"Herr über Leben und Tod": Pfleger wegen neunfachen Mordes vor Gericht
Aktuelle Stunde . 24.03.2025. 42:31 Min.. UT. Verfügbar bis 24.03.2027. WDR. Von Thomas Kramer.
Prozessstart in Aachen: Pfleger soll Palliativ-Patienten getötet haben
Stand: 24.03.2025, 15:26 Uhr
Es ist wohl eine der umfangreichsten Mordserien in der deutschen Kriminalgeschichte: Ein ehemaliger Pfleger des Rhein-Maas-Klinikums in Würselen ist wegen neunfachen Mordes und 34-fachen versuchten Mordes angeklagt.
Von Thomas Wenkert
Regungslos, aber dennoch aufmerksam, verfolgte der 44-jährige Ex-Krankenpfleger die Verlesung der Anklageschrift zum Prozessbeginn am Montag. Als empathielos bezeichnete der Staatsanwalt den Angeklagten. Als einen Menschen, der sich in seinem Dienst auf der Palliativstation überlegen gefühlt habe. Die Bedürfnisse der Patienten hätten ihn nie interessiert.
Ulrich S. – so der Name des Angeklagten – wird vorgeworfen, neun Menschen auf der Palliativstation des Rhein-Maas-Klinikums getötet zu haben. In 34 weiteren Fällen soll er das versucht haben.
"Er soll Patienten eigenmächtig stark sedierende Medikamente gespritzt haben, teilweise in Kombination mit Schmerzmitteln. Das soll in manchen Fällen zum Tod von Patienten geführt haben", sagt die Aachener Gerichtssprecherin Katharina Effert. Unter anderem habe der ehemalige Pfleger Überdosen des Beruhigungsmittels Midazolam verabreicht, heißt es in der Anklage. Dieses Mittel wird auch bei Hinrichtungen in den USA eingesetzt.
Mordmotiv: Möglichst ruhige Nachtschicht
Der 44-jährige ehemalige Pfleger soll die Taten zwischen Dezember 2023 und Mai 2024 auf der Palliativstation der Würselener Klinik bei Aachen begangen haben. Die Anklageschrift geht in allen Fällen von niederen Beweggründen aus: "Der Angeklagte soll die Taten begangen haben, um möglichst wenig Arbeitsaufwand mit seinen Patienten während der Nachtschicht zu haben und sie ruhig zu stellen", sagt Gerichtssprecherin Effert.
Der 44-Jährige soll die Mittel sowohl schlafenden als auch wachen Patienten verabreicht haben. Die meisten Opfer waren über 80 Jahre alt, an Krebs erkrankt oder litten an Demenz.
Angeklagter äußert sich zu Prozessbeginn nicht
Mittlerweile hat das Gericht zwölf Angehörige als Nebenkläger zugelassen - darunter auch einen Sohn, dessen Vater im Mai 2024 im Rhein-Maas-Klinikum Würselen auf der Palliativstation behandelt wurde. Er überlebte. Per Zufall sind die Ermittler der Aachener Mordkommission auf diesen Fall gestoßen.
Fünf Monate nach seiner Entlassung aus der Würselener Klinik war der über 80-Jährige in einem Hospiz gestorben - nicht ruhig, sondern voller Angst. Das Vertrauen in die Pflegekräfte hätte der Mann zuvor verloren: "Als er im Hospiz war, hat er einmal versucht, aus dem Fenster zu springen", erzählt Rechtsanwalt Christoph Huppertz. "Es war ihm lieber, als dass er noch einmal von einem Pfleger Medikamente entgegen nimmt."

Rhein-Maas Klinikum in Würselen
Zu den Vorwürfen wollte sich der Angeklagte, der 2007 seine Ausbildung zum Pfleger abgeschlossen hatte, am Montag nicht äußern. Auch seine Verteidiger sagten zum Prozessauftakt nichts. Gegenüber dem Klinikum soll der Ex-Pfleger gesagt haben, dass er das Leiden der Patienten verringern wollte. Die Rhein-Maas-Klinik erstattete am 27. Mai 2024 Strafanzeige und sprach die fristlose Kündigung aus.
Handy des Angeklagten wurde offenbar abgehört
Nachdem die Klinik den Pfleger angezeigt hatte, starteten die Ermittlungen der Polizei. Es wurde die Mordkommission "Fluss" ins Leben gerufen. Hunderte Patientenakten wurden untersucht. Immer mehr Fälle kamen ans Licht.
Mittlerweile gab es vier Exhumierungen von verstorbenen Patienten. Wie man dem Pfleger letztendlich auf die Schliche gekommen ist, dazu will sich die Staatsanwaltschaft aus ermittlungs- und polizeitaktischen Gründen nicht äußern. Offenbar wurde das Handy des Angeklagten abgehört.
Mutmaßliche Mord-Serie führt auch nach Köln
Parallel zum am Montag gestarteten Prozess wird weiter ermittelt. Mittlerweile führt eine Spur auch zu den Städtischen Kliniken Köln. Hier war der ehemalige Pfleger von 2014 bis 2020 beschäftigt.
Nachdem auch hier Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, trennten sich die Kliniken im gegenseitigen Einvernehmen. Eine Anzeige wurde nicht gestellt, so fand der heute 44-Jährige einen neuen Job in Würselen.
"Wir unterstützen die ermittelnden Behörden zur Aufklärung der schwerwiegenden Vorwürfe seither mit ganzer Kraft", so ein Sprecher der Kliniken. Warum keine Anzeige gestellt wurde, dazu gibt es keine Auskunft. Während des Prozesses werden auch zwei Sachverständige aussagen - darunter ein Palliativmediziner.
Weitere Prozesse möglich
Der Prozess ist für die Hinterbliebenen der Opfer auch ein Stück Trauerbewältigung. Sie sollen nach Ostern vor Gericht gehört werden. Das Urteil wird Anfang Juni erwartet. Bei einer Verurteilung droht dem 44-Jährigen eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Sollten dem Angeklagten weitere Taten nachgewiesen werden, dann könnte es sogar zu einem zweiten Prozess vor dem Landgericht Aachen kommen. Darüber muss letztlich die Staatsanwaltschaft entscheiden.
Unsere Quellen:
- Gerichtssprecherin
- Anwalt der Würselener Klinik
- Reporter vor Ort