Mundschutz tragen, Abstand halten, Kontakte beschränken - die Auflagen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Menschen sich daran halten. Doch im zweiten Lockdown gibt es mehrere Dinge, die die Akzeptanz untergraben.
Das geht aus einer Untersuchung des privaten Kölner Rheingold-Instituts hervor. Stephan Grünewald, Psychologe, Rheingold-Chef und Mitglied des Corona-Expertenrates der NRW-Landesregierung, erläutert die Ergebnisse.
WDR: Trotz hoher Todeszahlen haben die Menschen laut Ihrer Untersuchung derzeit weniger Angst als während des ersten Lockdowns – wie passt das zusammen?
Stephan Grünewald: Beim ersten Lockdown hatte man noch kein Gespür für das Ausmaß der Pandemie. Die Menschen waren damals alarmiert von den schrecklichen Bildern aus Bergamo, wo massenweise Särge abtransportiert wurden. Eine so diffuse Gefährdungslage führt zu mehr Ängsten als eine konkrete Bedrohung, die jetzt ja auch messbar ist.
Für Viele ist es offenbar beschwichtigend, das Gefühl zu haben: Aha, es trifft vor allem die Älteren. Hinzu kommt, dass Corona den Anfangsschrecken verloren hat, weil es nach zehn Monaten Teil der Alltagsroutine geworden ist. Man hat sich irgendwie arrangiert.
WDR: Wie wirkt sich das auf den Umgang mit den Corona-Regeln aus?
Grünewald: Die Menschen sagten in den Interviews, dass sie im ersten Lockdown viel vorsichtiger waren. Nach jedem Einkauf wurde überlegt, was habe ich angefasst. Dann wurde desinfiziert. Mittlerweile gibt es immer noch eine gewisse Achtsamkeit, aber einen lockereren Umgang mit den Regeln.
Dazu zwei Beispiele: Fast alle beschreiben, dass sie viel mehr Sozialkontakte haben. Im vergangenen Jahr wurde das ganze Leben runtergefahren. Jetzt hat man einen abgesteckten Bekanntenkreis, mit dem man sich regelmäßig trifft. Auch beim Einkaufen ist ein Unterschied zu beobachten. Im letzten Jahr gab es vor allem Großeinkäufe, heute zählt der tägliche Einkauf zum Alltags-Highlight.
WDR: Verhalten sich denn alle Menschen gleich?
Grünewald: Nein, da gibt es Unterschiede. Wir haben drei Gruppen festgestellt. Es gibt die Übervorsichtigen, die isolieren sich stärker als im ersten Lockdown. Diese Gruppe ist sehr informiert. Dazu gehören Menschen, die Erfahrungen mit schweren Verläufen und Todesfällen gemacht haben.
Die zweite und größte Gruppe sind die Regeltreuen, die sich zwar an die offiziellen Gebote halten, sich aber auch kleine Grauzonen eröffnen und sich individuelle Auslegungen der Regeln gestatten. Sie achten aber darauf, sich nicht angreifbar zu machen.
WDR: Wer gehört zur dritten Gruppe?
Grünewald: Das sind die Sorglosen, die sich im öffentlichen Raum nur einigermaßen an die Regeln halten. Dazu zählen nicht nur die Corona-Leugner, sondern auch Menschen, die das Gefühl haben, sie seien wegen ihres Alters oder ihre Konstitution nicht gefährdet. Aber auch Menschen, die nach zehn Monaten Corona resigniert haben.
WDR: Welche Erwartungen an die Politik gibt es in der Bevölkerung?
Grünewald: Es gibt zwei Erwartungen. Im Moment ist es zermürbend, wenn man so wenig Erfolgserlebnisse hat. Auch wenn man sich weitgehend an die Regeln hält, erlebt man nicht, dass die Zahlen runtergehen und das Wohlverhalten belohnt wird. Von daher hofft man, dass die Politik Maßnahmen ergreift, die einem das Gefühl geben, dass der Verzicht sinnvoll ist.
Das zweite Momentum: Wenn ich mich einschränke und merke, dass andere das nicht machen, entsteht so das Gefühl: Ich bin der Dumme und mein Opfer ist umsonst. Das führt zum Wunsch, dass die Politik Kontrolle ausübt und Verstöße sanktioniert.
Das Interview führte Dominik Reinle.
Zur Datenbasis
Für die Studie sind Anfang dieses Jahres 30 tiefenpsychologische Interviews geführt worden. "Bei Tiefenpsychologie geht es nicht um Repräsentativität, sondern um Sinnzusammenhänge, unbewusste Mechanismen und Erklärungshintergründe", sagt Rheingold-Chef Stephan Grünewald.
Eingeflossen seien auch Erkenntnisse aus einem Panel, das kontinuierlich 45 Menschen befragt, sowie die Ergebnisse einer Studie aus dem Spätherbst über das Einkaufsverhalten, an der 120 Leute teilnahmen.
Kommentare zum Thema
Ich teile Herrn Grünewalds Sichtweise voll und ganz. Zudem befürchte ich unter der ständig nachgebesserten Verordnungs-Kruste eine zunehmende Unterwanderungs-Tektonik, wenn die Massnahmen nicht einheit-licher getroffen und transparenter begründet werden. Dennoch gilt mein Respekt allen in dieser Situation in der (Regierungs-)Verantwortung Stehenden! Man muss sich bei aller durchaus berechtigten Kritik fragen: Würde ICH das jetzt entscheiden wollen??
Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Das Virus oder die Vereinsamung der Menschen, Unkenntnis aller davon Betroffenen, Ignoranz der der Frust vieler Menschen über die Beschränkungen. Letztere sind tatsächlich für Familien mit Kindern (egal, ob jünger oder älter), in den Eltern arbeiten müssen (wenn sie noch dürfen), Kranke, Einsame deutlich schwerer zu ertragen als von Menschen, die diese Sorgen nicht noch zusätzlich haben. Da ich aber vorher nicht shoppen gegangen bin und Parties mit 100 Personen gefeiert habe, Kultureinrichtung nicht besucht habe, stören mich persönlich diese Einschränkungen gar nicht. Leider kommt aber auch Frust auf, daß man den Eindruck gewinnen könnte, Hauptsache gesund zur Arbeit - alles, was Spaß macht ist verboten. Ich vermute, das wird frustrierte (und uneinsichtige) Menschen auf die Straßen bringen. Den Politiker mache in diesen Fall keinen Vorwurf - für sie ist alles auch neu. Fr. Merkel mache ich nur einen Vorwurf: "Wir schaffen das". Siehe Kohl. Und wie?
Vor den Virus habe ich sehr großen Respekt, schütze mich selbstverständlich. Den Politikern kann ich keinen Respekt mehr entgegenbringen, bin nicht mehr sicher wovon die größere Gefahr aus geht, ihre Handlungsweise mutiert extrem schnell, wissen eigentlich nichts. Der einzig mögliche Schutz ist die Medien zu ignorieren.