Reden, reden, reden. Das ist der wichtigste Grundsatz, wenn Polizisten in einem Einsatz auf Menschen in einer psychischen Krise treffen. Das ist nicht neu, bislang aber in den Einsatztrainings der Polizeibeamtinnen und -beamten in NRW selten geübt worden.
Mittlerweile ist das aber anders. Das Landesamt für Ausbildung der Polizei in NRW (LAFP) hat nach dem Einsatz im August 2022, bei dem der 16-jährige Mouhamed Dramé von einem Polizisten in Dortmund erschossen wurde, reagiert. Und ein neues Einsatztraining mit Fokus auf den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen entworfen. Die Beamten sollen versuchen, solche Situationen so lange wie möglich statisch, also ruhig, zu halten.
Und, wenn nötig, externe Hilfe rufen: etwa das SEK, psychologisch geschulte Beamte oder Dolmetscher. Im vergangenen Jahr hat es bereits eine verpflichtende, sechsstündige Grundbeschulung aller Dienstgruppenleiter gegeben. Seit diesem Jahr wird das neue Konzept auch in den regelmäßigen Einsatztrainings geübt.
Nicht schnell fertig werden
Diesen neuen Ansatz lassen wir uns für die Recherche zum neuen Podcast "Mouhamed Dramé – Wenn die Polizei tötet" am LAFP in Selm erklären. Unter anderem von Polizeihauptkommissar Marc Riegel. Er trainiert hier mit angehenden und mit ausgebildeten Polizistinnen und Polizisten verschiedene Einsatz-Szenarien. Dabei war einer der Grundsätze bislang, Situationen möglichst schnell zu bewältigen, erklärt der Ausbilder: "Der zentrale Trainingsbaustein ist immer, schnelle Entscheidungen zu treffen, die uns in die Lage versetzen, eine potenziell gefährliche Situation für alle Beteiligten so glimpflich wie möglich zu lösen."
Das neue Einsatztraining, das sie hier nach den tödlichen Schüssen in Dortmund entworfen haben, verfolgt einen ganz anderen Ansatz. Polizeihauptkommissar Marc Riegel erklärt, dass sie versuchten, die Trainingssituation so realistisch wie möglich zu gestalten. Die Kollegen würden schnell merken, dass das jetzt kein 0815-Sachverhalt sei, sondern sie es etwa mit einem Menschen zu tun haben, der "total traurig und niedergeschlagen" sei: "Der sieht für sich keinen Ausweg. Und dann ist unsere Erwartungshaltung, dass ich so ein bisschen diese Einsatzrolle verlasse: Ich muss jetzt ganz schnell hier fertig werden. Sondern dann ist es vielleicht wichtig, sich die Zeit zu nehmen und zu versuchen, vielleicht sogar einen emotionalen Kontakt herzustellen, empathisch zu sein und mit dem Menschen im Gespräch zu bleiben."
Miteinander reden statt zu kämpfen
"Weil", so Riegel weiter, "wir der tiefen Überzeugung sind: solange wir miteinander reden, müssen wir nicht miteinander kämpfen." Sein Kollege Ingo Lange, auch Ausbilder und Kriminalhauptkommissar, ergänzt, das sei vor allem bei Menschen wichtig, die damit drohen sich selbst zu verletzen oder zu töten.
In solchen Situationen sei Kommunikation das wichtigste Einsatzmittel der Beamten: "Das heißt, möglichst die Situation zu deeskalieren, die Situation möglichst statisch zu halten. Das sind Situationen, die Kollegen im Streifendienst vielleicht nicht unmittelbar lösen können. Das heißt, dann wird versucht, die Lage statisch zu halten, um noch speziell geschulte Polizeikräfte oder externe Mitarbeiter vor Ort zu bringen, die dann die Lage unterstützen können."
Zahl der Trainingstage bis 2025 verdoppelt
Das Training zeigt erste Erfolge. Am 18. April 2024 wird die Polizei in Hagen zu einem Einsatz gerufen. Ein Mann steht auf der Straße und hält sich ein scharfes Teppichmesser an den Hals. Er droht damit sich umzubringen und fordert die Polizisten auf, ihn zu erschießen. Die Polizisten fangen an, den Mann in ein Gespräch zu verwickeln. Und bringen ihm, als er danach fragt, sogar eine Flasche Vodka, halten dabei aber Abstand. Ein Polizist rollt die Flasche aus mehreren Metern Entfernung mit dem Fuß über den Asphalt. Der Mann trinkt und redet weiter. Nach einer Stunde können Beamte eines Spezialeinsatzkommandos den Mann überwältigen und nach Angaben der Polizei unverletzt in ein Krankenhaus bringen.
Die Hagener Polizei hat dem WDR mittlerweile bestätigt, dass sowohl der Leiter dieses Einsatzes, als auch der Beamte, der über eine Stunde lang mit dem Mann gesprochen hat, das sogenannte MepAs-Training des LAFP absolviert haben, also das Training, das uns am Landesamt der Polizei in Selm erklärt wurde. Den Umgang mit Menschen, die sich in psychischen Krisen befinden, können mehr als 18.000 Polizistinnen und Polizisten im NRW-Wachdienst jetzt auch häufiger trainieren.
Seit diesem Jahr an drei statt an zwei Tagen. Ab 2025 kommt noch ein vierter Trainingstag dazu. Damit verdoppelt sich die Anzahl der Tage für solche Einsatztrainings. Diese Veränderungen in der Polizeiausbildung hatte NRW-Innenminister Herbert Reul im März 2023 angekündigt. Jetzt beginnen sie zu greifen. Der CDU-Politiker nennt das "die größte Veränderung“, die es in der Polizeiausbildung in Nordrhein-Westfalen je gegeben habe.
Mehr zum Thema im neuen WDR-Podcast
Was sich durch den Fall Mouhamed Dramé noch bei der Polizei geändert hat, wie der Einsatz nach bisherigem Stand abgelaufen ist und was überhaupt der Polizist, der die tödlichen Schüsse abgab, zu dem Fall zu sagen hat, erfahrt ihr im Podcast "Mouhamed Dramé – Wenn die Polizei tötet".
Unsere Quellen:
- WDR-Recherchen
- Polizei NRW - Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten
- Polizei Hagen
- Innenministerium NRW