertretern der Alternative für Deutschland (AfD) und der Reichsbürgerszene gibt, ist nicht erst seit der Festnahme der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann im Zuge der jüngsten Razzia bekannt.
Georg Meier (SPD), Innenminister von Thüringen, erklärte am Donnerstag im WDR, das Wachstum und die weitere Radikalisierung der AfD habe in seinem Land dazu beigetragen, dass "Verschwörungsphantasien und Umsturzphantasien" immer weiter um sich gegriffen hätten. "Die werden von der AfD massiv verbreitet und gepusht."
Hintergrund: Das ist die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter
Die am Mittwoch zerschlagene terroristische Vereinigung besteht nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft aus einem Netzwerk aus Verschwörungsideologen und sogenannten Reichsbürgern. Der Verfassungsschutzbericht des Bundes rechnete im vergangenen Jahr in Deutschland rund 21.000 Menschen der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter zu, darunter seien rund 2.100 gewaltbereit. Der Anteil derer, die zugleich dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden, beläuft sich dabei auf mehr als fünf Prozent, rund 1.150 Personen.
Zwischen Reichsbürgern und Selbstverwaltern kann nicht immer genau unterschieden werden. Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf ein wie auch immer geartetes „Deutsches Reich“ ab.
Corona ließ die Gruppe der Reichsbürger wachsen
Inhaltlicher Konsens der Bewegung sind Behauptungen, dass erstens das Deutsche Reich in den Grenzen des Kaiserreichs von 1871 beziehungsweise der 1930er Jahre weiterhin existiere und dass zweitens der Bundesrepublik Deutschland die rechtliche Legitimation fehle. Die Bundesrepublik sei eine GmbH und die Behörden deshalb nur „Scheinbehörden“.
Die Gruppe der Reichsbürger und Selbstverwalter ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Das führen die Sicherheitsbehörden vor allem auf die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen zurück.
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 07.12.2022 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.