Von Abstandsregeln keine Spur: Profispieler Salomon Kalou vom Fußball-Bundesligist Hertha BSC hat bei Facebook ein Video veröffentlicht, das ihn beim Abklatschen mit Mannschaftskollegen und Betreuern zeigt. Dafür wurde er vom Verein suspendiert. Die DFL reagierte empört. Brisant ist der Zeitpunkt: Am Mittwoch (06.05.2020) soll eine politische Entscheidung über die Fortsetzung der Saison getroffen werden. Einschätzungen zum Fall von Matthias Wolf. Er ist Mitglied des WDR-Investigativ-Teams "Sport inside".
WDR: Alle Welt versucht, in der Corona-Krise Abstand zu halten. Manche Fußballer offenbar nicht. Leben die Spieler in einer Parallelwelt?
Matthias Wolf: Das kann man ganz klar mit Ja beantworten. Die meisten Fußballer jedenfalls. Kalou ist nicht der erste. In der ersten Premier League haben Spieler sogar wilde Partys gefeiert. Das ist ein sehr laxer Umgang mit dem Coronavirus.
WDR: Was ist das DFL-Hygienekonzept nach diesem Video noch wert?
Wolf: In den sozialen Medien wird der Fall Kalou intensiv diskutiert. Da gibt es eine Montage zu sehen: Kalou steht neben einem Grabstein, auf dem steht "DFL-Neustartkonzept". Kalou hat nach der Ansicht vieler dem Konzept den Todesstoß versetzt. Das ist auch an der Reaktion der DFL ablesbar: Die DFL hat sich zu schnell über Twitter über nur einen einzigen Spieler geäußert. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben.
WDR: Was bedeutet das?
Wolf: Kalou ist nicht dafür bekannt, dass er ein gedankenloser Mensch ist. Der Hintergrund ist vermutlich ein Interview, das er vor einigen Tagen der BBC gegeben hat. Vielleicht wollte er auf diese Art und Weise darauf hinweisen, wie absurd das DFL-Hygienekonzept ist. Sein Vertrag läuft zum Saisonende ohnehin aus.
Vielleicht wollte er zeigen, dass das alles gar nicht funktionieren kann. Denn er hat in diesem BBC-Interview gesagt, er sei gespannt, ob man das überhaupt hinkriegen könne. In Kalous Video ist zu sehen, dass auch viele andere im Verein die Abstandsregeln nicht eingehalten haben.
WDR: Was bedeutet das für die Fortsetzung des Spielbetriebs?
Wolf: Ich denke, die Politik wird morgen nochmals intensiv diskutieren. Die Vorsitzende der Sportministerkonferenz, Anja Stahmann aus Bremen, hat darauf hingewiesen, welch große Lobbyarbeit im Hintergrund betrieben wird, dass der Fußball weitermachen kann.
Jetzt werden all jene sich bestärkt fühlen, die sagen: Das ist Wahnsinn, dass die Bundesliga hier eine Sonderrolle einnimmt! Ich kann mir nicht vorstellen, dass nach diesem Vorfall die DFL so einfach durchkommt mit ihrem Hygienekonzept. Man muss sich die Frage stellen: Ist das nur ein Einzelfall? Wolfsburgs Manager Jörg Schmadtke hat zum Beispiel gesagt, dass er wisse, dass andere Vereine bereits wieder Zweikämpfe geübt haben, als das noch untersagt war.
Aber wenn sich die Profis schon nicht an die Abstandsregeln halten, was erwartet man dann von den Fans? Auch wenn man nicht ins Stadion gehen kann, wird es Gruppenbildungen vor den Stadien oder beim Geisterspielgucken geben. Fußball ist ein Lagerfeuer-Erlebnis.
WDR: Warum ist der Druck auf die Vereine so groß?
Wolf: Weil die Bundesliga nur ein Produkt hat: den Spielbetrieb. Wenn nicht gespielt wird, gibt es nichts zu verkaufen. Der Druck ist so groß, weil die Vereine am Tropf der elektronischen Medien hängen. Die beiden Profiligen haben kürzlich einen Gesamtrekordumsatz von 4,8 Milliarden Euro verkündet - knapp 1,5 Milliarden Euro davon stammen aus der Vermarktung von Fernsehrechten.
Alle Verein-Etats sind extrem auf Kante genäht. Rücklagen gibt es nicht, Eigenkapital fehlt. Wie in der Bundesliga gewirtschaftet wird, hat mit einem normalen Wirtschaftsleben nichts zu tun, sondern es ist ein Von-der-Hand-in-den-Mund-leben.
WDR: Kann es sein, dass Vereine im Westen pleite gehen?
Wolf: Ich glaube nicht, dass Bundesligisten pleite gehen werden. Im Fall von Schalke etwa wird wohl der Aufsichtsratsvorsitzende und Fleischproduzent Clemens Tönnies noch Geld in seiner Schatulle finden.
Aber wenn wir in die Regionalliga gucken, glaube ich, dass es auch im Westen viele Vereine geben wird, die in große existenzielle Probleme geraten können.
Das Interview führte Dominik Reinle.