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Bellini: Norma - Rachel Willis-Sørensen (Norma), Ensemble, Maria Kokareva (Clotilde)

14.04.2025 - Bellini, "Norma" an der Staatsoper Berlin

Stand: 14.04.2025, 09:30 Uhr

Die Norma ist sicher eine der schwierigsten Partien des Sopranfachs. Die Sängerin muss über feine lyrische Qualitäten verfügen wie für Mozart, muss Koloraturbeweglichkeit aufweisen wie für Rossini und das dramatische Potenzial wie für den späten Verdi. Deswegen haben so unterschiedliche Sängerinnen wie Edita Gruberová, Maria Callas oder Cecilia Bartoli sich mit dieser Rolle auseinandergesetzt. Bei der Neuproduktion von Bellinis "Norma" an der Berliner Staatsoper kam Rachel Willis-Sørensen vom dramatischen Fach her.

Bei ihrer Auftrittsarie "Casta diva" spürte man, dass sie suchend auf einen lyrischen Ton abzielte und ihn letztlich auch fand. Sie bändigte ihr Vibrato und formte es in eine Art inneres Beben um. Gleichwohl war da noch ein Rest von loderndem Feuer in ihrer Stimme, auch eine gewisse Schärfe, was sie aber kunstvoll bändigte. Man hatte das Gefühl, dass erst später bei den herausgeschleuderten Vorwürfen gegen Pollione, ihrem ehemaligen Geliebten und Vater ihrer Kinder, der sich aber längst auf die junge Adalgisa gestürzt hat, so richtig bei sich war. "Perfido!", "Va‘ traditor!" und "Maledetto" klangen wie aus einem Flammenwerfer.

Es war die Mezzosopranistin Elmina Hasan als Adalgisa, die an diesem Abend den ungetrübten stimmlichen Wohlklang fließen ließ, man könnte auch sagen, was den Belcanto ausmacht. Sie verfügt ein rundes warmes Timbre, zugleich über die Kraft lange Phrasen zu gestalten und dabei beweglich zu bleiben, um etwa in "E tu pure, ah! tu non sai", als sie sich eingesteht, Pollione verfallen zu sein, kann ausdrucksvolle Koloraturen der Erregung genauso singen wie zuvor gebetshaftes Zurücknehmen in "Deh! proteggimi".

Dabei sind sich die Stimmen von Willis-Sørensen und Hasan durchaus ähnlich. In der Szene, in der Norma Adalgisa ihre Kinder anvertrauen will, um selbst in den Tod zu gehen, klingt das Hin und Her der Auseinandersetzung zwischen den beiden wie aus einem Mund, um dann bei "Sì, fino all’ore estreme" ("Ja, bis zur Todessunde") in einen Parallelgesang zu münden, den schon Bellini so angelegt hat, dass hier eine Stimme aus zwei Kehlen kommt.

Also insgesamt bei den Frauenstimmen zwei höchst interessante Rollenporträts. Demgegenüber fiel Dmitry Korchak als Pollione, der römische Konsul, der die gallischen Frauen verführt, deutlich ab. Zwar hat er beindruckende Spinto-Qualitäten, konnte sich aber am Premierenabend zunächst überhaupt nicht bremsen. Die Liebesformeln, die er Adalgisa zurief, klangen wie Äußerungen unter Testosteron-Hochdruck, und als er später zwischen Adalgisa und Norma steht, hatten seine Ausflüchte mehr stimmliche Brutalität als den Ausdruck von Empathie oder Einsicht. Es dauerte tatsächlich bis zum Schluss der Oper, bis Korchak bei "Troppo tardi t’ho conosciuta" - "Allzu spät habe ich dich erkannt" für wenige Momente zu einem weichen Ausdruck fand.

Man muss aber auch sagen, dass es die Kostümbildnerin Olga Shaishmelashvili ihm schwer gemacht hat, Sympathien zu erwecken. Er wandelte die ganze Zeit in einem billigen Auszug durch die Szene und Regisseur Vasily Barkhatov ließ ihm seine standardisierten Tenorgesten permanent durchgehen. Barkhatov wollte in Pollione keinen römischen Statthalter zeigen und in Norma keine Priesterin, sondern die Anführerin einer Rebellentruppe und einen untergeordneten Apparatschik. Diese Rebellentruppe sind hier Arbeiter in einer Keramikfabrik, die massenweise Büsten eines Diktators herstellen müssen. Norma hat Scherben von Bildnissen aufbewahrt, die von besseren Zeiten künden und dann und wann wie in einem Ritus herausgeholt werden. Die von Zinovy Margolin gestaltete Keramikfabrik ist der Hauptort aller Aktionen, inklusive des Ofens, den Norma als ihren Scheiterhaufen begreift, vor dem sie ganz zum Schluss Pollione – in interessanter Abwandlung des Librettos - bewahrt. Der andere Schauplatz ist eine Art Mietskaserne, mal vor Haustür, mal in den beengten Innenräumen. Hier hält Norma ihre Kinder versteckt und lässt sie von Clotilde (Maria Kokareva mit schöner stimmlicher Präsenz) beaufsichtigen. Das erwähnte Aufeinandertreffen der drei Hauptfiguren dort wirkt in der Inszenierung von Barkhatov wie eine Beziehungskiste im Reality-TV. Auch dass Norma in der Fabrik immer in einem unvorteilhaften Overall auftritt, trägt zu der Banalisierung des Geschehens bei, ohne dass man dabei eine Mileustudie oder wenigstens ein Psychodrama präsentiert bekäme. Barkhatov hat in den vergangenen Jahren viele intelligente Inszenierungen abgeliefert hat, etwa seine von Haus zu Haus immer weiter entwickelten Interpretationen von "Eugen Onegin", zuletzt in Bonn, oder "Der Fliegenden Holländer" in Duisburg/Düsseldorf. Seine Inszenierung von "Norma" leidet aber daran, dass die Figuren in den unkonventionellen Bühnenarrangements allein gelassen werden und echte menschliche Konflikte, die diese Oper, egal ob im antiken oder modern Rahmen, prägen, nicht ausgearbeitet wurden.

Das Orchester bei Bellini (und anderen Italienern) ist nach einem angeblichen Ausspruch von Eduard Hanslick auf die Funktion einer Riesengitarre reduziert. Ganz so ist es natürlich nicht und Francesco Lanzilotta, der den Abend musikalisch leitete, tat in den beiden Akt-Vorspielen und in manchen dramatischen Accompagnato-Rezitativen wie dem bangen Warten Normas auf eine Reue von Pollione in "Ei tornerà" alles dafür, die Instrumente in eine szenische Aktion zu integrieren. Aber das waren nur wenige Momente. Und der Berliner Staatsopernchor, der in "Norma" ja viel zu hat, nämlich Kriegsbereitschaft auszudrücken oder über Normas Selbstbezichtigung entsetzt zu sein, dass sie das Priesterinnen- Gelübde gebrochen hat, wirkte an diesem Abend zwar immer präsent, aber auch etwas starr und unverbindlich.

Premiere: 13.04.2025 noch bis zum 13.05.2025

Besetzung:

Norma: Rachel Willis-Sørensen
Pollione: Dmitry Korchak
Adalgisa: Elmina Hasan
Oroveso: Riccardo Fassi
Clotilde: Maria Kokareva
Flavio: Junho Hwang

Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin

Musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta
Inszenierung: Vasily Barkhatov
Bühne: Zinovy Margolin
Kostüme: Olga Shaishmelashvili
Licht: Alexander Sivaev
Kampfchoreographie: Ran Arthur Braun
Einstudierung Chor: Dani Juris
Dramaturgie: Kai Weßler, Christoph Lang