Etwa 40 Gemeindemitglieder sitzen im Pfarrhaus St. Johannes in Bottrop-Kirchhellen auf Stühlen mit grünen Sitzkissen. Die Gesicher sind ernst, denn das Thema des Gemeindeabends ist unangenehm, es wühlt auf, macht wütend, betroffen.
Ende Januar hat der Münsteraner Bischof Felix Genn einem Priester im Ruhestand alle seelsorglichen Tätigkeiten verboten. Im Dezember 2024 meldete sich eine betroffene Person beim Bistum: Der Priester habe sexuellen Missbrauch begangen.
Mehrere Menschen betroffen
Im Jahr 1984 soll der Priester in einem Jugendlager der Pfarrei St. Johannes die Tat begangen haben. Der Beschuldigte war im Januar 1984 zum Diakon geweiht worden, 1985 wurde er Priester. Er war in Gemeinden in Münster, Warendorf, Sendenhorst und der JVA Geldern als Seelsorger tätig.
Inzwischen hätten sich noch mehrere Betroffene gemeldet, berichtet die Rechtsanwältin des Bistums. Näher geht sie darauf wegen des laufenden Verfahrens nicht ein. Zusammen mit Bistumssprecher Dr. Stephan Kronenbrug stellt sie sich an diesem Abend den Fragen und Vorwürfen der Gemeindemitglieder. Und von denen gibt es viele.
Eine Tat, die nie verjähren dürfte
Es geht um Vertuschung, Traumata, Empörung, zerstörte Leben und viel zu geringe Entschädigungszahlungen an Opfer. Kronenburg versucht alles zu beantworten und nichts persönlich zu nehmen, auch als ihm Relativierung von Taten vorgeworfen wird.
Wirkliche Entschädigung kann es gar nicht geben. Zahlungen können nicht ansatzweise ausgleichen, was passiert ist. Die Kirche muss mehr Verantwortung übernehmen. Dr. Stephan Kronenburg, Bistumssprecher aus Münster
Auf die Frage, was das Bistum Münster, denn konkret mache, um Missbrauchsopfern zu helfen, spricht er von Therapieangeboten, Selbsthilfegruppen, der Übernahme von Anwaltskosten. Einem Opfer habe das Bistum sogar mal eine Waschmaschine gekauft. Ein großes Problem sei die 10- bis 20-jährige Verjährungsfrist vieler Taten.
Unbefriedigende Antworten
Eleonore Defte ist eine von denen, die am Donnerstagabend zum Diskutieren gekommen sind. Sie meldet sich öfter zu Wort, stellt viele Fragen. Die Antworten genügen ihr nur teilweise. Sie selbst sei nicht betroffen, aber das Thema Missbrauch in der Kirche beschäftige sie massiv, sagt sie.
Der Umgang ist eine Katastrophe. Jeder Mensch weiß, wenn er schuldig ist. Und auch die Institution Kirche weiß von ihrer Schuld. Wir müssen da als Gemeinde dran bleiben. Eleonore Defte, Gemeindemitglied St. Johannes
Auch wenn die Bistumsvertreter sichtlich bemüht sind, auf die Anliegen der Anwesenden einzugehen, so richtig überzeugt ist Defte nicht.
Gemeinde-Pfarrer Christoph Potowski hat beim Gemeindeabend das Mikrofon in der Hand. Er gibt es vom "Bistumstisch" an die Gemeindemitglieder. Ihm ist der Abend sehr wichtig.
Es verändert mein Bild von der Institution Kirche. Wir müssen die Fälle aufarbeiten, denn nur wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter. Gemeindepfarrer Christoph Potowski
Es melden sich auch einige Betroffene zu Wort. Mit dem WDR wollen sie offiziell nicht sprechen. Pfarrer Potowski ist über die grundsätzliche Offenheit froh. Er und auch die Vertreter des Bistums wollen Menschen ermutigen von potenziellem Missbrauch zu erzählen.
Betroffene sollen ihr Schweigen brechen
Werner Koschinski ist seit viereinhalb Jahren Pastoralreferent in der Bottroper Gemeinde. Er leistet Präventionsarbeit sagt er. Die funktioniere aber nur, wenn die Menschen immer im Gespräch bleiben und sich ins Gewissen reden würden.
Sexistische Bemerkungen beim Familientreffen, beim Schützenfest, der Stammtischrunde oder dem Gemeindefest, die darf es nirgends geben. Werner Koschinski, Pastoralreferent St. Johannes
Koschinski sieht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In einem kurzen Beitrag spricht er beispielsweise darüber, dass er in seiner Arbeit Kindern beibringt "nein" sagen zu dürfen und dass das völlig okay sei. Denn nur so würden Kinder lernen, sich vor Missbrauch in gewissem Maße selbst zu schützen.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Im Fall der Vorwürfe gegen den ehemaligen Diakon in Bottrop-Kirchhellen ermittelt aktuell die Staatsanwaltschaft - danach erst die Kirche. Bis es ein Urteil gibt, wird es mindestens ein Jahr brauchen. Der Beschuldigte habe sich zu Vorwürfen geäußert, sagt die Bistumsanwältin. Wie, das könne sie wegen des laufenden Verfahrens nicht sagen.
Am Ende sagt Bistumssprecher Kronenburg, dass er glaube, in der katholischen Kirche habe es in den vergangenen Jahren ein Wandel im Umgang mit Missbrauchsfällen gegeben. Die Haltung sei eine andere. Und wenn Täter zur Einsicht kommen würden, dass sie Leben zerstört haben und ihre Schuld anerkennen würden, sei schon viel erreicht.
Unsere Quellen:
- Bistum Münster
- Gemeindemitglieder St. Johannes Bottrop-Kirchhellen
- Reporter vor Ort
Sexalisierte Gewalt in Bottrop: Bistum stellt sich Diskussion. WDR Studios NRW. 14.02.2025. 00:44 Min.. Verfügbar bis 14.02.2027. WDR Online.