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24.03.2025 - Jean-Baptiste Lemoyne, "Phèdre" in Karlsruhe

Stand: 24.03.2025, 09:30 Uhr

Niemand kennt hierzulande den frühklassischen Komponisten Jean-Baptiste Lemoyne, obwohl er zu seiner Zeit ein durchaus erfolgreicher Opernkomponist war. Es heißt, er sei der erste Komponist gewesen, der nach einer Uraufführung auf die Bühne zum Applaus gerufen wurde. Mit seiner Oper "Phèdre" konnte er schon 1786 in Paris einen großen Erfolg feiern, was zu einem Großteil an der Sängerin der Titelpartie, der Starsopranistin Antoinette Saint-Huberty lag. Eine überzeugende Hauptdarstellerin hatte man mit Ann-Beth Solvang auch bei der deutschen Erstaufführung nach 238 Jahren in Karlsruhe, die in Zusammenarbeit mit der Stiftung Palazzetto Bru Zane, die sich um französische Opernraritäten aus dieser Zeit kümmert, zustande gekommen ist. Eine CD-Aufnahme ist dort schon vor ein paar Jahren erschienen.

Stilistisch ist diese Oper über die mythische Gestalt der Phèdre (Phädra), die sich verhängnisvollerweise in ihren Stiefsohn Hippolyte verliebt, genau zwischen den damals in Paris sich bekämpfenden Opernfraktionen der Gluckisten (das Wort hat Priorität) und der Piccinnisten (die Musik ist wichtiger) angesiedelt. Über weite Strecken hört man orchesterbegleite Rezitative, die das Drama vorantreiben, aber immer wieder lösen sich daraus zugkräftige Musiknummern, freilich nicht im belcantistisch-italienischen Stil. Weil der Text so wichtig ist, zeigte man im Badischen Staatstheater übrigens neben den deutschen Übertiteln auch die französischen Verse.

Dem in der Historischen Aufführungspraxis erfahrenen Dirigenten Attilio Cremonesi gelang es, die dramatischen Kurven so auszusteuern, dass man immer das Spannungsgefühl eines auf die Katastrophe des doppelten Todes von Hippolyte und seiner Stiefmutter zusteuernden Geschehens hatte. Textverständlichkeit und klangliche Wucht standen sich dabei nicht im Wege.

Dabei ist die dramatische Konstellation dieser Oper rein fiktiv. Phèdre lässt sich ja gar nicht auf ein Abenteuer mit Hippolyte ein, sondern beklagt nur ihre von Venus verursachten Liebesqualen, Ehemann Thésée und Vater von Hippolyte nimmt nur an, dass dieser Phèdre verführt habe und verdammt ihn zum Tode. Jean Racine, von dem die literarische Vorlage zu diesem Libretto stammt, sagte: "Der bloße Gedanke an das Verbrechen wird hier mit ebenso viel Abscheu betrachtet wie das Verbrechen selbst."

Ann-Beth Solvang hat einerseits das stimmliche Volumen und andererseits die Deklamationsgenauigkeit, um die Titelfigur als eine dissoziierte Person zu verkörpern. Sie reflektiert in klaren Momenten die fatalen Anteile ihrer Person ("Ich bin zwar Verbrecherin, doch auch zu bedauern."), versinkt aber im nächsten Moment in ohnmächtige Raserei oder sogar beides, wenn sie ihre Gefährtin Oenone als Monster beschimpft, weil diese bei Thésée den Argwohn gegen seinen Sohn entfacht hat. Anastasiya Taratorkina verfügt über einen glockenklaren, zu präzisen Koloraturen fähigen Sopran, mit dem sie versucht etwa in der Arie "Enfin les dieux sont touchés de vos larmes" Phèdre heiter und zuversichtlich zu stimmen. Krzysztof Lachman als Hippolyte verleiht seiner Partie mit seiner stählernen, schlackenlosen Tenorstimme eine Art von Distanziertheit. Man nimmt ihn richtigerweise als einzige Person wahr, die in der Lage ist, das Geschehen zu reflektieren. Schließlich der aus der Unterwelt zurückgekehrte, wütende Thésée: Armin Kolarczyk entfachte mit seinem unglaublichen Stimmvolumen einen dramatischen Flächenbrand auf der Bühne.

Ann-Beth Solvang als Phèdre.

Ann-Beth Solvang als Phèdre

Klugerweise stand die Regie von Christoph von Bernuth und das Bühnenbild von Oliver Helf der sinnfälligen Dramaturgie des Stücks nicht im Wege. Am Anfang sieht man einen angedeuteten Wald, im zweiten Teil das beengte Gemach von Phèdre, auf deren Wände sie unzählige Mal den Namen ihres Liebesobjekts mit Kreide geschmiert hat. Dann gibt es noch eine steile Treppe für alles, was öffentlich stattfindet. Von Bernuth setzt die Personen unzweideutig in Szene, ohne dass Requisiten oder überflüssige pantomimische Nebenaktionen ablenken würden. Nicht einmal die hinzugefügte stumme Rolle des Halbbruders von Hippolyte, der wie traumatisiert durch die Szene geistert und deutlich macht, dass es in dieser Familienkonstellation hier schon lange kein Heil gibt.

Auch wenn Lemoyne vielleicht kein Komponist ist, dessen musikalische Einfälle sich auf Dauer einprägen, so hat man es doch mit einer Art von Musiktheater zu tun, das für den Moment des Bühnengeschehens durchaus fesselt, weil es klug konstruiert ist und den vier Darstellern Möglichkeiten der Entfaltung gibt.

Besuchte Vorstellung: 24.03.2025, Premiere am 25.01.2025 noch am 17.04.2025

Besetzung:
Phèdre: Ann-Beth Solvang
Hippolyte: Krzysztof Lachman
Thésée: Armin Kolarczyk
Oenone: Anastasiya Taratorkina
Un Grand de l’Etat: Oğulcan Yılmaz
Acamas: Philip Hohner

Badischer Staatsopernchor
Badische Staatskapelle

Musikalische Leitung: Attilio Cremonesi
Regie: Christoph von Bernuth
Bühne: Oliver Helf
Kostüme: Karine Van Hercke
Licht: Stefan Woinke
Chor: Ulrich Wagner
Dramaturgie: Stephanie Twiehaus