Vierfachmord von Solingen: Mögliche rechtsradikale Motive?

00:42 Min. Verfügbar bis 20.03.2027

Vierfachmord von Solingen: Mögliche rechtsradikale Motive?

Stand: 20.03.2025, 20:23 Uhr

Im Prozess um den Tod einer jungen Familie in Solingen droht dem Angeklagten neben lebenslanger Haft auch Sicherungsverwahrung. Die Festplatten-Auswertung belastet den Angeklagten mehr als bisher angenommen.

Von Portrait von Antonia RüllerAntonia RüllerWolfram LumpeWolfram Lumpe

Neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe droht dem 40-Jährigen Solinger auch eine Sicherungsverwahrung. Neue Erkenntnisse aus der Festplatten-Auswertung hätten nach Ansicht der Nebenklage die Vorwürfe gegen ihn weiter erhärten können, doch das Gericht entschied sich gegen eine weitergehende Untersuchung.

Der 40-jährige Angeklagte soll im März 2024 einen Brand in einem Mehrfamilienhaus gelegt haben, bei dem eine vierköpfige Familie ums Leben kam. Die Opfer, ein 28-jähriger Mann, seine 29-jährige Frau und ihre zwei kleinen Töchter im Alter von drei Jahren und wenigen Monaten, starben in den Flammen. Zudem wurden 21 weitere Menschen teils schwer verletzt. Die Anklage lautet auf vierfachen Mord und 21-fachen Mordversuch.

Der mutmaßliche Mörder und Brandstifter hat die Tat bereits umfassend gestanden. Als Motiv hatte er "Stress mit der Vermieterin" angegeben. Seine Wohnung war ihm wegen Mitrückständen gekündigt worden.

Rechtsextreme Inhalte auf Festplatte entdeckt – doch keine Untersuchung der Motive

Ein Staatsschutz-Beamter sagte im Prozess als Zeuge aus, dass auf einer Festplatte des Angeklagten über 160 rechtsextreme und rassistische Bilddateien gefunden wurden. Diese Inhalte seien nicht nur in der rechten Szene verbreitet, sondern würden mittlerweile sogar in Chats bei Schulkindern verschickt werden. Es sei kein eindeutiger Hinweis darauf, dass es sich um eine rechte Gesinnung handle. "Es hat ein Geschmäckle“, bemerkte der Beamte zu den Indizien.

Nach Angaben der Ermittler enthalten die Dateien unter anderem Internet-Memes mit Abbildungen Adolf Hitlers, antisemitische Sprüche sowie Bilder, die den Holocaust verherrlichen oder den Nationalsozialismus relativieren. Die Anwältin der Nebenklage, Seda Başay-Yıldız, hatte Zweifel geäußert und ein IT-forensisches Gutachten beantragt. Bereits beim Verhandlungstag davor hatte sie die Ermittlungsarbeit als "schlampig“ bezeichnet. Sie halte diese Funde für einen möglichen Hinweis auf eine ideologische Motivation der Tat. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft kann die Festplatte dem Angeklagten nicht eindeutig zugerechnet werden. Die Freundin des Angeklagten hatte ausgesagt, dass es sich um ihre Festplatte handele und diese zeitweise verschwunden gewesen sei. 

Das Gericht lehnte den Antrag auf eine genauere Überprüfung der Festplatten ab. Es argumentierte, dass sich daraus keine eindeutigen Aussagen über das Motiv der Taten ableiten ließen. Die Bilder seien lediglich Indizien, die keine direkte Verbindung zur Tat herstellen könnten. Zudem habe der Angeklagte über Jahre hinweg in dem Haus mit überwiegend ausländischen Bewohnern gelebt und sei als guter Nachbar beschrieben worden.

Anträge der Nebenklage abgelehnt – keine weiteren Zeugen und Beweismittel

Auch die weiteren Beweisanträge der Nebenklägerin Seda Başay-Yıldız wurden vom Gericht abgelehnt. Diese hatten darauf abgezielt, weitere Zeugen zu laden. Das Gericht folgte der Argumentation der Staatsanwaltschaft, die eine zusätzliche Beweisaufnahme für nicht erforderlich hielt. "Ich bin schockiert, dass die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt nicht aufklären will", so die Anwältin Başay-Yıldız.

Trotzdem erteilte das Gericht einem Polizeibeamten den Auftrag, weitere Informationen zu sammeln. Diese Überprüfung, die vom Nebenklageanwalt Antoniakis beantragt wurde, soll beim nordrhein-westfälischen Staatsschutz erfolgen. Die Ergebnisse werden jedoch frühestens Ende nächster Woche erwartet. Infolge dieser Entwicklungen wurden die Plädoyers und alle weiteren Verfahrensschritte bis auf Weiteres aufgeschoben.

Psychiatrisches Gutachten: Keine Krankheit, aber hohe Gefährlichkeit

Ein psychiatrischer Sachverständiger erklärte im Prozess, dass Motive für die Tag zwar in der Psyche des Angeklagten lägen. Hinweise auf eine krankhafte Störung gebe es jedoch nicht. Dem psychiatrischen Gutachten zufolge hat der Angeklagte seine Taten durchgeführt, um eigene Anspannung abzubauen und sich dadurch emotional zu stabilisieren.

Rauch zieht aus den Fenstern der Wohnung

Rauch drang aus den Fenstern der Wohnung in Solingen

Der Gutachter betonte, dass der Angeklagte den Tatort bewusst gewählt habe. Es handelte sich um ein Haus, in dem er früher selbst gelebt hatte, allerdings ohne direkten Bezug zu den Opfern. Diese Konstellation bezeichnete der Experte als "in hohem Maße gefährlich". Es gilt als erwiesen, dass der Angeklagte mindestens einen Liter Benzin in das Holztreppenhaus des Mehrfamilienhauses in der Grünewalder Straße goss und das Feuer legte.

Unendliches Leid bei Überlebenden

Ayshe (22) und Nihat K. (26)

Ayshe und Nihat K.

Eine Familie konnte sich aus dem brennenden Mehrfamilienhaus retten. Ayshe (22) und Nihat K. (26) mussten in der Brandnacht mit ihrem anderthalb Jahre alten Sohn in letzter Sekunde aus dem dritten Stock springen. Die Flammen hatten sie fast eingeholt. Sie leiden bis heute unter ihren schrecklichen Erlebnissen.

Nihat hielt den Jungen vor dem Bauch und schlug mit dem Rücken auf dem Dach eines vor dem Haus geparkten Autos auf. Ayshe stürzte auf das Pflaster. Sie musste 14 Mal operiert werden, Nihat brach sich unter anderem alle Rippen. Alle drei sind inzwischen halbwegs wohlauf - körperlich.

Psychisch haben sie die Brandnacht bei weitem nicht verkraftet, geschweige denn verarbeitet. Eine Verurteilung des Angeklagten wäre für sie ein wichtiger Schritt dorthin. "Wenn er im Gefängnis ist, dann hilft uns das auf jeden Fall. Und wir möchten auch, dass er bis zum Ende seines Lebens dort bleibt. Der Schmerz bleibt ewig", sagt Nihat.

Brandanschlag in Solingen: rassistisches Motiv?

WDR Studios NRW 17.03.2025 00:59 Min. Verfügbar bis 17.03.2027 WDR Online


Unsere Quellen:

  • WDR-Reporterin im Wuppertaler Landgericht
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Staatsanwaltschaft Wuppertal
  • Interview mit Ayshe und Nihat K.
  • Reporter vor Ort