27. Januar 2020: Die Nachrichten berichten über Gedenken in Auschwitz, Klimawandel oder die Grammy-Awards und am Abend über den ersten Corona-Nachweis in Bayern. Betroffen sind Mitarbeiter beim bayerischen Automobilzulieferer Webasto. Noch sind Skifahren oder Karneval erlaubt. Kaum jemand kann sich vorstellen, wie sehr die Pandemie das Leben verändern wird.
Politik hätte viel früher informiert und gehandelt
Auch Sven-Georg Adenauer feiert im Januar noch Karneval. Der Landrat im Kreis Gütersloh, der durch die Krise beim Fleischkonzern Tönnies bekannter werden sollte, hat zwar vom Virus gehört. Die Folgen konnte er sich damals aber so nicht ausmalen: "Mit dem Wissen von heute hätte ich die Bevölkerung mit Sicherheit umfassender informiert: Liebe Leute, da kommt richtig was Dickes auf uns zu. Das wird Freiheitsrechte auf lange Zeit einschränken. Tragt am besten ab morgen Masken."
Auch Bielefelds Leiter des Corona-Krisenstabs, Ingo Nürnberger, hätte im Rückblick einiges anders gemacht. Vor allem das Gesundheitsamt hätte er viel früher gestärkt, sagt er. "Das ging unglaublich auf die Knochen der Mitarbeiter. Wir hätten früher Personal organisieren müssen, auch von extern." Zu Beginn der Pandemie dachte Nürnberger, die Stadt könne Infektionsverfolgung und Hygiene-Überwachung selbst leisten. Erst mit Verzug wurden in Bielefeld 90 Stellen geschaffen.
Schule hätte ganz anders laufen können
In den Schulen wurde die Lage ebenfalls unterschätzt. Mit heutigem Wissen hätte man auf Wechselunterricht gesetzt, sagt Frank Ziegler, Rektor einer Bielefelder Gesamtschule. Auch frühe Tests wären gut gewesen.
Er kritisiert das Schulministerium, es hätte mitziehen und mehr Initiative zeigen müssen. "Die Planung des gesamten Schuljahres hätte im Sommer vorbereitet werden müssen. Es hätte klar sein sollen, dass Schulen ihre Konzepte an die Infektionslage anpassen können."
Auch Virologen mussten noch lernen
Doch die Politik war auch verunsichert durch widersprüchliche Experten-Aussagen. Rückblickend hätte in der Wissenschaft manches anders laufen können, meint Professor Stephan Ludwig, Virologe der Universität Münster. Sie hätte "mehr mit einer Stimme" sprechen müssen. "Einige Kollegen" hätten eher aus "persönlichen Bestrebungen denn aus Informationsbewusstsein gehandelt".
Immerhin: Die Wissenschaft habe rasch gelernt: "Wir haben nicht nur eine exponentielle Ausbreitung des Virus gehabt, sondern auch eine exponentielle Zunahme des Erkenntnisgewinns", sagt Ludwig.
Aktuell mahnt der Virologe zum Homeoffice, wo immer es geht. Damit es nicht in einem Jahr heißt: Hätten wir doch früher gehandelt.