Sollte irgendwann einmal die Geschichte der Corona-Pandemie in Nordrhein-Westfalen geschrieben werden, dann wird es vor allem um das Krisenmanagement der Regierung Laschet gehen. Derzeit sind alle Urteile vor allem eines: Momentaufnahmen.
Laschet, der Zögerer und Zauderer: das war zu Beginn der Krise, als andere Ministerpräsidenten mit drastischen Maßnahmen und der Maskenpflicht schneller waren. Dann kam Laschet, der Lockerer, dem man zu große Wirtschaftsfreundlichkeit unterstellte, als zuerst die Möbelhäuser und erst viel später die Spielplätze öffnen durften. Und nun, im Fall des Ausbruchs bei Tönnies im Kreis Gütersloh, ist die Rede vom Schlingerkurs oder von einer Rolle rückwärts. Zu viel Bewegung oder zu wenig davon, zu viel Beharren oder zu wenig Konstanz? Die Kritik an Laschet wechselt, sobald er die Richtung ändert.
Wie läuft das Krisenmanagement?
Betrachtet man allein, was die Behörden seit Bekanntwerden des Ausbruchs in Gütersloh vor genau einer Woche unternommen haben, fällt es schwer, grundlegende, handwerkliche Fehler auszumachen. Der Betrieb wurde sofort geschlossen, eine "Pre-Test-Quarantäne" wurde angeordnet: alle etwa 7.000 Beschäftigen bei Tönnies und jene, die mit ihnen in einer Unterkunft leben, wurden in eine Art bewachte Isolation geschickt.
Die Bundeswehr wurde angefordert, damit schneller Testabstriche genommen werden können. Drei Hundertschaften der Polizei verstärkten die mobilen Behörden-Teams. Mit Diplomaten aus Bulgarien, Rumänien und Polen verabredete Laschet, dass diese möglichst viele Dolmetscher schicken, damit die Behörden besser erklären können, was vor sich geht. Hilfswerke versorgen die isolierten Menschen mit Lebensmitteln.
Alle Mitarbeiter der Fleischindustrie in NRW werden nun erneut getestet. Die Wohnbevölkerung in den betroffenen Landkreisen kann sich freiwillig und kostenlos testen lassen. Nur so lässt sich klären, wie viele Menschen von den Tönnies-Leuten angesteckt wurden.
So ist denn auch die Kritik an der Landesregierung in der Region eher verhalten. Man hätte bei der Verschärfung der Maßnahmen in Gütersloh und Warendorf die umliegenden Kommunen mehr einbeziehen sollen, bemängelt Bielefelds Bürgermeister Pit Clausen (SPD) im WDR. Ihn nervt auch, dass viele Corona-Erlasse oft Freitag mittags kamen und am Montag umgesetzt werden sollten. Harte Kritik klingt anders.
Fehler passierten vorher
Eine andere Frage ist jedoch, ob der Ausbruch bei Tönnies wirklich so überraschend kam. Oder ob Laschet und sein Kabinett im Vorfeld etwas hätten unternehmen können, damit es erst gar nicht dazu kommt.
Zu den verschiedenen lokalen Ausbrüchen seit den Lockerungen kam es überall dort, wo viele Menschen durch Arbeit oder Zusammenleben sich sehr nah sind: In Fleischfabriken, in Sammelunterkünften, in Flüchtlingsheimen, in Altenheimen.
Spätestens seit diesen Ausbrüchen hätte es einer präventiven Teststrategie bedurft. Aber die gab es nicht, bemängelte etwa die Grüne Monika Düker im Landtag. Zwar wurden nach dem Ausbruch bei Westfleisch in Coesfeld im Mai 2020 schon einmal alle Mitarbeiter in fleischverarbeitenden Betrieben im Land getestet. Aber es gab keine Routine, kein konstantes Monitoring, mit dem die Behörden sensible Bereiche kontinuierlich hätten überwachen können. Dazu hätte neben den genannten Betrieben und Heimen auch medizinisches Personal gehört.
Hinzu kommen Hinweise, dass die Behörden und das Land dem Betrieb Tönnies die Nichteinhaltung des Mindestabstands sogar gestattet haben - weil der Schlachthof einen Versorgungsauftrag hat und damit zur kritischen Infrastruktur gehört. Zudem soll sich niemand um das Gedränge in der Kantine und um abgelegte Masken gekümmert haben.
Gütersloh als Wendepunkt
Sollte irgendwann einmal die Geschichte der Corona-Pandemie in Nordrhein-Westfalen geschrieben werden, dann wird der Ausbruch bei Tönnies möglicherweise ein Wendepunkt für die Regierung Laschet sein. Entweder zeigt sich, wie durch den ersten "Lockdown" auf Kreisebene ein extremes Infektionsgeschehen schnell und entschlossen eingedämmt wurde.
Oder aber Gütersloh löst das österreichische Ischgl als Synonym für einen Cocktail aus sorgloser Genusssucht, Habgier und unfassbarem Leichtsinn ab. In diesem Fall würde es nicht nur für Laschets Ambitionen auf CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur eng werden. Sondern wohl auch für die schwarz-gelbe Mehrheit im Landtag.
Wie sehr die Stimmung schon jetzt schwankt, zeigen Umfragen. Konnte Laschet im NRW-Trend des WDR im April noch Rekordwerte einsammeln, so sackten seine Zustimmungswerte nach zwei Monaten Krisenmanagement empfindlich ab - auf ein Niveau, dass sogar unter den Werten der Vor-Corona-Zeit liegt.