Das neue Selbstbestimmungsgesetz: Selbst bestimmen wer man ist und wie man heißt
Aktuelle Stunde . 12.04.2024. 14:32 Min.. UT. Verfügbar bis 12.04.2026. WDR. Von Lucie Jäckels.
Selbstbestimmungsgesetz kommt: Was bedeutet das für Trans-Menschen?
Stand: 12.04.2024, 15:35 Uhr
Künftig soll es leichter werden, den Geschlechts-Eintrag sowie den Vornamen offiziell ändern zu lassen - ohne Gutachten oder Gerichtsbeschluss.
Von Ingo Neumayer
Das Transsexuellengesetz, das seit 1980 existiert, stellt Personen, die ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern wollen, vor hohe Hürden: Bislang sind dafür psychologische Gutachten und ein ärztliches Attest erforderlich, die Entscheidung trifft dann das Amtsgericht. Betroffene kritisieren das Verfahren als langwierig, teuer und entwürdigend.
Das soll sich nun mit dem Selbstbestimmungsgesetz ändern, das der Bundestag am Freitag nach einer hitzigen Debatte verabschiedet hat. Künftig sollen betroffene Personen nur noch eine Erklärung beim Standesamt abgeben müssen.
Staat behandelt Menschen "als wären sie krank"
Die vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrags werde "das Leben von transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen spürbar erleichtern und verbessern", sagte der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne). Die bisherige Rechtslage sei diskriminierend gewesen: "Nach Transsexuellengesetz werden Menschen, die ihren falschen Geschlechtseintrag korrigieren möchten, vom Staat heute noch so behandelt, als wären sie krank."
Besonders diskutiert wurde in diesem Zusammenhang über den Umgang mit Minderjährigen. Personen unter 14 Jahren dürfen die Erklärung beim Standesamt nicht selbst abgeben. Das muss die gesetzliche Vertretung übernehmen. Ist die Person mindestens 14 Jahre alt, aber nicht volljährig, muss sie die Erklärung beim Standesamt zwar selbst abgeben, braucht dafür aber die Zustimmung der gesetzlichen Vertretung.
Kritik daran gab es vor allem aus konservativen Kreisen. Das Gesetz werde "zu vielen Verwerfungen auch innerhalb von Familien führen", sagte die CSU-Familienpolitikerin Dorothee Bär am Freitag der ARD. Der Koalitionsentwurf blende "den Kinder- und Jugendschutz komplett aus" und öffne "Tür und Tor für Missbrauch". Sie forderte eine verpflichtende Beratung für Jugendliche.
Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zeigte sich gegenüber dem WDR besorgt über "Kinder, die in ihrer Entwicklung immer mal wieder schwanken". Sie befürchte, dass "möglicherweise das eine oder andere Kind durch diese Änderung auch frühzeitiger mit Medikamenten behandelt" werde , was ebenfalls nicht gut für die Gesundheit sei.
Familienministerin: Entscheidung ab 14 entspricht der Logik
Paus: "14 ist die ganz normale Zahl"
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hält die gewählte Altersgrenze dagegen für angemessen: "14 ist die ganz normale Zahl, die wir auch kennen, wo man sich beispielsweise entscheiden kann, welcher Religion man angehört, ob man aus der Kirche aus- oder eintreten möchte", sagt sie. "Und deswegen ist das einfach entsprechend der Logik der deutschen Gesetzgebung."
Union befürchtet Missbrauch durch Kriminelle
Weitere Kritik dreht sich um Sicherheitsfragen. Das Gesetz habe Sicherheitslücken und könne durch Kriminelle missbraucht werden, sagte Andrea Lindholz dem WDR. "Wenn es jemand darauf anlegt, dann hat er es in Zukunft ganz einfach", sagte Lindholz. "Der sucht sich einen neuen Wohnort, der geht zum Standesamt, der ändert sein Geschlecht und seinen Namen, dann hat er eine neue Identität."
Eine Einschätzung, die nicht stimme, so Sven Lehmann im WDR. Bis das Selbstbestimmungsgesetz Anfang November in Kraft trete, soll das Innenministerium auch das Meldegesetz entsprechend ändern. Der Antrag dazu soll heute erfolgen. Es sei schon "eine ziemliche Nummer", von einem Sicherheitsrisiko zu sprechen, wenn es um ein Gesetz gehe, dass die Würde des Menschen stärke, sagte er.
Erzbischof Koch: "Keine bloße Stimmungswelle"
Eine zahlenmäßige Begrenzung, wie oft der Geschlechtseintrag geändert werden kann, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Allerdings soll es eine Sperrfrist von einem Jahr geben - erst danach ist eine erneute Änderung möglich. Befürchtungen, dass das geplante Gesetz eine Beliebigkeit bei der Wahl der Geschlechtsidentität forciere, gibt es wenige - noch nicht einmal bei der katholischen Kirche. Erzbischof Heiner Koch sagte: "Ich weiß von vielen Betroffenen, dass solch eine Entscheidung, den Geschlechtseintrag ändern zu lassen, keine bloße Stimmungswelle ist. Kein heute so, morgen so. Das ist schon eine überlegte Entscheidung."
Bußgeld droht bei unfreiwilligem Outing
Auch das Problem des unfreiwilligen Outings wird im Gesetz angegangen. Wer gegen den Willen eines Menschen dessen frühere Geschlechtszuordnung oder dessen früheren Vornamen offenlegt, kann mit einem Bußgeld belegt werden.
Wie viele Menschen das neue Gesetz betrifft, ist unklar. Die letzten verfügbaren Daten dazu stammen aus dem Jahr 2021. Laut Bundesjustizamt gab es damals 3.232 Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags gab. Die Pressestelle des Queerbeauftragten geht künftig von etwa 4.000 Erklärungen im Jahr aus.
Unsere Quellen:
- ARD-Morgenmagazin
- KNA
- dpa
- AFP
- WDR-Interview mit Sven Lehmann
- WDR-Interview mit Andrea Lindholz