Jahrzehntelang prägten Kaufhof und Karstadt mit ihren Warenhäusern deutsche Innenstädte. Der Ausflug ins Kaufhaus war für viele ein Event. Doch seit der Online-Handel zunimmt, haben die Häuser immer weniger Kundschaft. Ende 2019 schlossen sich die beiden Ketten zusammen. Doch es half nichts: Bereits 2020 mussten rund 40 Häuser schließen. Jetzt will der Konzern Galeria Karstadt Kaufhof weitere 52 Filialen aufgeben - 15 davon in NRW.
Sandra Wagner-Endres
Mit dieser Entscheidung stellt sich verschärft die Frage, wie es in den Innenstädten weitergehen soll. Um konstruktive Ansätze kümmert sich das öffentlich geförderte Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), das Kommunen berät. Die Stadtforscherin Sandra Wagner-Endres leitet am Difu das Projekt "Zukunft der Innenstädte".
WDR: Frau Wagner-Endres, weshalb trauern wir den Kaufhäusern in den Innenstädten nach, obwohl viele von uns da nicht einkaufen?
Sandra Wagner-Endres: Das hat auch etwas mit Tradition zu tun und einem Innenstadtbild, das jahrzehntelang von großen Kaufhäusern geprägt wurde. Als sie neu waren, dienten sie auch als wichtige Ankerpunkte und Attraktionen. So viele Waren an einem Ort, die man anfassen und auswählen konnte. Viele verbinden damit etwas Besonderes.
WDR: Welche Chance für einen Neubeginn bietet die Schließung von Kaufhäusern?
Wagner-Endres: Die Raumressourcen, die dadurch entstehen, sind immens. In vielen Städten ist der Leerstand bereits groß und mit der jetzigen Schließungswelle kommen weitere Gebäude hinzu. Es ist immer die Frage, was daraus entsteht. In Lübeck wird beispielsweise die ehemalige Karstadt-Filiale in zwei Schulen umgebaut. In einem alten Hertie-Kaufhaus in Lünen sind Genossenschaftswohnungen entstanden.
WDR: Müssen wir uns also von dem klassischen Innenstadtbild verabschieden?
Wagner-Endres: Zu einem gewissen Maße ist das wohl so. Aber das muss nichts Schlechtes sein. Es braucht neue Ideen, um die Innenstädte vielfältiger und multifunktionaler zu machen. Restaurants und Cafés, Co-Working-Spaces, Sportangebote, Bibliotheken oder Pop-up-Stores sind nur einige Möglichkeiten, die Räume sinnvoll zu nutzen.
WDR: Was müssen Kommunen konkret tun, damit sich die Menschen in den Innenstädten wieder wohlfühlen?
Wagner-Endres: Für die Kommunen ist das gar nicht so einfach, da die Flächen häufig in Privatbesitz sind. In Hanau kauft die Stadt daher viele Gebäude zurück, um neue Angebote zu schaffen. Dabei spielen Kunst und Kultur eine wichtige Rolle. Es muss über den Tellerrand geschaut werden, um die Innenstädte wieder zu Begegnungsräumen zu machen. Wenn der öffentliche Raum attraktiv ist und aufgewertet wird, es Grünanlagen, Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten gibt, dann kommen die Menschen gerne.
WDR: Welche Rolle spielen Klimaschutz und Mobilität für eine zukunftsfähige Innenstadt?
Wagner-Endres: Das sind zwei sehr wichtige Faktoren. Innenstädte sind Knotenpunkte und müssen nicht nur mit dem eigenen PKW, sondern vor allem mit dem ÖPNV gut erreichbar sein. Auch zeigen Studien, dass Menschen in fußgängerfreundlichen Städten länger verweilen. Die ehemaligen Kaufhäuser können dazu dienen, durch Fassaden- und Dachbegrünung das Stadtklima zu verbessern.
Das Interview führte Lukian Ahrens.